Besuchte Aufführung: 6.7.2019 (Premiere: 22.11.2015)
Die Angst vor dem IS-Terror
Sie ist immer wieder sehenswert, Kirill Serebrennikov s bereits im Jahre 2015 aus der Taufe gehobene, grandiose Stuttgarter Inszenierung von Strauss` Salome. Der Regisseur, dessen Moskauer Hausarrest inzwischen aufgehoben ist, dessen Reisepass aber eingezogen bleibt, zeichnet auch für die gelungenen Kostüme verantwortlich, das Bühnenbild besorgte Pierre Jorge Gonzales. Die neuste Wiederaufnahme, deren szenische Leitung Carmen C. Kruse oblag, geriet zu einem spannungsgeladenen Opernabend, der am Ende zu Recht vom Publikum heftig beklatscht wurde.
Simone Schneider (Salome), Matthias Klink (Herodes)
In dieser Produktion laufen zahlreiche Fäden zusammen. Den Zuschauern erschließen sich vielfältige Eindrücke. Das Ganze ist von einer stringenten und abwechslungsreichen Personenregie geprägt. Klar ersichtlich wird Serebrennikovs großes Verständnis für das Medium Film, das fast durchgehend bemüht wird. Die gelungenen Video-Sequenzen lagen in der Hand von Ilya Shagalov. Der Regisseur wartet mit einem knallharten Gegenwartsbezug auf. Gekonnt verlegt er das ursprünglich biblische Geschehen in den Kontext des Islamischen Staates. Der Vorhang ist von Anfang an geöffnet. Noch während die Besucher ihre Plätze aufsuchen, flimmern über eine im hinteren Teil der Bühne angebrachte Leinwand Bilder von Terror und Gewalt. Die Welt des islamischen Schreckens hält Einzug in das herrschaftliche, kühl und nüchtern wirkende Wohnzimmer der Familie Herodes. Man sieht sich mit Originalaufnahmen von Nachrichtensendungen konfrontiert, die diese Gräuel in alle Welt tragen. Auch die derartige maliziöse Umtriebe rigoros verurteilende Bundeskanzlerin Angela Merkel fehlt nicht. Ferner erblick man US-Präsident Trump und ein Boot voller Flüchtlinge. Den Höhepunkt dieser Bilder bildet eine Massenhinrichtung. Der Terror ist ganz nahe. Das geht uns alle an. Es ist nicht leicht, sich ihm zu entziehen. Nicht einmal im eigenen Haus kann man sicher sein.
Simone Schneider (Salome)
Darüber ist sich auch der in einem eleganten Anzug auftretende Herodes im Klaren. Sein herrschaftliches Anwesen hat er in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt. Überall sind Überwachungskameras angebracht, die keinen Winkel der Villa unbeaufsichtigt lassen und den Gästen des Anwesens nachspionieren. Der Tetrarch und seine dekadenten Wohlstand pflegende Familie – zu seiner Ehefrau Herodias steht er in einer Beziehung bewussten Nichtverstehens – haben ständig Angst vor Anschlägen. Stets aufs Neue dringen über die Bildschirme aktuelle Schreckensnachrichten herein. Die Furcht vor dem IS ist nur zu berechtigt. Narraboth und der Page der Herodias sind Angehörige eines zeitgenössischen Sicherheitsdienstes, der alle Hände voll zu tun hat. Seine Aufgabe ist es, über Monitore die gesamte Villa zu überwachen. An der rechten Wand hängt ein riesiger Ring, der von den beteiligten Personen nur als Mond bezeichnet wird. Die als Bodyguards interpretierten Soldaten sind ebenfalls für die Sicherheit im Hause Herodes verantwortlich.
Simone Schneider (Salome)
Dem Auditorium präsentiert sich ein äußerst gewalttätiges Ambiente. Dieses ist den Handlungsträgern durchaus nicht unbekannt. Herodes` Herrschaft ist ebenfalls von grausamer Härte geprägt. Die sprichwörtliche Knute wird von ihm anscheinend häufig benutzt. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass Salome Tod und Gewalt nicht fremd sind. Unter diesen Umständen ist es nachvollziehbar, dass das Geheimnis der Liebe für sie größer ist als das Geheimnis des Todes. Mit letzterem ist sie ständig konfrontiert. Sie ist in einen schwarzen Kapuzenpulli gekleidet, in dem sie alles andere als erotisch wirkt. Der Schleiertanz, in dem sich hier nicht die Tochter des Hauses entblößt, sondern einige Gäste bis auf die Unterwäschen entkleiden, bezieht Serebrennikov auf Herodes und nicht auf Salome. Er zeigt die Sehnsüchte und Wünsche des jüdischen Tetrarchen auf. In seiner Vorstellung tötet er sogar seine Gattin Herodias. Seine Stieftochter erscheint ihm als Gestalt mit Engelsflügeln, die er am Schluss des Tanzes heftig küsst. Das Ganze ist mithin nicht real, sondern Ausfluss seiner sich nach Liebe und Sexorgien sehnenden Phantasie. Der Psychologie kommt in dieser ganz aus dem Inneren heraus gedeuteten Szene zentrale Bedeutung zu. Sigmund Freud lässt grüßen.
Herodias, Solisten, Statisterie
Die Kopfgeburten von Herodes müssen aber Luftschlösser bleiben. Die von ihm herbeigesehnte Harmonie bleibt aus. Schon wegen des prominenten Gefangenen ist das unmöglich. Offenkundig wird, dass er mit der Verhaftung des Jochanaan ein Eigentor geschossen hat. Diese wirkt friedlichen Verhältnissen diametral entgegen. Serebrennikov führt den Propheten als fanatischen moslemischen Prediger vor. Mit Blick darauf, dass Salome ihn gänzlich auf seine Körperlichkeit reduziert, hat er ihn zudem auch noch in eine Stimme und einen Körper aufgespalten. Die von Jochanaan mit mächtiger Stimme in die Welt hinausgeschrienen Hasstiraden sind einem Schauspieler anvertraut, der Gesang obliegt einem Sänger. Der Text wird sowohl in deutscher als auch in hebräischer Sprache auf die Hinterwand projiziert. Das Ende spielt sich ebenfalls nur im Kopf von Herodes ab. Sein Befehl, Salome zu töten, ist lediglich ein Wunschtraum, dem keine Erfüllung beschieden ist. Die Prinzessin überlebt und darf von einer erhöhten Warte aus auf den Ort des tragischen Geschehens hinabblicken. Das war alles sehr gut durchdacht und meisterhaft umgesetzt. Hier haben wir es mit einer vollauf gelungenen Inszenierung zu tun, die nachhaltig zu begeistern wusste.
Solisten und Statisterie
Eine hervorragende Leistung erbrachte Simone Schneider in der Rolle der Salome. In den vier Jahren, in denen die Produktion läuft, ist ihr gut fokussierter, nuancenreicher und nach oben prächtig aufblühender Sopran immer mehr gewachsen. Mit ihrem edlen, differenzierungsfähigen Stimmmaterial zog sie gesanglich jede Facette der jüdischen Prinzessin, der sie auch darstellerisch voll gerecht wurde. Die Stimme Jochanaans sang Josef Wagner mit in jeder Lage voll und rund klingendem, ebenmäßig geführtem Heldenbariton. Als Jochanaans Körper war der Schauspieler Luis Hergón zu erleben. Aus dem Herodes machte Matthias Klink keine herkömmliche Charakterstudie, sondern stattete ihn mit einem sonor klingenden, vorbildlich sitzenden und ebenmäßig geführten lyrischen Tenor aus. Leider hatte er nach Salomes Tanz einmal einen Hänger. Gut gefiel die markant singende Herodias von Maria Riccarda Wesseling. Elmar Gilbertsson s dünn klingendem Narraboth mangelte es erheblich an der nötigen Körperstütze seines Tenors. Mit volltönendem Mezzoklang stattete Ida Ränzlov den Pagen aus. Mittelmäßig klang das aus Torsten Hofmann, Heinz Göhrig, Kai Kluge, Minseok Kim und Andrew Bogard bestehende Judenquintett. Mit vollem Bassklang kündete David Steffens’ erster Nazarener von den Wundertaten Christi. Dagegen fiel der dünn singende zweite Nazarener von Moritz Kallenberg ab. In den Partien der beiden Soldaten bewährten sich die tadellos singenden Pawel Konik und Michael Nagl. Solide gaben Jasper Leever und Aoife Gibney den Cappadozier und den Sklaven.
Simone Schneider (Salome)
Am Pult lotete Roland Kluttig die ganze breite Palette von Strauss’ komplexer Partitur imposant aus. Zusammen mit dem bestens disponierten Staatsorchester Stuttgart erzeugte er einen von großer Dramatik, eindringlichen orchestralen Aufschwüngen und herrlichen Bögen geprägten Klangteppich und versetzte das Auditorium gleichsam in einen Klangrausch. Dabei achtete er stets darauf, die Sänger nicht zuzudecken. Das war eine ganz große Leistung!
Fazit: Eine der besten Salome-Inszenierungen, die auch musikalisch und gesanglich überzeugen konnte.
Ludwig Steinbach, 7.7.2019
Die Bilder stammen von A. T. Schaefer und Martin Sigmund