Erstmals vor Publikum am 15. Dezember 2021
Versuch einer Analyse anhand der Aufführung und des Programmheftes
Bekanntlich erlebte der neue „Parsifal“, aus dem Gefängnis inszeniert von Kirill Semjonowitsch Serebrennikov, und wohl die erste reine Wiener Premiere in der Direktion Roščić neben mehreren nicht immer glücklichen Zukäufen, seine Premiere im April diesen Jahres nur im stream, wegen der Covid-Beschränkungen. Damals durften lediglich ein paar Journalisten dabei sein. Ich hatte diesen stream gesehen und daraufhin eine Kritik verfasst, in der ich viele der meines Erachtens zahlreichen Unvereinbarkeiten – um es diplomatisch auszudrücken – mit dem Abschiedswerk Richard Wagners hervorgehoben habe. Man möge sich, und wenn auch nur nebenbei, in Erinnerung rufen, dass Wagner den „Parsifal“ aufgrund seiner ganz speziellen Ästhetik und Komposition ausschließlich dem Bayreuther Festspielhaus vorbehalten wollte. Ich stelle den Link zu der Kritik, die ich überschrieb mit „Theatermusik statt Musiktheater“, hier ein, um diesen Beitrag, was die szenischen Kommentare anbelangt, kürzer zu halten (https://onlinemerker.com/wien-staatsoper-parsifal-stream-premiere-theatermusik-statt-musiktheater/). Ich muss aber auch sagen, dass vieles, was im stream nicht so klar erkennbar war, durch das Erlebnis der Live-Aufführung in der an diesem Abend erschreckend schütter besuchten Staatsoper mit einigen fast ganz leeren Reihen im Parkett noch verstärkt wurde, im Prinzip allerdings in negativer Hinsicht.
So ist der nahezu ständige und sich oft wiederholende Video-stream auf den drei Leinwänden über der Bühne nun stärker präsent und lenkt nicht nur im Stile einer dem Regietheater durchaus anhaftenden Reizüberflutung vom Geschehen auf der Bühne ab, sondern bringt nur wenig Erhellendes zur Thematik des „Parsifal“ im Verhältnis zur „Dauerbestrahlung“. Man sieht immer wieder Szenen aus heruntergekommenen Schlafsälen der Insassen des vom Regisseur aus biografischem Anlass gewählten Gefängnisses, in dem er die ganze Handlung stattfinden lässt, dann Prügeleien im Schnee im Gefängnishof und über lange Zeit und noch lange, bevor Parsifal seine Odyssee nach Monsalvat überhaupt antritt, die Wanderung des jungen Parsifal durch schneebedeckte Wälder und alte Ruinen. Eindrucksvoll und zum Werk passend ist der häufige Schwenk über eine alte orthodoxe Klosterruine. Auch die Tattoos, die den Insassen von Gurnemanz in der allgemeinen Langeweile des Gefängnislebens in Rücken und Arme geritzt werden, haben wegen ihrer Symbole aus dem „Parsifal“-Mythos einen Bezug zum Werk. Hier lassen sich werkimmanente Assoziationen realisieren, die ansonsten, über lange Strecken auch auf der Bühne, dem Diktat des Regie-Konzepts Serebrennikovs unterworfen, wenn nicht gar von ihm unterdrückt werden.
Interessant und durchaus neue Erkenntnis bringend war für mich nun das Studium des umfangreichen Programmhefts, welches mir, da ich damals im Ausland war, nicht vorlag. Da gibt Kirill Serebrennikov in einem Aufsatz „Die Idee der Freiheit“ interessante Einblicke in seine Lesart des „Parsifal“. Nun wissen wir, dass er als russischer Theater-, Opern- und Filmregisseur natürlich in erster Linie von der theatralischen Seite auf eine Opern-Inszenierung zugeht, das war so zu erwarten. Wenn man zurückdenkt, begann ausgerechnet Wolfgang Wagner bei den Werken seines Großvaters damit in Bayreuth, man denke nur an Patrice Chéreau, Peter Stein und andere. Das ging einige Jahre recht gut, erlebte aber mit Frank Castorf und seinem „Ring“ einen vorläufigen musiktheatralischen Tiefpunkt. In dem dreiseitigen Aufsatz Serebrennikovs findet sich der Begriff „Musik“ ein einziges Mal, und zwar in „Wagners Musik geht bei uns aus der inneren Bewegung des Protagonisten hervor (an sich eine Selbstverständlichkeit) und steht im Kontext einer szenischen Versuchsanordnung.“ Es handelt sich bei seiner Inszenierung also um die Anordnung eines Versuches, nicht um eine, wie normalerweise an einem Repertoiretheater gewünscht, vollendeten Regiearbeit, auf welcher ästhetischen und konzeptionellen Grundlage auch immer. Und nun versucht er im Aufsatz darzulegen, worum es ihm, dem Buddhisten, geht, der an etwas Absolutes glaubt, das aber fast nie dort zu finden sei, wo man es gemeinhin annimmt oder vermutet, und schon gar nicht in theologischen Argumenten und Disputen, die nur zu „Scheiterhaufen“ und „Brandbeschleunigern“ führen – was leider meist auch stimmt. Nur ist der „Parsifal“ kein religiöses Werk. Wagner hat hier nicht nur Symbole des Christentums sondern auch anderer, eben des Buddhismus, weiterer religiöser Konzepte und sogar auch die Agnostik einfließen lassen. Harry Kupfer hat das in seiner Inszenierung 2005 an der Finnischen Nationaloper grandios verwirklicht.
Serebrennikov geht aber noch weiter: „Wir dürfen das Kunstwerk ‘Parsifal‘ nicht auf seine vermeintliche ‚Message‘ reduzieren. Wir können das Theater (man höre genau hin: das Theater, nicht das Musiktheater!) nicht als Sprachrohr einer Mitleidsethik benutzen, die sich als historisch kompromittierbar erwiesen hat.“ Stattdessen möchte der Regisseur die „Widersprüchlichkeit und Diskontinuität des Prozesses einer spirituellen Läuterung“ darstellen. Was spricht denn dagegen, dass gerade in der heutigen Zeit mit ihrem durch die Globalisierung so zunehmenden Materialismus und wachsender Empathielosigkeit durch den „Parsifal“ nicht gerade das Thema des Mitleids, wie es im Übrigen Wagner ja auch vorschwebte, thematisiert wird?! Hier liegt m.E. schon ein Grundfahler der ganzen Konzeption dieser Produktion. Und dann geht es freizügig los: Es sei Wagners „kompositorische und dramaturgische Erinnerungsperspektive“ im „Parsifal“, aus der Serebrennikow seine Konzeption entwickelt habe. Dabei ist die Komposition des „Parsifal“ eine klare Weiterentwicklung des Wagnerschen Oeuvres, und die Dramaturgie ebenfalls, die sogar schon auf das Endwerk „Die Sieger“ hinweist, das 14. Werk, welches letztlich dem Bayreuther Festspielhaus zum Opfer fiel.
Brandon Javanovich (Parsifal), dahinter Anja Kampe (Kundry) uns Nikolay Sidorenko (junger Parsifal). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Mit diesem Erinnerungspostulat generiert der Regisseur den jungen Parsifal, an den der nun alte oder altgewordene sich während des gesamten Stücks erinnert (erinnern soll). Nur geht das szenisch immer wieder schief. Mal ist tatsächlich der junge Paersifal „am Amt“ und steht Gurnemanz oder Kundry als Ansprechperson gegenüber, ohne natürlich ein Wort zu sagen. Der „echte“ sitzt derweil auf einer Treppe und singt seinen Part herunter oder steht gelangweilt in einer Ecke. Joans Kaufmann hat das schon in der Premiere nicht gefallen. Ein anderes Mal greift der alte Parsifal jedoch als wenn es keinen jungen gäbe, in die Handlung ein. So wird dieses ohnehin viel zu steife und überintellektualisierte Konzept diffus und unverständlich – gerade für jemanden, der ohne Lektüre des Programmheftes um 17 Uhr aus der Arbeit in die Oper kommt. In dieser Aufspaltung von Protagonisten könnte man vom immerhin auch nicht mehr ganz neuen Format des „SÄNGER-STATISTEN“ sprechen, der nur noch seine Stimme hergeben muss, szenisch aber nicht eingreift oder eingreifen darf. Das hat Katharina Wagner schon erfolglos 2019 mit ihrer „Walküre“ in Abu Dhabi versucht. Man sieht leider immer mehr die Verdoppelung von Protagonisten, wo der Sänger singt und der Statist agiert, zuletzt gerade wieder im neuen „Lohengrin“ am 8. Dezember in Bukarest in der Inszenierung des auch vor allem Schauspielregisseurs Silviu Purcarete (Rezension folgt).
Dafür soll es für Serebrennikov zwischen dem jungen, also damaligen Parsifal, und dem heutigen zu „einer sakralen oder auch mystischen Begegnung“ kommen. In der zeitweise schockierenden Profanie des Bühnenbilds und -geschehens ist davon allenfalls mit größter Mühe etwas zu sehen. Stattdessen müssen wir nun auch in Wien den nackten Hintern des jungen, freilich durchtrainierten, Parsifal sehen und seine weiße Unterwäsche, die kürzlich erst als offenbar neues postmodernes Stereotyp im Berliner DOB-„Ring“ von Stefan Herheim bei über 30 Statisten fröhliche Urständ feierte… Die eigene Erkenntnis, dass das nicht ganz klappen kann in der Realisation auf der Bühne, lässt der Regisseur mit dem Kommentar durchblicken, dass es im „poetischen Erinnerungsraum“ Widersprüche geben kann, sich „verschiedene Ebenen überlagern“ oder wie in einer „Überblendung ablösen können“. Und natürlich „weist jede Erinnerung Lücken und Leerstellen auf“ (gerade wieder ein Thema in der deutschen Innenpolitik…). So bleiben bei ihm „die Grenze von Erlebtem und Phantasiertem fließend – bei aller kinematographischen Konkretheit, mit der meine Aufführung arbeitet.“ Mit anderen und kürzeren Worten „Anything flies!“
Der Gral ist für Serebrennikov „die Idee der Freiheit“ ganz allgemein. Wieso lässt er ihn dann von drei banal Zigaretten rauchenden Wachbeamten des Gefängnisses mit Gummiknüppeln am Gürtel wie zufällig aus einem Pappkarton holen, und auch noch von einem der ganz sicher völlig ahnungslosen Polizisten wie zufällig zur richtigen Musik in die Höhe heben, wie das eigentlich Amfortas tun sollte?! Wo ist da ein Freiheitsaspekt?! Sicher, für den Regisseur sind die Ritter alle Gefangene, das kann man so vielleicht sehen. Dann sollte der Gral aber eine klar erkennbare Freiheits-Konnotation bekommen. Und man vergesse nicht: Immerhin sind die Ritter so frei wie Lohengrin, hier und dann mal auszureiten und für das Gute und das Recht zu sorgen. Aber hier gibt es vom Mythos „auch gar keine Spur“…
In einem „dystopischen“ Kontext wollen sich die Gefangenen in dieser Produktion nach Serebrennikov eine „eklektische Religion“ schaffen. Also doch wieder eine Religion! Als eine Zusammenfassung seines Regiekonzepts könnte man seine folgende Überzeugung sehen: „Das oberste Gesetz für das Erzählen einer Geschichte gilt auch hier: Nicht vom vermeintlich harmonischen Ende her denken, sondern jeden szenischen Moment ergebnisoffen auszuloten.“ Und das bringt mich wieder an den Beginn dieser Analyse zurück. Wo bleibt da die Musik, die so herrliche Musik Richard Wagners?! Hat sie überhaupt noch eine Aufgabe bei Serebrennikov? Es ist eben doch dann nur Theatermusik und kein Musiktheater. Letzteres hätte er aber inszenieren sollen und wohl auch müssen. Sonst wäre sicher das Burgtheter auch eine Option gewesen.
Auf das dramatische Theater versteht Serebrennikov sich allerdings in der Tat ganz offenbar exzellent. Auch seine Personenregie in diesem „Parsifal“ ist sehr gut, nur eben im falschen oder nicht nachvollziehbaren Kontext. Wie eine dürftige Entschuldigung für seine Überzeugung, Wagners „Paersifal“ nicht einszueins zu illustrieren (was auch niemand verlangen würde) unterstreicht er am Ende des Aufsatzes noch kurz, dass er die christlichen Symbole ja durchaus auch zeige, den Kelch, den Speer und das Kreuz, „des Heilands selige Boten“. Den Kelch und seine bedauerlichen Erscheinungsumstände hatten wir ja schon. Der junge Parsifal verschwindet mit einem speerlosen Rucksack am Ende des 2. Aufzugs von der Bühne. Im 3. erscheint der echte Parsifal dann mit einem lieblosen schwarzen Eisenrohr als „Speer“. Vermutlich kam er an einem Schrottplatz vorbei. Und dem Kreuz wird in der Redaktion Klingsors recht übel mitgefahren, aber ja, es ist da – sogar beleuchtet, man sieht den Stecker und die Kabel!
Anja Kampe (Kundry), Wolfgang Koch (Klingsor). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Es gibt aber noch etwas wirklich Verblüffendes im Programmheft. Zum ersten Mal in meinem langen Opernleben lese ich da eine Inhaltsangabe „erzählt von Kirill Serebrennikow“ in der der Plot ganz aus der inszenatorischen und damit interpretatorischen Sicht des Regisseurs wiedergegeben wird. Ein erstmaliger Besucher des „Parsifal“ bekommt also schon gleich beim ersten Mal eine ganz andere Geschichte vorgesetzt als jene, die Wagner einst dichtete und komponierte und die auch eine enorme Rezeptionsgeschichte hat. Und sowas an der Wiener Staatsoper! So wird man, wenn man das weiter betreibt, in der Tat die Opernbesucher auswechseln und ein Publikum heranbilden, das sich gar nicht mehr mit dem Werk, wie es einmal erdacht und konzipiert wurde, auseinandersetzt. Was zählt, ist dann nur noch die Sicht eines Regisseurs, so übertrieben und out of sight er auch immer sein mag. Und das hat in der Tat einen Hauch von künstlerischer Dogmatik. Ein sehr unerfreulicher Weg…
Wenn er in dieser oder ähnlicher Weise weiter beschritten wird, sehe ich das Ende der Oper als Kunstform langsam kommen. Sie wird dann ein Auslaufmodell, weil die immer groteskeren und plakativeren Interpretationskonzepte das Publikum mit den dennoch weiterhin über drei bis fünfeinhalb Stunden Konzentrationsanforderung und Sitzfleisch nicht mehr werden halten können. Das ist durch die Informationsflut am Handy und die immer kürzere Dauer von Unterhaltungsclips und Sketches durch das Internet, was auch eine Reduktion der Konzentrationszeit zur Folge hat, dann nicht mehr zu halten. Schnelligkeit wird am Ende zum alles beherrschenden Maßstab. Deshalb sollte die Oper meines Erachtens wieder auf ihre Sinnlichkeit und Sinngebung in Bezug auf das Leben zurückkommen. Denn letztlich sind es ja allzu oft auch Teile von Biografien großer Komponisten, die hier vertont wurden und aufgrund des Universalcharakters dieser Werke eine anhaltende Bedeutung auch für unser aller Leben und Zusammenleben haben können. Und das Ganze wird in künstlerisch ansprechender Form durch Musik und Darstellung auch noch in veredelter und unterhaltsamer Form vermittelt!
Anja Kampe (Kundry, Brandon Jovanovich (Parsifal) und Wolfgang Koch (Amfortas). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Last but not least ein paar Kommentare zum umfangreichen Versuchen am Ende des Programmheftes von Ilya Kucharenko und dem Dranmaturgen des „Parsifal“, Sergio Morabito in einem Aufsatz mit dem Titel „Serebrennikov als Musiktheaterregisseur“ dessen Verdienste um diese Kunst zu würdigen, als ob es da einer nachhaltigen Begründung bedürfte. Aber ja, es ist ja auch so. Da wird zuerst einmal unterstrichen, dass er völlig angstfrei an eine Inszenierung herangeht und sein Produktivität vor nichts Halt macht. Dann wählte er zunächst einige unbekanntere Werke vor allem des russischen Fachs aus, um nicht in den Kontext vorangegangener Inszenierungen einzutreten und sich zudem – sic! – weniger auf Sänger zu stützen als vielmehr auf Schauspieler und Performer, die immer wieder zum Einsatz kamen. Er wählte später eher Partituren, die größere Partien für SD Schauspieler vorsehen, oder er dachte sich diese Rollen selbst aus, lud auch Starschauspieler aus Theater und Kino ein. Und nun kommt es: „Den Sängern vertraute Serebrennikov keinerlei Storytelling an, dieses Recht blieb den Schauspielern, Tänzern, Performern sowie den Bühnenbildnern und Videokünstlern vorbehalten.“ Tiefgreifende und originelle Deutungsansätze sollen sich bei diesen Aufführungen aus dem unerwarteten Zusammenstoß disparater Medien und Kontexte entwickelt haben. Von der Publikumsreaktion ist nichts zu lesen. In Wien an diesem Abend war sie ungewohnt ablehnend. Sofort nach dem 1. Aufzug gab es heftige Buhrufe aus Parkett und Rängen. Ähnliches wiederholte sich nach dem 2. Aufzug. Nach dem 3. kam dann nur noch Applaus. Aber ich denke, nach dem musikalischen Schluss des „Parsifal“ ist eine Buhen schlicht nicht möglich.
Philippe Jordan spannte einen einnehmenden Kangteppich über diese kontroversen Abend aus, der für einiges entschädigte, aber gleichwohl nicht wenige Besucher davon abhielt, das Haus nach dem 1. oder 2. Aufzug zu verlassen. Am Ende war es recht leer. Man merkte Jordan im Hervorheben besonderer Momente, auch durch längere Pausen und einen guten Spannaungsaufbau seine in Bayreuth gewonnene „Parsifal“-Erfahrung an. Aber irgendwie lief die Musik neben dem so ungewöhnlichen und sich kaum erschließenden Geschehen nebenher. Dafür konnte weder Jordan noch das bestens aufspielende Orchester der Wiener Staatsoper etwas. Wolfgang Koch war für mich des beste Sänger des Abends mit seinem prägnanten, nuancenreichen und ausdrucksstarken Bassbariton gleich in zwei Rollen, Amfortas und Klingsor. Georg Zeppenfeld sang den Gurnemanz mit viel Detail und Ausdruck sowie bestens nuanciert, obwohl hier und da etwas mehr Volumen schön gewesen wäre. Das hätte René Pape gehabt, der ja absagen musste. Brandon Jovanovich, der erst Anfang November einen starken Siegmund in Berlin sang, war mit dem Parsifal etwas überfordert. Offenbar liegt für ihn die Partie etwas zu hoch. So konnte es auch kein Legato geben, und er brillierte eher in den dramatische Momenten mit der Kraft seines Heldentenors. Anja Kampe war eine einnehmende und souveräne Kundry, wie immer von starker Bühnenpräsenz und mit einer schönen Mittellage. Hier und da war sie nicht ganz homogen in der Stimmführung, und bei einigen Spitzentönen im 2. Aufzug an der Grenze. Wolfgang Bankl gab einen guten Titurel aus dem off. Nikolay Sidorenko spielte wie schon in der Premiere den jungen Parsifal. Die Nebenrollen waren wie immer gut besetzt. Der von Thomas Lang einstudierte Chor und Extrachor der Wiener Staatsoper machte einen besonders guten stimmlichen Eindruck und konnte, da choreografisch kaum gefordert, sich voll und ganz auf das Singen an der Rampe konzentrieren. Ein zwiespältiger Abend an der Wiener Staatsoper, und ich glaube zu ahnen, das dieser Produktion nicht mehr Zeit als jener von Alvis Hermanis beschert sein wird. Das wäre dann ein zweiter teurer Fehlgriff bei „Parsifal“ im Haus am Ring in kurzer Zeit.
Klaus Billand, 19.12.21