Wien: „Eugen Onegin“ am Nationalfeiertag

Wiener Staatsoper, 26.10.2021

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Schon bei der Premierenserie wurde vielerorts festgestellt, dass es für Besucher der Galerie und auch von einem Großteil des Balkons unmöglich ist das Geschehen auf der Bühne halbwegs korrekt zu verfolgen, da der „Kasten“, in dem die Handlung stattfindet, einerseits zu weit nach unten abgedeckt ist und zusätzlich noch wichtige Handlungsstränge eher im Hintergrund stattfinden. Für Besucher auf den (nicht mehr ganz so) billigen Rängen ist das eine Zumutung. Wäre der Direktion eine Perle aus der Krone gefallen, wenn man den riesigen Tisch in der 1., 2., 3. und 5. Szene um 5 Meter nach vorne platziert? So bleibt einerseits ein schaler Beigeschmack, da berechtigte Bitten des Publikums ignoriert wurden, andererseits wird man um die wirklich gute Personenführung von Regisseur Dmitri Tcherniakov gebracht. Wer wie ich die DVD dieser Produktion zu Hause hat weiß, wie viele Nuancen hier erarbeitet wurden, sei es jetzt für den Chor oder auch natürlich für die Hauptdarsteller. Es ist eine vertane Chance…

Über die Inszenierung haben andere Kollegen schon viel geschrieben, daher möchte ich mich kurz halten. Neben der großartigen Personenführung möchte ich meine persönlichen „Highlights“ hervorheben.

  • Im Vergleich zu anderen Produktionen wird die Figur der Olga viel mehr in den Vordergrund gerückt – sie wird hier als leichtlebige Person gezeigt, die an Lenski nicht wirklich interessiert scheint. Und es bricht einem fast das Herz, dass während „Kuda Kuda“ sie ihrem Verlobten nicht einen einzigen Blick zuwirft und stattdessen ihren verlorenen Ohrring sucht. In diesen Momenten wird einem das tragische Schicksal des Dichters so richtig vor Augen geführt.
  • Um bei Lenski zu bleiben – er wird als ein Mensch gezeigt, der von Anfang an zum Zerreißen gespannt ist (die englische Sprache kann das besser ausdrücken – „he was on the edge“), von niemanden wirklich ernst genommen wird (vielleicht sogar mit der Ausnahme von Onegin), immer mehr zum Getriebenen wird. Insofern macht es auch Sinn, ihn in dieser Produktion das Couplet des Triquet singen zu lassen. Dieser Auftritt hatte schon wirklich tragische Züge (und ich fand den Seelenzustand da gar nicht so weit entfernt von dem des Canio in Pagliacci). Und die „Gesellschaft“ trieb ihn sogar zum Duell. All dies sind Feinheiten der Inszenierung. Dass es nicht wirklich zu einem Duell kommt, sondern im Rahmen einer Rangelei um das Gewehr ein Schuss losgeht, der ihn tödlich verletzt, passt auch zu dieser tragischen Spirale des Niedergangs.

Zu den musikalischen Darbietungen – ich bleibe gleich beim Interpreten des Lenski, Bogdan Volkov. Er verbuchte an diesem Abend einen großen persönlichen Erfolg und erhielt von allen Beteiligten den meisten Zuspruch des Publikums. Sicherlich hat man schon eindringlichere Sänger in dieser Rolle gehört, trotzdem bestach er durch eine sehr gute Phrasierung und ein großartiges Schauspiel. Andrè Schuen legte wieder einmal eine Talentprobe ab, war vielleicht nicht ganz so beeindruckend als vor drei Wochen als Conte Almaviva, aber die positive Entwicklung seiner Stimme ist nicht abzusprechen. Figürlich und auch vom Habitus ist er aber ein perfekter Onegin. Schuen gehört sicherlich zu den besten Neuzugängen der Ära Roscic und ich bin mir sicher, dass er dem Publikum noch viele beeindruckende Opernabende bieten wird. Etwas enttäuschend und seltsam blass empfand ich Dimitry Ivashchenko als Gremin. Nach seiner sehr beeindruckenden Vita hätte ich mir einen profunderen Bass vorgestellt. Sein Gremin hatte die Ausstrahlung eines Buchhalters und es bleibt ein Rätsel, wie er es einst schaffte die Tatyana für sich zu gewinnen.

Dan Paul Dumitrescu wäre vielleicht da sogar die bessere Besetzung gewesen, so gab es für den Saretzki eine Luxusbesetzung. Seit vielen Jahren liebt das Wiener Publikum seinen samtigen Bass, was auch beim Schlussapplaus zu hören war. Thomas Köber war ein wohltönender Vorsänger, der Triquet – wie oben beschrieben seines Couplets beraubt – wurde von Eduard Wesener dargestellt. Die Larina wurde von Helene Schneidermann gesungen und hinterließ keinen wirklich bleibenden Eindruck, Larissa Diadkova entsprach auch stimmlich der Filipjewna.

Anna Goryachova hat ein sehr dunkel gefärbtes, typisch slawisches Timbre, das meinem persönlichen Geschmack sehr entgegenkommt. Schauspielerisch war sie ebenfalls sehr präsent.

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Elena Guseva. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Nachdem die ursprünglich vorgesehen Sängerin der aktuellen Serie absagen musste, sprang dieses Mal Elena Guseva als Tatyana ein. Dies ist die fünfte Rolle, die sie an der Wiener Staatsoper singt. Eine der Schwierigkeiten jeder Sängerin ist die, dass sie glaubhaft sowohl ein junges, naiv-schwärmerisches Mädchen als auch eine um zehn Jahre ältere Fürstin, die entsprechend mehr Lebenserfahrung hat, darstellen muss. An diesem Abend klang ihre „Fürstin“ glaubhafter. Schauspielerisch überzeugte sie auch als junges Mädchen, aber Gusevas Stärken lagen eindeutig in den dramatischen Ausbrüchen, das lyrische Element blieb ein wenig auf der Strecke.

Tomas Hanus leitete das gut disponierte Orchester der Wiener Staatsoper. Für meinen Geschmack hätte er seine Interpretation etwas schwelgerischer anlegen können, phasenweise klang alles ein wenig „trocken“, teilweise schon distanziert. Der Chor der Wiener Staatsoper, der ja der Retter dieser Aufführungsserie ist, machte wieder einmal eine ausgezeichnete Figur – Thomas Lang kann sehr stolz auf seine Künstlerinnen und Künstler sein.

Abschließend noch eine Anmerkung – Bogdan Roscic betont immer wieder, dass er neue Inszenierungen einkauft, damit er ein jüngeres Publikum erreicht. Nun, einer meiner Neffen beginnt sich gerade für die Kunstform „Oper“ zu interessieren (er ist 27 Jahre alt) und ich baue ihn behutsam auf. Als Vorbereitung für diesen Abend zeigte ich ihm die Aufzeichnung einer Produktion der Met mit Hvorostovsky und Fleming – eine klassische Inszenierung. Ich fragte ihn dann, welche Produktion er bevorzugt. Nun, es gefielen ihm beide, es war für ihn sehr interessant, wie kleine Nuancen in der Personenführung eine Geschichte anders erzählen können (Beispiele habe ich oben beschrieben). Aber im Prinzip sagte ihm die Inszenierung der Met mehr zu.

Kurt Vlach, 30.10.21