16.11.2013 – – Premiere
Hilsdorf ist friedlich geworden
Verdis „Il Trovatore“ war einmal eine beliebte Repertoire-Oper. Das bedeutet, dass sie nicht nur oft regulär auf dem Spielplan stand, sondern immer wieder auch als Ersatz herhalten musste, wenn eine andere Oper infolge Erkrankung eines wesentlichen Protagonisten nicht gespielt werden konnte. So war das auch in Wien, denn spätestens seit Herbst 1963 – also genau vor 50 Jahren – verfügte auch das Haus am Ring nach der Wiedereröffnung über eine praktikable, repertoiretaugliche und zeitlose Inszenierung, als Herbert von Karajan seine Salzburger Festspielproduktion aus Salzburg hierher transferierte. Und ähnlich der „Tosca“ könnten wir diese Oper noch heute problemlos spielen, hätte der vorige Direktor diese Inszenierung nicht – um Punkte beim deutschen Feuilleton zu holen – gegen ein Regiemonster (Stichwort Flakturm) des ungarischen Filmregisseurs Istvan Szabo (1993) eingetauscht, die so unpraktisch war, dass man sie nach 42 Vorstellungen 2001 absetzte, sodass es seit nunmehr fast 13 Jahren das Werk in Wien nicht mehr zu sehen gab. Nach der etwas merkwürdigen Festwochen-Produktion im Theater an der Wien, mit der jetzt die Berliner „glücklich“ werden dürfen, war es nun an der Volksoper, eines der populärsten Werke in einer Produktion der Oper Bonn wieder ins Repertoire zu nehmen. Wieder deshalb, weil diese Oper schon öfter – zuletzt in einer deutschsprachigen Produktion aus dem Jahre 1961 – auf dem Spielplan des Hauses stand.
Die gestrige Premiere begann mit einem Auftritt von Direktor Meyer, der mitteilen musste, dass sowohl die vorgesehene Sängerin der Azucena, Janina Bächle, als auch deren Cover erkrankt sei. Es hätte sich aber “die zufällig in Wien weilende” ehemalige Volksopern-Sängerin Chariklia Mavroupoulou bereit erklärt, einzuspringen. Da die Künstlerin schon seinerzeit die Premiere in Bonn gesungen hatte, blieb uns auch die heute in solchen Fällen übliche Unsitte erspart, dass die ursprüngliche Sängerin stumm auf der Bühne agiert und die Einspringerin am Bühnenrand singt. Normalerweise entzieht sich eine so kurzfristige Einspringerin – sie erfuhr am Vormittag davon – der Kritik, was jedoch bei Frau Mavroupoulou nicht nötig ist. Sie war nämlich im Grunde die Beste des Abends. Mit ihrem sehr sauber geführten, schöntimbrierten Mezzo – gelegentliche Schärfen in der Höhe seien ihr nachgesehen – war sie die bühenbeherschende Persönlichkeit. Natürlich kann sie genauso wie ihre Partner kaum bis gar nicht mit großen Interpretinnen und Interpreten der Vergangenheit – ich bleibe dabei, daß dieser Vergleich entgegen der Ansicht mancher erlaubt sein muß – mithalten, aber es war für heutige Verhältnisse eine gute abgerundete Leistung. Die zweite Dame auf der Bühne, Melba Ramos (Leonora) begann etwas unsicher mit einem gewissen Flackern in der Stimme, steigerte sich aber dann insbesonders in ihrer zweiten Arie und der Schlußszene zu einer ordentlichen Leistung.
Stuart Neill – bereits Scala-erprobt – wirkte als Manrico zwiespältig. Obwohl an sich nicht mit einer schöntimbrierten Stimme gesegnet, war dort, wo er aus dem „Vollen“ schöpfen konnte, durchaus präsent, hatte aber in den lyrischen Passagen leider gewisse Probleme. Das Herzstück seiner Rolle, die Stretta, gelang ihm passabel. Die schwächste Leistung des Abends bot jedoch Tito You als Luna. Mit seiner fast zu hell timbrierten Stimme gelang es ihm kaum, wirklich zu phrasieren. Da klang vieles verwaschen und in der Höhe wurde die Stimme immer dünner. Yasushi Hirano war ein präsenter, aber etwas rauhstimmiger Ferrando. Eva Maria Riedl (Inez) und Christian Dresche (Ruiz) ergänzten.
Der von Thomas Böttcher einstudierte Chor sang seine „Schlager“ zufriedenstellend.
Wenig kam aus dem Orchestergraben. Enrico Dovico neigte in den langsamen Passagen etwas zum schleppen während in den rascheren Teilen der Drive und die Dramatik fehlten. Die Musik plätscherte irgendwie dahin.
Zum Schluß noch einige Worte zur Inszenierung. Sie machte zumindest nicht unglücklich. Dietrich W. Hilsdorf spielte das Werk natürlich nicht – horribile dictu – im 15. Jahrhundert, sondern siedelte es meinem Gefühl nach irgendwo zwischen 1. Weltkrieg und spanischem Bürgerkrieg an. Im Grunde fand das Stück statt, auch die Bühnenbilder (Dieter Richter) ließen die Schauplätze erkennen und die Kostüme (Renate Schmitzer) waren tragbar. Natürlich gab es eine Reihe von Ungereimtheiten. So spielte die 2. Szene nicht in einem Park, sondern in Leonoras Schlafzimmer und Luna und Marico mussten über eine Leiter durch das Fenster einsteigen. Besonders schlimm wurden die Ungereimheiten im 6. und 7. Bild. Den Chorpart der Stretta sangen nicht, wie im Libretto vorgesehen, die Mannen Manricos, sondern die Soldaten Lunas, was natürlich den Text („All’armi, all’armi! eccone presti a pugnar teco, teco a morir – Führ’ uns zum Kampf! Siegen wollen wir oder sterben mit dir!“) sinnlos macht. Am Ende der Stretta nimmt Luna Manrico fest. Im 7. Bild (wie das 2. Bild) muss dann Leonora ihre Arie mit verbundenen Augen singen und Luna, der von Beginn an auf der Bühne ist, dirigiert dann beim „Miserere“, ein Weinglas in der Hand haltend, mit – Manrico – auch auf der Bühne anwesend – wird von einem Luna-Soldaten mit der Pistole am Kopf zum Mitsingen „gezwungen“. Während der Brückenpassage im Duett geht dann Leonora Luna an die Wäsche, während er sie dann im zweiten Teil des Duetts auszuziehen beginnt. Natürlich fehlen auch gewisse Accesoires des zeitaktuellen Theaters nicht. So kommt Manrico zu seiner Arie mit einem Koffer auf die Bühne, in dem sich Leonoras Brautkleid befindet, dass er ihr während der Arie anzieht (Merke: Singen allein ist auf der Bühne heute ein absolutes No-Go) und Leonora muss mehrfach im Negligee herumlaufen.
Am Ende fiel der Applaus nicht so stark aus wie sonst bei Premieren, verdienten Jubel gab es natürlich für die Einspringerin. Das Regieteam kam mit mattem Applaus, durchsetzt mit eingen Buhs und den darauf unvermeidlichen Bravos davon.
Heinrich Schramm-Schiessl
(mit freundlicher Genehmigung MERKER-online, Wien)
Foto: Volksoper / Barbara Palffy