Wien: „Der Wildschütz“

Premiere am 21. April 2013

oder ein unmoralisches Angebot

Nicht mit der Ouvertüre, sondern gleich „in medias res“ lässt Dietrich W. Hilsdorf den Premierenabend der Wiener Volksoper beginnen. Kein langsames Herantasten also, sondern gleich mitten hinein in die Hochzeitsgesellschaft des Schulmeisters Baculus und seiner viel zu jungen Braut Gretchen. Der Wildschütz oder ein unmoralisches Angebot, so wird vom Regisseur die am Silvestertag des Jahres 1842 in Leipzig uraufgeführte Albert Lortzing-Oper benannt (das war übrigens genau drei Tage vor der Premiere von Richard Wagners Fliegenden Holländer). Soll so sein, obwohl der ursprüngliche Zusatz (Die Stimme der Natur) öfter im Libretto vorkommt als der Titel des Hollywood-Blockbusters. Aber bitte, der Film mit Robert Redford und Demi Moore mit dem Thema Verkauf der eigenen Frau für teures Geld (die 5.000 Taler aus dem Wildschütz würden heute 150.000 EUR wert sein) ist trotz seiner 20 Jahre wohl dem Publikum bestens bekannt und Routinier Hilsdorf hatte auch schon andere Opern ebenso umgetitelt (z.B. erhielt Die Entführung aus dem Serail den Zusatz „Szenen aus dem besetzten Wien“).

Überrascht wurde man von diesen Spielereien aber nicht, denn Hilsdorfs Konzept (als Co-Regisseur war Ralf Budde tätig) kannte man schon von seinen Arbeiten am gleichen Werk in Chemnitz und Bonn, die vorliegende Produktion entstand auch in einer entsprechenden Kooperation mit diesen beiden Häusern. Da konnte man doch schon eher froh sein, dass das Genre deutsche Spieloper endlich wieder an der Wiener Volksoper gespielt wird, die letzte Wildschütz-Premiere gab es ja bereits vor ziemlich genau 30 Jahren! Wenn man zu den teilweise abstrusen Libretti im Operettengenre ja sagt, dann muss man sich auch über die verworrene Verwechslungs- und Nichterkennungsgeschichte im Wildschütz trauen. Und immerhin gilt Lortzing ja als Begründer der deutschen Volksoper, also ein Bravo zur Stückwahl. Eine interessante Anregung aus einem Pausengespräch: Vielleicht kann man sich sogar zu einer Lortzing-Trilogie aufraffen und bringt auch den Waffenschmied und Zar und Zimmermann wieder.

Zurück zur Premiere: Die vielen Freiheiten, die sich das Inszenierungsteam nahmen, störten den Handlungsablauf zwar in keiner Weise, machten aber auch nicht gerade viel Sinn und brachte keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn fürs Publikum. Ob das Paar Baculus-Gretchen schon verheiratet ist oder erst in einer Woche Hochzeit hat (wie ursprünglich im Libretto geschrieben) macht nicht viel Unterschied, auch die fehlende zeitliche Kongruenz der Handlung (die Hilsdorf im Jahr 1842 statt 1803 spielen lässt) mit den Kostümen Renate Schnitzers (beide eher ins Fin de siecle passend, aber wenigstens mit viel Geschmack und Liebe zum Detail) kann man ebenso durchgehen lassen wie die Tatsache, dass zu dieser Zeit auch auf einem Grafenschloss keine elektrische Beleuchtung (die im Rahmen der Handlung eine wichtige und explosive Rolle spielt) vorhanden war. Das sehr realistische Bühnenbild von Dieter Richter muss positiv erwähnt werden, ebenso ein nettes Detail der Jagdgesellschaft: Die beiden Hunde mit ihrem erheiternden Gebell und das sogar fast im Takt! Leider könnte der durchaus vorhandene Witz von Lortzing an diesem Abend doch noch deutlicher erkennbar werden, der Haushofmeister Pancratius (da konnte auch ein sonst verlässlicher Gernot Kranner nichts daran ändern) schrammte hinkenden Fußes mit steirischem Dialekt knapp an der Grenze zur Outrage und Peinlichkeit vorbei. Die Dialoge waren in der Regel wortdeutlich zu verstehen, wenngleich die nicht gerade 100-prozentige Akustik der Volksoper da ihre Tücken hat.

Auch soll hier nicht am üblichen inszenatorischen Schwachsinn gebeckmessert werden. Diese Inszenierung ist kein Schocker und tut keinem Abo-Besucher wirklich weh, volksoperngerecht halt. Mit der im Finale sich ankündigenden Revolution der Jahre 1848/49 hatte Hilsdorf schlussendlich auch seine politische Aussage untermauert (völlig zu Recht, denn Lortzing galt als gewichtiger Unterstützer der Freiheitsbewegung der damaligen Zeit). Viel störender als all die kleinen Kinkerlitzchen fiel die Trägheit des Handlungsflusses ins Gewicht, die leider auch von der makellosen musikalischen Leitung Alfred Eschwés nicht verdrängt werden konnte. Noch mehr Striche und Kürzungen würden hier gut tun, genügend Arbeit für die Dramaturgie des Hauses. Denn: Drei Stunden Lortzing sind in dieser Form einfach zu lange. Nimmt man sich am Hause dieses Problems an, dann sollte aber dem Stück eine lange Laufzeit sicher sein.

Dass der Abend zum Erfolg wurde, verdankt die Volksoper diesmal in erster Linie dem zauberhaften Sängerensemble. Allen voran Lars Woldt, der einen Baculus der Sonderklasse darstellte. Schon lange nicht hörte man einen Bass mit diesem Volumen, dieser Textdeutlichkeit und mit einer so enormen Bühnenpräsenz. Als umjubelter Höhepunkt stach natürlich die Paradearie über die besagten 5.000 Taler heraus, aber auch in allen anderen Szenen war es eine reine Freude sich am Spiel und profundem Bass des ehemaligen Volksopern-Ensemblemitglieds (seit zwei Saisonen ist er fix im Haus am Ring) zu ergötzen. Chapeau!

Aber auch Mirko Roschkowski, der bereits in Bonn den Baron Kronthal gesungen hatte und zuletzt an der Volksoper neben Annette Dasch in Madame Pompadour überzeugte, konnte mit seinem lyrischen Tenorschmelz punkten. In der Höhe strahlend, stets auf Linie singend, eine sympathische Erscheinung durch und durch, was will man für diese Rolle mehr. Gerne würde man ihn in Mozarts Tenorrollen wiederhören. Leider konnte man diese positiven Anmerkungen beim Grafen von Eberbach nicht in gleicher Weise anbringen. Daniel Ochoa bringt zwar die von Lortzing geforderte Jugend mit, aber die Stimme blieb leider über weite Strecken spröde und obertonarm. Auch konnte man nur schwer erahnen, dass dieser Graf viele Gemeinsamkeiten mit Mozarts Grafen in der „Nozze“ hat, zu harmlos ging er seinen amourösen Abenteuern nach.

Die Baronin Freimann, die in Studentenkleidern auftritt und wieder in ein Mädchen zurückverwandelt wird, um den Grafen, der in Wirklichkeit ihr Bruder ist, zu umgarnen, liegt in den bewährten Händen von Anja-Nina Bahrmann. Die quirlige Rheinländerin wusste was zu tun ist, um der lebenslustigen Dame das rechte Profil zu geben. Gesanglich hatte sie natürlich mit dieser Rolle niemals nur den Funken eines Problems, perfetto! Die Ensembles (die im übrigen an Donizetti erinnerten, dessen Werke zur selben Zeit enstanden, Don Pasquale etwa ein Jahr nach dem Wildschütz) wurden in nicht aufdringlicher Weise von Bahrmanns Sopran dominiert, auf ihre weitere Karriere kann man wirklich sehr gespannt sein. Alexandra Kloose fand als Gräfin eine geglückte Mischung aus frustrierter (älterer) Gattin des Bonvivants gepaart mit der eigenen Begierde nach Erotik und Liebe, die in der exaltierten Hinwendung zu antiken Tragödien ihr Ventil sucht. Elisabeth Schwarz hatte als junges Gretchen das Pech, dass ihr Ehegatte speziell in den ersten Szenen so sehr auf die Tube (sprich die Lautstärke) drückte, dass keine Ausgewogenheit in den Duetten der beiden zu spüren war. Der feine und klare Sopran der gebürtigen Salzburgerin mischte sich nicht so nur wenig mit der mächtigen Basstimme von Woldt, was aber auch den Altersunterschied der beiden verstärkt erkennen ließ.

In der kleinen Rolle des Kammermädchens der Baronin machte Christina Sidak auf sich aufmerksam und man kann gespannt sein, was die junge Wienerin aus größeren Partien macht. Claudia Goebl, Sera Gösch, Manuela Leonhartsberger und David Busch komplettierten das Solistenensemble, der Chor war inklusive Kinderchor gut vorbereitet, in Sachen Spielfreude sah man die Damen und Herren aber schon geforderter. Das Orchester wurde wie bereits erwähnt um eine nette Ouvertüre gebracht, Routinier Alfred Eschwé motivierte das Volksopernorchester zu einer kompakten Wiedergabe, auch die einzelnen Soloeinwürfe passten perfekt. Nach reserviertem Beginn bejubelte das Publikum das gesamte Team, extra Applaus für Woldt, Roschkowski und Bahrmann, keine Buhs für das Leading team. Auf jeden Fall eine Empfehlung für Liebhaber nicht so häufig gespielter Opern.

Ernst Kopica

Fotos: Copyright Barbara Pálffy/Volksoper Wien