Besuchte Premiere am 13.01.13
W olfgang Fortner galt einst als einer der wichtigen deutschen Komponisten seiner Zeit, seine Oper "Bluthochzeit" nach der gleichnamigen Tragödie von Federico Garcia Lorca (UA 1957 in Köln) war eine der meistgespielten zeitgenössischen Werke der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts in deutschsprachigen Ländern. Seither ist es still geworden um Komponist und Werk (die letzte Premiere war 1984 in Düsseldorf). Wenn jetzt die Wuppertaler Bühnen die Oper auf den Prüfstand stellen, so belegt das wieder einmal die These, daß das wichtige und spannendste Theater mitunter in der sogenannten Provinz stattfindet.
1950 komponierte Fortner für Karl Heinz Stroux in Düsseldorf die Schauspielmusik zu Lorcas nach Vertonung schreiendem Schauspiel und entwickelte quasi aus dieser Keimzelle die Oper für Köln (es gibt eine CD-Aufnahme unter Günter Wand davon). Der Oper merkt man diese Herkunft zweifelsohne an, denn wichtige Solopartien werden von Schauspielern besetzt, die auch ein wenig singen, während die Sänger auch zwischen Gesprochenem und Gesungenem wechseln müssen. Den Vorbildern Schönberg und Berg in die Atonalität folgend, gibt Fortner Text und Musik gleiches Gewicht, wie beim großen "Wozzeck", vielleicht zwar ohne die Genialität Bergs zu erreichen, doch das Ergebnis ist echtes, spannendes Musiktheater. Leichtes, spanisches Kolorit wird in die Musik projiziert.
Das Bühnenkonzept und die Inszenierung von Christian von Götz sind schlicht und werkdienlich: das Theater findet nach vorne gezogen auf dem Orchestergraben statt, während das Orchester erhöht auf einem Podium von der Bühne den „Soundtrack“ liefert, was für die wichtige Wortverständlichkeit absolut richtig ist. Hilary Griffiths leistet mit dem Sinfonieorchester Wuppertal wirklich Großes, die Verbindung zwischen Orchester und Darstellern bleiben stets eng ineinander verzahnt, die schwierigen Einsätze zwischen Sprechtheater und Musikdrama werden fließend beachtet, die Ausgewogenheit zwischen Textverständlichkeit und aufwallender Sinfonik hervorragend austariert. Götz inszeniert den Lorca/Fortner schlicht vom Blatt weg und bedient sich dabei der starken Persönlichkeiten der Darsteller. Ein Trennvorhang mit der Fassade einer Hochhaussiedlung und Ulrich Schulz` zeitgenössische Kostüme suggerieren Aktualität, in der lyrisch-symbolischen Flucht- und Todesszene wird alles noch einmal passend reduziert und das Augenmerk ganz auf die Darstellung, die Musik der Sprache und die Sprache der Musik gerichtet. Die Szene macht einen einfachen und konzentrierten Eindruck. Indes wäre der Abend nichts ohne seine Darsteller – man möchte zwar sagen, es ist Dalia Schaechters Vorstellung, doch eigentlich hinkt niemand hinter ihr zurück. Schon das erste, verhärmte Wiegen der dominierenden Rolle der Mutter macht klar, wer das Zentrum auf der Bühne darstellt. Von den schlichten, zarten Tönen bis zum hochdramatischen Schmerzensschrei schöpft die Sängerin ihre Möglichkeiten aus, um das ergreifende bis erschütternde Portrait dieser traumatisierten Frau darzustellen.
Vom Wuppertaler Schauspiel liefert Ingeborg Wolff mit nahezu gespenstischer Intensität und hervorragender Sprechtechnik als Nachbarin/Bettlerin/Tod den szenischen Gegenpol, diese Frau verursacht mir echte Gänsehaut mit ganz wenigen Mitteln. Sehr stark die Damen des Wuppertaler Musiktheaters: Banu Böke mit teilweise somnambulem Gestus und leuchtendem Sopran als Braut, Joslyn Rechter mit präsentem Mezzo als erdige Magd und Miriam Ritter mit fast zurückgehaltener Tongebung als ahnende Frau Leonardos, der von Thomas Laske mit strahlendem Bariton von gar nicht immer unsympathischem Machismo gezeichnet wird. Gregor Henze nutzt den schwierigen Sprechpart des Bräutigams, um den menschlichen Antipoden auf starke Weise als schwachen Charakter zu geben. Martin Koch singt den wundervollen Part des Mondes mit durchaus auch einmal fahlen Farben. Annika Boos gefällt mit prägnanter Soubrettenstimme als Kind, während Cornelia Bergers Alt Leonardos Schwiegermutter rollengerecht auch alt klingen läßt. Das Ensemble mit den vielen Solopartien aus Schauspiel, Chorsolisten und natürlich dem wirklich großartigen Wuppertaler Chor füllt sämtliche Rollen prägnant und mit farblicher Akkuratesse. Szenisch schultert die Tänzerin Verena Hierholzer in der Partie des Dämon, der die mitgeschleppte Vergangenheit der Handelnden darstellt, den Abend mit ihrer Intensität wesentlich.
Wirklich ein Musiktheaterabend aus einem Guß, der manchen Zuschauer vielleicht noch bis in die Träume verfolgt. Das gut besuchte Haus feierte einen echten, verdienten Premierentriumph. Eine Vorstellung, die man sich durchaus noch ein zweites Mal anschauen sollte, ich jedenfalls werde versuchen, einen weiteren Termin für mich zu finden.
Weitere Informationen und Termine: www.wuppertaler-buehnen.de
Martin Freitag
Redaktion: Frank Becker
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