Vorstellung am 06.10.2021
Sie gilt als DER Sex and Crime Thriller am Opernfirnament: Puccinis musikdramaturgisch so konzis konzipierte TOSCA. Da ist keine Note zuviel oder zuwenig, die Handlung läuft mit einer nicht zu überbietenden Stringenz ab. Puccini und seine Librettisten zeichneten die Charaktere mit Genauigkeit und Plausibilität in einem klar gesetzten historischen Raum. So hat es jede Inszenierung schwer, wenn sie diesen Raum verlässt und der Oper TOSCA ein neues Setting verpassen will. Denn für Erklärungen und Ausführungen eines übergestülpten Konzepts lässt die knapp und bühnenwirksam gehaltene Partitur schlicht keine Zeit. Das Team um den Regisseur Robert Carsen (Ausstattung: Anthony Ward, Licht: Davy Cunningham) schien sich dieses Problems bewusst gewesen zu sein, wollte aber doch die TOSCA aus einem neuen Blickwinkel zeigen – und scheitert. Mit dem alten Trick des Theaters auf dem Theater wollte man das Leben einer Diva assoluta (Anspielung auf die bedeutendste Interpretin dieser Rolle: Maria Callas) in der Rolle der der Sängerin Floria Tosca zeigen. Doch es funktioniert einfach nicht. Denn für diese Verdoppelung der Story hätte man mehr Zeit gebraucht, und die gibt die Komposition eben nicht her. Mit Pelzmantel und Sonnenbrille, umschwärmt von affektierten Autogrammjägern sieht man die Diva im ersten Akt.
Es ist Probe und Cavaradossi liest den Text seiner Arie noch vom Blatt ab. Der zweite Akt zeigt eine Bühnenprobe hinter dem eisernen Vorhang, der dritte spielt auf derselben Bühne, aber mit geöffnetem Vorhang, so dass sich die Diva nicht von der Engelsburg, sondern in den Orchestergraben (im Bühnenhintergrund) stürzen kann. Ich habe die Inszenierung seit der Premiere vor 12 Jahren gemieden, doch nun versprach die Besetzung der drei Hauptrollen dieser Wiederaufnahme musikalisch ein Ereignis zu werden. Dies trat ein – und wie! Da standen eine Sängerin und zwei Partner auf der Bühne, die das ganze Setting vergessen liessen und sich mit Haut und Haar ihren Rollen hingaben. Die weltweit (von der Met über Wien bis München) in dieser und anderen Rollen gefeierte Sonya Yoncheva ist eine ideale Tosca. Sie beherrscht die Stimmungsschwankungen dieser Frauengestalt von der Mimik, der Gestik bis in die Stimmbänder hinein perfekt. Mal rasend vor Eifersucht, dann wieder kokett, mal Opfer von Gewalt und Erpressung, dann heroisch durchtriebene Mörderin am Despoten Scarpia, mal religiös, dann wieder Liebende und ihren Mario leidenschaftlich Begehrende. Frau Yoncheva durchschreitet all diese Facetten mit subtiler Gestaltungskraft und dem gebotenen Verismus in den stimmlichen Ausbrüchen, die verzweifelten Schreie dringen durch Mark und Bein. Doch da bekommen auch die träumerischen Passagen (in der Ariette Non la sospiri la nostra casetta ) ihren Platz. Wunderbar steigert sie sich in die hoffnungsvolle, naive Emphase im Duett vor Cavaradossis Hinrichtung. Die grosse Arie Vissi d’arte singt sie mit tief empfundener Verzweiflung, obwohl sie wie eine Zirkusartistin im Scheinwerferkegel stehen muss. In einem Film könnte man ausloten, welhalb eine Operndiva das Scheinwerferlicht sucht und zugleich hasst, aber wie gesagt, dazu lässt die Partitur keine Zeit. Herzzerreissend ist Yonchevas …che io pianto im ersten Akt, nachdem sie von Scarpia von Cavaradossis (angeblicher) Untreue erfahren musste. Der französische Chansonnier Gilbert Bécaud wurde wegen seines Teperaments Monsieur 100’000 Volt genannt – Sony Yoncheva ist an diesem Abend Madame 100’000 Volt! Temperament hat auch ihr Geliebter, der Maler und Voltaire-Anhänger Mario Cavaradossi. Der weiltweit gefragte Tenor Joseph Calleja darf seinen wunderbaren stimmlichen Schmelz nun endlich auch einmal in Zürich präsentieren. Sein Porträt des Malers begeistert. Höhensicher, strahlend, mit Humor im ersten, heroisch-kraftvoll aufmüpfiger Haltung in der Folterszene (Vittoria-Rufe!) im zweiten und melancholischem Abschiedsschmerz im dritten Akt (E lucevan le stelle) sorgt er für tenorale Highlights. Thomas Johannes Mayer als Scarpia sorgt mit dem mephistophelischen Auftritt im ersten Akt und dem mächtig intonierten Va, Tosca und dem anschliessenden Te Deum – Unisono zusammen mit dem gewaltigen Chor der Oper Zürich für Gänsehaut. Meisterhaft setzt er den Sardonismus Scarpias im zweiten Akt um, der sich zur brutalen psychischen Folter Toscas steigert. Gerade diese Auseinandersetzung zwischen Scarpia und Tosca im zweiten Akt fährt auch dank der Personenführung und der Darstellungkraft der beiden Protagonisten unheimlich ein. In den kleineren Rollen überzeugen die Ensemblemitglieder des Opernhauses Valeriy Murga als Scristano, Martin Zysset als Spoletta und Stanislav Vorobyov mit sonorem Bass als Angelotti. Claire Schurter intoniert die Weise des Hirten mit der gebotenen Schlichtheit, wunderschön intoniert aus dem Off. Paolo Carignani steht (wie bei der Premiere vor 12 Jahren) am Pult der Philharmonia Zürich und zusammen begeistern sie mit einer wunderbar feinfühlig ausgehorchten Interpretation von Puccinis so meisterhaft angelegten Partitur. Wuchtig erklingt das Scarpia-Motiv, welches die Oper gnadenlos eröffnet und den Zuhörer in einen unentrinnbaren Gefühlsstrudel zieht. Aber auch die nuancenreichen Zwischentöne, die wenigen kontemplativen Ruhepunkte erklingen unter Carignanis exzellenter Stabführung mit wunderschöner Plastizität und Emotionalität. Das Solo der Klarinette zur Einleitung von Cavaradossis Arie im dritten Akt ist ein Traum!
Der verdiente Jubel für die Ausführenden war gross – zu Recht! Und wie gesagt: So umgesetzt stört das Inszenierungskonzept dann fast nicht mehr.
Kaspar Sannemann, 8.10.21
Foto (c) Monika Rittersbusch