Aufführung am 24.7.22 (Derniere) – Festspielhaus
Nach den großen Erfolgen von Gioachino Rossini an der Mailänder Scala, und vor allem seiner „Gazza ladra“ 1817, vertraute die Leitung des Hauses dem Komponisten die Saisoneröffnung 1819 an. Rossini versicherte sich für das Textbuch des Librettisten Felice Romani, der schon bei „Il turco in Italia“ für ihn gearbeitet hatte.
Als Basis bediente sich Romani der französischen Tragödie „Blanche et Montcassin“ aus 1798. Es geht um die wegen einer Erbschaft verfeindeten großen venezianischen Familien Contareno und Capellio; ersterer will aus Gründen der politischen Karriere dieser Lage ein Ende setzen und verspricht die Hand seiner Tochter Bianca dem in sie verliebten Capellio. Dieser geht auf den Handel ein, aber als der nicht aus großem Hause stammende Falliero von einer für Venedig ruhmreich geschlagenen Schlacht zurückkehrt, muss Contareno entdecken, dass Bianca die Heiratspläne zurückweist, weil sie und Falliero ein heimliches Paar sind. Contareno setzt heftige Mittel – vor allem psychischen Druck – ein, um Bianca umzustimmen, die zwischen der Liebe zu ihrem Vater und der zu ihrem Gefährten hin- und hergerissen ist. Falliero glaubt, an Biancas Standhaftigkeit zweifeln zu müssen, ein Fluchtversuch der beiden wird vereitelt und Falliero wegen Hochverrats vor das dafür zuständige „Gericht der Drei“ gestellt. Bianca fleht für den Geliebten, und zum Erstaunen ihres tobenden Vaters entscheidet Capellio, das Urteil dem Senat vorzulegen, der den jungen Mann freispricht. Das führt zu einem Happyend, in dem Bianca das aus „La donna del lago“ (im selben Jahr entstanden) stammende finale Rondo singt (wieder einmal hatte sich Rossini bei sich selbst bedient). Offen bleibt die Frage, warum Romani sich für einen der Vorlage nicht entsprechenden glücklichen Ausgang entschieden hat. (Im Vorwort zur gedruckten Ausgabe lässt der Autor die Möglichkeit durchscheinen, in einer Art vorauseilenden Gehorsams der österreichischen K.k.-Zensurbehörde zuvorgekommen zu sein).
Das Werk hatte an der Scala zunächst einen lauwarmen Empfang erfahren, doch bald tat der Mundfunk seinen Dienst, und es kam in der selben Spielzeit zu einer hohen Zahl von neuerlichen Vorstellungen. Es sollte die letzte für die Scala geschriebene Oper bleiben, aber vor Rossinis endgültigem Umzug nach Paris schrieb er noch zwei Werke für Neapel, eine für Rom und eine für Venedig, nämlich „Semiramide“. Vergleicht man letztere kühne Arbeit mir der hier besprochenen, so muss festgestellt werden, dass diese auf klassischeren Bahnen entwickelt ist, aber dennoch Neues enthält, vor allem das den ersten Teil beschließende Quartett der vier Protagonisten.
Festspieldirektor Bernd Loebe, bekanntlich auch Intendant der Frankfurter Oper, hat diese Produktion aus seinem Haus importiert, wo sie im Frühjahr 2022 Premiere hatte. Das Bühnenbild von Karoly Risz besteht aus kreisförmigen Wänden, die sofort das Gefühl der Eingeschlossenheit und Beklemmung Biancas transportieren. In den zwischen modern und zeitlos changierenden Kostümen von Susanne Uhl lässt Regisseur Tilmann Köhler ein Psychodrama in stringenter Personenführung ablaufen, in dem auch der Chor als seine Meinung je nach Anlass wechselnde Masse einen zentralen Platz einnimmt. Nicht nur überflüssig, sondern sogar störend waren die Videos von Bibi Abel, die aus unerfindlichen Gründen sich verkrampfende Hände, die mit Lippenstift hantierende Bianca und Ähnliches zeigten. Ohne diese könnte man von einer perfekt gelungenen Regie sprechen.
Ganz ausgezeichnet war das musikalische Niveau, beginnend beim Dirigenten Simone Di Felice, der das Orchester der Tiroler Festspiele Erl zu einer brillanten, federnden Interpretation von Rossinis Musik führte. Überzeugend kompakt der Festspielchor, wieder von Olga Yanum einstudiert. Großen persönlichen Erfolg hatte Heather Phillips als Bianca. Die Amerikanerin ist im Besitz eines sehr reinen lyrischen Soprans, mit dem sie auch die virtuosen Stellen souverän bewältigte. Dazu gesellte sich eine sehr expressive Darstellung, was sie mit ihrem Falliero, der russischen Mezzosopranistin Maria Ostroukhova, verband. Auch hier stieß hochinteressantes stimmliches Material auf eine überzeugende technische Leistung. Die für heutige Ohren schwierigste Rolle hatte der Amerikaner Theo Lebow als rachsüchtiger Vater Contareno, den Rossini einem Tenor anvertraut hat, der seinen Zorn in Koloraturen und heute oft als unsingbar betrachtete sovracuti packen muss. Eine von dem Künstler vorzüglich bewältigte Aufgabe. Der Bass von Giovanni Battista Parodi (Capellio) klang ziemlich ermattet, doch stellte er szenisch seinen Mann. Als Doge ergänzte verlässlich Bozidar Smiljanic, in mehreren Kleinstrollen fiel Carlos Cárdenas mit hellem Tenor und viel Spielfreude auf.
Ganz großer Jubel eines fast ausverkauften Hauses.
Eva Pleus 29.7.22
Bilder: Xiomara Bender (Roi Arthus); Bender/Tiroler Festspiele Erl (Bianca e Falliero)