Premiere: 21.12. 2019. Besuchte Vorstellung: 28.12. 2019
Gefragt, wieso sie immer wieder Operetten inszeniere, weist Nicole Claudia Weber darauf hin, dass sie in ihrer Kindheit am Wochenende bei ihrer Oma auf dem Sofa saß und im Fernsehen Operetten anschaute. Der Effekt war unvergesslich: „Da konnte ich mich richtig reinfallen lassen und die Welt war in Ordnung“.
Als 1926 Kálmáns „Zirkusprinzessin“ die Wiener und die Berliner Theaterwelt eroberte, gab es genügend Gründe, sich an die „gute alte Zeit“ zu erinnern, in der die Geschichte spielt. 1912: zwei Jahre, bevor der erste Weltkrieg begann (der der genialen Untergangs- und Durchhalteoperette der „Csárdásfürstin“ eine besondere Stimmung verlieh), befand man sich noch im Ausklang des „fin de siécle“, dem zumindest die Kostüme der Hofer Produktion einiges verdanken. Denn Götz Lanzelot Fischer hat den Herren und Damen des kleinen Opernchors und den Solisten Kleider an den Leib gezaubert, die durchaus etwas hermachen: eher hell am Tage, konsequent schwarz an den Abenden, an denen die Geschichte des „Mr. X.“, der angebeteten Fürstin Fedora Palinska und des eifersüchtigen Prinzen Sergius Wladimir, aber auch der komischen Gestalten zu ihren Höhepunkten kommt. Diese ist hausgemacht, d.h: Julius Brammer und Alfred Grünwald haben 1926, versehen mit den Libretti des „Bettelstudenten“ und der eigenen „Gräfin Mariza“ wie der „Csárdásfürstin“, eine Mixtur hergestellt, die freilich von der gelegentlich sich selbst zitierenden Kálmán-Musik geadelt wird – denn dem Schmelz der „Zwei Märchenaugen“ und dem Witz der lustigen Nummern sich zu entziehen dürfte keinem Operettenfreund leichtfallen. Altbekannt ist auch die Grundidee (und die Optik) der Inszenierung, die drei Akte – auch das Hotelbild – in einem Circusrund spielen und immerzu Clowns auftreten zu lassen. S’ist halt eine „verkehrte Welt“, in der sich die Figuren, freilich auf paradoxe Weise, standesgemäß tummeln: der falsche Erzherzogssohn wie der richtige Mann von Adel. Man hat’s erst vor fünf Jahren genau so im Gärtnerplatz gesehen. Hier darf sich das gute Ballett des Theaters Hof, spielerisch choreographiert von Barbara Buser, immerzu als Clowntruppe in die Szene werfen und die Zwischenmusiken akzentuieren.
Das Ganze soll in einem Zirkus spielen, der abgerissen werden soll – die Idee bleibt ein Vorwand für die pure Dekoration, was poetische Szenen nicht ausschließt: es ist in der Tat sehr schön, wenn eine bunte Clownsfrau den Tenorhelden bewundert, der gerade sein Auftrittslied, diese Operettenversion des „Lache, Bajazzo“, zu singen hat. Dafür begleiten neun schwarzgewandete Herren (nicht im Frack, sondern in ihren schneidigen Circusuniformen) den Sopran. Sophie-Magdalena Reuter und Minseok Kim harmonieren in ihren Duetten denn auch prächtig; man hört schon, dass sie, nur sie, zusammen gehören, auch wenn der Tenor ein bisschen braucht, um sich auf seine schöne Höhe und in seine Sicherheitszone zu singen. Unterstützt werden sie übrigens von einem Orchester, das zu großen Teilen unter einem Deckel sitzt. Nun ja, Bayreuth ist nur 50 Autominuten entfernt… Trotzdem hat, man muss es leider wieder schreiben, Yvonne Prentki, die die Wiener Hundedresseuse spielt (leider ohne Hunde, aber auch Pferde sind auf dieser Bühne nicht zu sehen), wieder Schwierigkeiten, sich vokal bemerkbar zu machen. Diese Stimme muss einfach noch dynamisch wachsen, bevor man Endgültiges über sie sagen kann.
Setzt die Inszenierung nicht auf das Übliche, das im besten Sinne Routinierte, das beim Publikum dieses Abends gut ankommt, so findet sie tatsächlich zu eigenen Deutungen. Das erste Liebesduett zwischen Fedja Palinski und Fedora Palinska wird nicht herausgebrüllt, sondern ist eher, weil’s doch „wirklich“ um die Liebe geht, also „pour l’amour“, von der Melancholie des Verzichts geprägt. Statt „Mädels im Trikot“, auf die der Connaisseur gehofft hat, gibt’s Clowns zu sehen, und wenn die Husaren ihren berüchtigten und nicht erst seit der MeToo-Debatte problematischen Vergewaltigungsmarsch anstimmen, haben sie größte Schwierigkeiten, die Birkenstämme zu heben, die ihnen gerade leichthändig von der Circuscompagnie überreicht wurden: Offensichtlich „kriegen sie ihn“, trotz präpotentem Gehabe, „nicht hoch“. Kein Wunder, dass Thilo Andersson hier mit voller Absicht nicht wie üblich den Komiker markiert, sondern den intriganten Großfürsten als durch und durch ernste, unangenehm beglatzte Figur auf die Bühne stellt. Der feine Schluss des ersten Teils aber heißt: Tanz und Kuss. Und über allem wabert der ewige Nebel.
Und der Pfiff! Denn Markus Gruber hat als „Sohn des Erzherzogs Karl“, diesem Nebenzentrum der Verwirrungen, denen am Ende der Intrigant selbst zum Opfer fällt, einen komischen, extrem wienerisch inspirierten elan vital, der das Publikum rockt. „Komm mit nach Budapest“: Es wird zum Klatschmarsch im Schlussapplaus, der auch daran erinnert, dass eine gelungene Operetten-Aufführung auch vom Buffopaar abhängt. „Lise, Lise, komm mit mir auf die Wiese“ – diesem herzigen Walzer sich zu entziehen ist ebenso unmöglich wie von den lyrischen Höhepunkten des „Hohen Paars“ nicht berührt zu werden, obwohl Sophie-Magdalena Reuter eine extrem jugendliche, ja fast noch mädchenhafte Fürstin spielt, die im dritten Akt plötzlich wie eine Halbweltdame der Zwanziger am Tisch des „Erzherzog Karl“ ihren Champagner trinkt: auch sie eine Art Außenseiterin, die lieber einen scheinbaren Gaukler zum Mann nimmt als sich auf die Konventionen eines untergehenden Adelshauses zu versteifen.
Das Alles wäre, trotz Hinweis auf die (angeblich) selbstbestimmten Frauen dieser Operette und die sozialen Zustände vor und nach 1914, vielleicht nur der Talmi, der einen Karl Kraus so fürchterlich ätzen ließ, wäre da nicht die Autonomie der Musik. Ab dem zweiten Akt gehorcht die Dramaturgie des Stücks einer Revue – und der Konvention des dritten Akts mit seinem Dritteaktkomiker. Hier spielt Thomas Hary den baumlangen Oberkellner im Etablissement, der zusammen mit seiner verehrten Wirtin die entzückende Parodie eines „echten“ Wiener Lieds zu singen hat. Er macht das nicht ganz übel, während Stefanie Rhaues Carla Schlumberger geradezu original wienerisch daherzukommen scheint. Der Rest ist Beifall, auch fürs Orchester, das Kálmáns wunderbare Partitur mit ihren Instrumentaleffekten zwischen dem ungarischen Sound der Csárdásfürstin und den flotten Rhythmen der Zwanziger unter dem Chefdirigenten Walter E. Gugerbauer beherzt zum Klingen bringt.
Kein Wunder: der Mann ist Österreicher. Da muss so ein Stück ja klingen, auch wenn Mr. X. nicht, wie einst Hubert Marischka, selbst die Violine spielte, bevor er sich mit dem Pferd in die Tiefe stürzte. Aber man kann ja nicht alles haben – die Violine tönt auch in Hof sehr schön aus dem Orchestergraben.
Frank Piontek, 30.12. 2019
Fotos: © Harald Dietz Fotografie