Hof: „Der Leuchtturm“

Premiere am 16. März 2019

Peter Maxwell Davies

Lassen Sie uns erst einmal ein paar Gedanken über Angst machen und versuchen wir dabei ehrlich zu sein. Keine Angst, es dringt nichts nach draußen, wir unterhalten uns ja auch nur virtuell. Wir alle haben diese Ängste, oft unbegründet, vor Spinnen, vor Schlangen, vor dem dunklen Keller. Und dann gibt es diese eine Angst, die uns wirklich bedroht, die Angst vor Kontrollverlust…

Schattenspiele

Ein Gelehrter bezieht sein Zimmer in Italien. Auf dem Balkon entdeckt er eine faszinierende Dame, die Poesie. Und er entdeckt seinen eigenen Schatten neben ihr. Zunächst spielt er mit seinem Schatten, aber als der Schatten sich selbstständig macht und nicht mehr zurückkehrt übermannt ihn ein Angstgefühl. Er reist zurück nach Dänemark.
Eine Prinzessin langweilt sich dort und beschließt aus einer Laune heraus zu heiraten. Der Schatten kehrt zu seinem „Erzeuger“ zurück. Dieser bittet ihn von seiner Zeit mit der Poesie zu berichten. Der Schatten willigt ein, aber nur unter der Bedingung, dass er einst sein Schatten war. Beide sind zu einem Empfang bei der Prinzessin eingeladen. Der Schatten zeigt sich als Mann von Welt, ja er bringt den Gelehrten dazu, sich selbst als seinen Schatten zu bezeichnen. Immer mehr gerät der Gelehrte in die Rolle des Untergebenen. Der Schatten verweigert ihm das Du, duzt den Gelehrten aber selbst. Nachdem der Schatten seine Hochzeit mit der Prinzessin verkündet, reißt dem Gelehrten der Geduldsfaden, es kommt zum Eklat mit tragischem Ausgang.

Hans Gefors schrieb seine Oper 2005 anlässlich des 200. Geburtstages von Hans Christian Andersen. Dessen Märchen „Der Schatten“ trägt viele autobiografische Züge. So verweigerte ein Freund Andersens ihm das vertraute Du, auch seine lebenslange Suche nach, stets unerwiderter Liebe, schwingt in diesem Märchen mit. Hans Gefors stellt der tragischen Handlung eine leichte, fast schon frivole Musik gegenüber. Anklänge an den Impressionismus‘ Debussys und Ravels sind ebenso gegenwärtig wie spätromantische Klänge. Annette Mahlendorfs Ausstattung, zwei weiße Podeste im Vordergrund, ein weiteres schwarzes in der Tiefe der Bühne, reichen aus, um die unterschiedlichen Handlungsorte zu visualisieren.

Karsten Jesgarz ist der Gelehrte, ein Gutmensch, wie er im Buche steht. Sein Grundsatz „Ein guter Mensch macht die Welt schön, eine schöne Welt macht die Menschen gut“ wird zur Basis seines Untergangs. Durch das Ausblenden, ja das Leugnen des Bösen, kann sich sein Schatten erst vermenschlichen, die Macht über ihn an sich reißen. James Tolksdorf gibt den Bösen, charmant und gefällig. Der Teufel singt die schönsten Lieder, so gewinnt er das Herz der Poesie, Stefanie Rhaue, wie immer stimmlich überzeugend, hier statuarisch im Kostüm der Kalliope geführt, ist das Gegenteil der quirligen, naiven und sehr wohlgenährten Prinzessin. Inga Lisa Lehr scheut sich nicht diesem Prinzesschen Leben einzuhauchen, auch wenn diese Figur insgesamt unsympathisch bleibt.

Regisseur Uwe Drechsel hat ein Ensemble, und mit dem Bassisten Rainer Mesecke als Hans Christian Andersen in einer Sprechrolle, zur Verfügung, das neben hervorragenden Stimmen auch über das darstellerische Können verfügt, um dieses schwierige Sujet glaubhaft auf die Bühne bringen kann.
Last, but not least,

Ewelina Kukushkinas Choreografie mit Mitgliedern des Jungen Theater Hofs, Angélique Kittel und Noah Amann, trägt auch in nicht geringem Maße zum Erfolg der Oper bei.

Der Leuchtturm

Dezember 1900, Eilan Mòr, Äußere Hybriden. Das Versorgungsschiff Hesperos landet auf der Insel um den Leuchtturm mit Alltagsgütern und einer Ablösung zu versorgen. Sie finden den Leuchtturm in einem gepflegten Zustand und intaktem Leuchtfeuer vor. Allein von der dreiköpfigen Besatzung fehlt jede Spur. Eine spätere Untersuchung in Edinburgh schließt den Vorfall folgender Maßen ab. „Nach sorgfältiger Untersuchung (…) wird als wahrscheinlichste Ursache für das Verschwinden der die Männer angenommen, dass sie sich am Nachmittag des 15. Dezember alle in unmittelbarer Nähe des westlichen Entladestelle begeben haben und dass dann eine unerwartet hohe Sturmwelle über die Insel gekommen und eine gewaltige Wassermasse sie mit unwiderstehlicher Gewalt hinweggespült hat.“ Einer der Leuchtturmwärter vermerkte in seinem Tagebuch, dass die See nach einem Sturm wieder ruhig sei, auch andere Seeleute berichten, dass es zu dieser Zeit keinen kein Sturm gegeben hätte. Bis heute gibt es keine plausible Erklärung für das Verschwinden der Leuchtturmwärter.

Die Musik für die zweite „Horroroper“ dieses Doppelabends unterscheidet sich eklatant. Peter Maxwell Davies schrieb einen Soundtrack der jeder Stephen King Verfilmung zur Ehre genügen würde. Drei Marineoffiziere stehen vor Gericht und müssen sich erklären und verteidigen. Ihre Aussagen sind widersprüchlich und ihre nüchternen Schilderungen weichen phantastischen Vorstellungen des Bösen.
Soweit die Rahmenhandlung, der eigentliche Horror entsteht allerdings im Inneren des Leuchtturms. Hier schuf Annette Mahlendorf eine knapp fünf Quadratmeter große Plattform, der Lebensraum der drei Leuchtturmwärter. Die drei unterschiedlichen Charaktere und die klaustrophobische Enge erzeugen Spannungen untereinander. Um diesen Konflikt zu mildern, sollen Liedergesungen werden. Und damit beginnt der Schrecken Gestalt anzunehmen. Diese Lieder unterstreichen zu Beginn stets den offensichtlichen Charakter der Figur, offenbaren dann aber das wahre Wesen. Blaze, James Tolksdorf, beginnt mit einem Folksong über einem Kriminellen, Sandy, Minseok Kim, eine zarte Liebesromanze und Arthur, Rainer Mesecke, einen frommen Choral. Aber alle diese Lieder bringen die verdrängte Vergangenheit des Einzelnen an die Oberfläche. Blaze ermordete eine Frau um sie auszurauben. Diese Tat schob er seinem Vater unter, der daraufhin gehängt wurde. Sandy verging sich an einem kleinen Mädchen und brachte einen Zeugen, einen kleinen Jungen, um. Arthur offenbart seine falsche Religiosität in der er seinem Fanatismus freie Bahn lässt. Diese verborgenen Aspekte der Persönlichkeit manifestieren sich in den Bestien, die sie aus dem Meer aufsteigen sehen.
War in den Schattenspielen durch sehr geschickte Beleuchtung kein realer Schatten auf der Bühne zu sehen, wurden im Leuchtturm bewusst produzierte Schattenbilder zu einem Sinnbild für die Bedrohung der hauchdünnen Folie, die wir so gerne Zivilisation nennen.
Uwe Drechsel ist ein Regisseur, der mit allen Wassern gewaschen ist. Ihm gelingt es, zusammen mit seinem, auch im zweiten Teil des Abends mehr als überzeugendem, Ensemble verborgene Ängste zu visualisieren, den Zuschauer in den Strudel der Schrecken hineinzuziehen.
Der Abend endete unter großen Beifall für alle Beteiligten und lieferte wieder einmal den Beweis, dass moderne Klassik durchaus publikumstauglich ist.

Alexander Hauer20.3.2019

Bilder von H. Dietz Fotografie, Hof