Aufführung am 12.8.18 (Premiere)
Haus für Mozart
In einem Essay im Programmheft zu dieser Produktion stellt Autor Erwin Jans fest, dass der für die Inszenierung verantwortliche Jan Lauwers kein Regisseur sei. Diese Feststellung wird etwas trotzig als positive Eigenschaft hervorgehoben. Nun sehen wir den Künstler im Clinch mit seiner ersten Opernarbeit, die erwartungsgemäß nicht das ist, was wir gemeinhin unter der szenischen Umsetzung einer Oper verstehen.
Lauwers setzt als im weitesten Sinne bildender Künstler (er ist auch für Bühnenbild und Choreographie verantwortlich, an letzterer hat auch Paul Blackman Anteil) die Tänzer des Bodhi Project & Sead mit Sarah Lutz als Solotänzerin seiner Needcompany ein. Die ganzen drei Akte hindurch wechseln verschiedene Tänzer in ständiger Drehung einander auf einer in der Bühnenmitte befindlichen Art Verkehrsinsel ab. Ich darf völlig ironiefrei feststellen, dass mich dieser ständige Anblick in eine Art Seekrankheit zu versetzen drohte, sodass ich meinen Blick auf den Vorderteil der Bühne beschränkte.
Dieser bestand aus einem die beiden Orchestergruppen trennenden Steg, auf dem sich die Sänger glücklicherweise überaus oft aufhielten. Auf diese Weise ist mir fast alles entgangen, was sich durch die Verdoppelung der Rollen auf Tänzerseite abgespielt hat. Der Boden, auf dem das Geschehen seinen Lauf nimmt, erinnerte mich mit seinen verschlungenen Leibern an Gemälde von Hieronymus Bosch – dem Programmbuch entnahm ich, dass es sich um Leichenberge von Neros unglücklichen Zeitgenossen handelte.
Da sich die Regie also in erster Linie auf die Tänzer konzentrierte, eine Fragen zu dem, was die Sänger zu tun hatten: Warum verkleidete sich Ottone nicht mit Drusillas Kleidern, um seinen Anschlag auf Poppea durchzuführen? Einige Momente waren geglückt, so etwa der Reigen, an dem die selig verliebte Drusilla teilnimmt, und besonders beeindruckend die Skulptur aus nackten Menschen, die wie eine Barockplastik die schlummernde Poppea umgaben. Der Sinn dessen, dass die Götter als Krüppel dargestellt wurden (eine weitere dem Programmheft entnommene Offenbarung), hat sich wohl nicht nur mir nicht erschlossen, ebenso wenig die Videos mit Grimassen schneidenden Mitwirkenden zu Beginn. Überzeugend hingegen die Mimik aller Mitwirkenden beim Schlussduett „Pur ti miro“, die sich zunächst schieflachen über dieses unwahrscheinliche Idyll, um dann in Angst vor kommenden Untaten Neros zu verfallen. Bei den Kostümen durften sich Lemm&Barkey austoben: Am wenigsten geglückt wohl die Kleidung Neros, die an einen jugendlichen Winnetou erinnerte.
Musikalisch durfte man aber sehr zufrieden sein, denn William Christie und seine Les Arts Florissants, Maestro vom Cembalo aus geleitet, bestätigten ein weiteres Mal ihren Ruf und ihre Qualität, auch hinsichtlich der phantasievollen Besetzung des Basso continuo. Die Sänger interpretieren mit großem Realismus, mehr als eine Phrase endet auch in einem Aufschrei. Die Stimme von Sonya Yoncheva als Poppea erwies sich als fast zu umfangreich für diese Musik, vor allem im Vergleich zum Nero der Kate Lindsey, die zwar untadelig sang, aber ihrer Figur erst gegen Ende Profil zu verleihen vermochte. Stilistisch war Yoncheva allerdings ebenso sattelfest wie Stéphanie d’Oustrac, auch sie mit einer den Rahmen fast sprengenden Stimme und einem herzzereißenden Abschied der Ottavia von Rom. Der Countertenor Carlo Vistoli hätte als Ottone einigen stimmlichen Nachdrucks bedurft, gefiel aber durch seinen szenischen Einsatz. Als Seneca gelang es dem Bariton Renato Dolcini, diese Bassrolle zu bewältigen, ohne seiner Stimme Gewalt anzutun; als Darsteller war er ideal für den philosophischen Vertreter der Stoa. Als Drusilla (und Virtù) erwies sich Ana Quintana als erfreulich frischstimmig. In den beiden von Männern verkörperten Ammenrollen war der dezente Auftritt von Marcel Beekman überzeugender als die Show, die der Counter Dominique Visse als Arnalta abzog. Lea Desandre war ein auch stimmlich quicklebendiger Valletto. Allen anderen Mitwirkenden, bei denen es keinen Ausfall gab, ein nachdrückliches Gesamtlob.
Ein Einzelkämpfer richtete ein paar Buhs auf Christie, für Lauwers gab es schon stärkeren Protest, der aber bald abebbte. Dennoch: Schwache fünf Minuten Schlussapplaus für dieses Großunternehmen zeugten nicht eben von überquellender Begeisterung.
Eva Pleus 15.8.18
Bilder: Salzburger Festspiele / Maarten Vanden Abeele