Am 16. Juni 2023 fand das letzte Sinfoniekonzert des hr-Sinfonieorchesters der Saison 2022/23 in der Alten Oper Frankfurt statt. Als Solist am Klavier trat der Koreaner Seong-Jin Cho auf, außerdem die besonders talentierte Sopranistin Benedetta Torre, die im letzten Satz der vierten Sinfonie von Gustav Mahler zu vernehmen war. Das Programm des Abends bot eine faszinierende musikalische Reise mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 in B-Dur, Op. 19, gefolgt von Mahlers Sinfonie Nr. 4 G-Dur.
Beethovens zweites Klavierkonzert ist ein bedeutendes Werk der klassischen Periode. Es zeichnet sich durch seine charmante Melodik und elegante Instrumentierung aus. Der erste Satz besticht durch seine lebendige Rhythmik und kontrastreichen Themen. Seong-Jin Chos Zugang zu Beethoven zeigte sich vornehmlich in der Ausformulierung der Klangschönheit und der technischen Virtuosität seines Parts. Hier lagen an diesem Abend vor allem die Stärken in seinem Klavierspiel. Technisch glänzte er mit Mühelosigkeit und präzisem Anschlag. In der fordernden Kadenz sorgte er für eine maximale Transparenz in der vorgetragenen Polyfonie. Das hr-Sinfonieorchester begleitete Seong-Jin Cho mit Verve und Aufmerksamkeit. Die klangliche Balance zwischen dem Solisten und dem Orchester war gut abgestimmt, wodurch die musikalischen Dialoge und Wechselwirkungen effektvoll zur Geltung kamen.
Der zweite Satz strahlte eine innige und introspektive Stimmung aus. Cho nahm sich in seinem Spiel dynamisch deutlich zurück und überzeugte mit feinen Nuancen in den leisen Passagen. Hier führte das hr-Sinfonieorchester den Pianisten mit sensibler Zurückhaltung und unterstützte seine zarten Klaviertöne mit einer sanften Streicherbegleitung.
Im dritten Satz entfesselte das hr-Sinfonieorchester gemeinsam mit Seong-Jin Cho eine energiegeladene Darbietung. Cho zeigte seine technische Versiertheit und die dynamische Ausgewogenheit in seinem Vortrag. Beethovens musikalischer Witz trat dabei leider recht deutlich in den Hintergrund. Ein technisch makelloser Vortrag, der mit geschöntem Klangsinn den Notentext wiedergab. Eine eigene gestalterische Handschrift, die unverwechselbar eindringlich sein könnte, gab es bei ihm (noch) nicht. Die orchestrale Begleitung unter Leitung von Alain Altinoglu zeichnete sich durch ihren rhythmischen Schwung und ihre lebendigen Orchesterfarben aus. Hier hatte das Orchester die Aufgabe, mit dem Pianisten im Wechselspiel zu stehen und seine virtuosen Passagen mit dynamischer Präzision und musikalischer Agilität zu begleiten. Das Publikum war sehr angetan von dem Vortrag, sodass es noch eine Zugabe erhielt.
Nach der Pause folgte Mahlers vierte Sinfonie, eine Komposition von besonderer emotionaler Tiefe. Altinoglu nahm es mit der Tempovorgabe „Bedächtig, nicht eilen“, nicht so genau und begann mit forschem Tempo. Dies ergab einen anderen und doch auch überzeugenden Charakter. Eine noch heitere, ungetrübte Lebensfreude. Der erste Satz wurde vom hr-Sinfonieorchester mit großer Sorgfalt und klanglicher Feinheit vorgetragen. Die subtilen Nuancen der Orchesterinstrumente wurden präzise herausgearbeitet, um die vielschichtige musikalische Landschaft dieses Satzes zum Leben zu erwecken.
Der zweite Satz wird durch eine höher gestimmte Geige verzerrt, um den Tod als groteskes Element darzustellen. Das hr-Sinfonieorchester interpretierte diese musikalische Idee mit intensiver Ausdruckskraft. Die Verzerrung der Geige, von Konzertmeister Ulrich Edelmann hinreißend gespielt, ergab eine unheimliche und ungewöhnliche Atmosphäre, die den Hörer in eine ambivalente Welt des Dunklen entführte.
Der dritte Satz wurde mit großer Ruhe gestaltet. Er erreichte in lyrischer Kantabilität einen gewaltigen Höhepunkt, der den Zuhörer ins hellste Licht tauchte. Nach gesetzten Akkorden brach das Orchester mit beeindruckender Intensität und Klangpracht aus, als würde der Himmel aufreißen. Die Wirkung dieses kraftvollen Momentes wurde durch das hr-Sinfonieorchester meisterhaft umgesetzt und erzeugte eine überwältigende emotionale Wirkung. Timing und Akzentgebung gelangen vortrefflich.
Der vierte Satz wurde von der Sopranistin Benedetta Torre mit einer qualitätsvollen Sopranstimme und tadelloser Technik vorgetragen. Ihr Solo bestach durch klare Intonation und einem nuancierten Ausdruck, der den Text von Friedrich Rückert auf eindrucksvolle Weise zum Leben erweckte. Torre verzauberte das Publikum mit ihrem warmen, lyrischen Gesang. Ihr dunkler, raumgreifender Sopran war ein Erlebnis und sorgte für besondere Wonnemomente.
Alain Altinoglu führte das hr-Sinfonieorchester mit großem Geschick und Einfühlungsvermögen durch Mahlers Sinfonie. Seine musikalische Interpretation und seine präzisen Gesten schufen eine enge Verbindung zwischen den Musikern. Unter seiner Leitung gelang es dem Orchester, die musikalischen Nuancen und Ausdrucksebenen des Werkes auf bestechende Weise zu erfassen. Die Konzentration im Klangkörper war sehr hoch und alle Solobeiträge gelangen in bester Weise. Das hr-Sinfonieorchester bestätigte nachdrücklich seine besondere Kompetenz für die Musik Gustav Mahlers. Mit Farbreichtum und feiner, sonorer Klangqualität wurde das bewegte Publikum beschenkt. Nach den verebbenden Schlusstakten gab es eine sehr lange Stille im Saal. Die Welt stand still und das Publikum zeigte sich durch das Erlebte noch völlig gefangen. Dann gab es ausdauernden Jubel für eine besonders geglückte Darbietung dieser herrlichen Sinfonie.
Dirk Schauß, 17. Juni 2023
Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur, op. 19
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 4 G-Dur
Seong-Jin Cho, Klavier
Benedetta Torre, Sopran
hr-Sinfonieorchester
Alain Altinoglu, Leitung