Besuchte Aufführung am 05.07.19 (Premiere am 28.06.19)
Operettenzauber auch bei Regen
Mittlerweile sind die "Festspiele im Schlossgarten" in Neustrelitz so arriviert, das sich an ein relativ unbekanntes Werk wie Emmerich Kalmans "Die Bajadere" gewagt werden kann. Eine Operette, die es absolut verdient hat, öfters in den Spielplänen aufzutauchen. Zum einen wegen der absolut hinreißenden Musik, für den Komponisten soll es sich sogar um sein Leiblingswerk gehandelt haben. Große schmachtende Melodiebögen, wechseln mit schmissigen Buffoduetten und Tanznummern. Es geht schon ein bißchen in die opernhafte Dramatik Lehàrs, sogar , na, man möchte es vielleicht nicht direkt Leitmotive nennen, doch wiederkehrende Melodien werden effektvoll in den Situation benutzt. Orientalismus trifft Wiener Operette und natürlich auch den ungarischen Csardas. Man geht unbedingt mit Ohrwürmern aus dem Abend. Das Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwald ist allerdings auch gekonnt verfasst: das Theater selbst wird zur Bühne und die Dialektik der Operettenhandlung in sich selbst gebrochen, ist es echt- ist es Kitsch. Ist es eine Handlung oder erleben wir das geschickte "Machen" einer Operette?
Pascale-Sabine Chevroton geht als Regisseurin geschickt mit diesem "Zwitter" um, läßt Genre und Augenzwinkern zu und erfreut Auge, ohr und Herz. Schon die geschmackvolle Ausstattung, für das Theater elegantes Schwarz- Weiß in Art Decò, für den indischen Prinzen kommt dann ein riesiger Ganesha (indischer Elefantengott) und leuchtende Sari-Stoffe dazu, die Bar im dritten dann in cocktailbunten Beleuchtungsvariationen alles garniert mit Balletteinlagen, dazu die wirklich wunderschönen und kleidsamen Kostüme. Die Ausstatterin Monika Biegler hat exzellente Arbeit geleistet.
Die Handlung geht natürlich um Liebe und Willen, der exotische Prinz mit Macho-Allüren trifft auf die schnippisch emanzipierte Operettendiva. Prinz Radjami von Lahore und Odette Darimonde, eine Augenweide zum Niederknien in der Verkörperung von Laura Scherwitzl und Andrès Felipe Orozco, zwei schöne Menschen in grandiosen Roben. Beide auch hervorragende Darsteller. Orozcos Tenor könnte manchmal etwas "voller" klingen, aber die leichten Höhenprobleme gleicht er geschickt mit einem Schlenker über die Kopfstimme aus, eigentlich eine alte Operettentradition (Rudolf Schock konnte das noch sehr gut). Scherwitzls sehr klarer Sopran mit gut fokussierter Höhe passt hervorragend zum etwas kühlen Charakter der Diva. Das Buffo-Paar wird hier gleich zu einem Terzett, denn die kapriziöse Marietta schwankt jeweils zwischen dem gerade anstehenden Gatten und dem Verehrer hin und her, das Gras auf der anderem Seite…
Viola Zimmermann gibt mit kernigem Mezzo eine sehr robuste Soubrette. Dazu Robert Merwald als Louis Philipp La Tourette mit angenehmem Bariton und distingierter Erscheinung und Bernd Könnes als Napoleon St.Cloche mit perfektem Tenorbuffo, letzterer ist ein echter Meister des Operettendialogs- und spiels, schon eine Klasse für sich. Man möchte einfach sagen Bernd Könnes, der kann es! Auch Volker Bleck als steppender Pimprinette, Chef der Claque, hinterläßt einen bleibenden Eindruck. Eine sehr schöne Idee die geheimnisvoll exotische Aura des Prinzen durch ein goldenes "Wesen" begleiten zu lassen, Nina Burri als goldene Schlangenakrobatin gibt auch in der großen Ballettszene noch einmal ein "Sahnehäubchen" oben drauf. Viele kleine Rollen sind aus dem wirklich hervorragenden Chor und Ballett besetzt und runden das Bild noch weiter ab. Panagiotis Papadopoulos weiß, wie man den üppigen Kalman-Klang zaubert, Rausch und Flottheit schön austariert. Das Orchester Neubrandenburg klingt einfach famos und die Sänger sind immer auf Linie.
Ein Beweis für die wirkliche Qualität der Aufführung ist, das nach Einsatz von leichtem , aber im ersten Teil dauerhaften Regen, ja wir saßen alle ganz brav in unseren Regenponchos, trotz kühler Witterung gefühlt niemand die Vorstellung verließ. Die Darsteller trotz großer Rutschgefahr mit Spiel, Tanz und Gesang durchweg gute Laune versprühten. Vielleicht hätte man noch etwas im Dialog kürzen können, doch nach drei Stunden gab es erst einmal langen, kräftigen Applaus, auch da wurden die Künstler gefeiert und keiner zischte schnell ab, außer natürlich das finale Feuerwerk.
Dem Operettenpublikum aus der Umgegend und Berlin sei, bei hoffentlich besserer Witterung, eine Aufführung in Neustrelitz unbedingt ans Herz gelegt. Immerhin war es sogar für Kalman-Fans aus Norwegen eine Anfahrt wert !
Martin Freitag 7.7.2019
Fotos (c) TOG / Jörg Metzner