Premiere: 19. September 2018
An sich ist es Musiktheater nach Motiven von August Strindbergs Drama „Fräulein Julie“, aber allzu viel vom Original soll man nicht erwarten, wenn man „Julie & Jean“ von Gerhard Schedl (1957-2000) sieht – und die Neue Oper Wien ermöglicht das 15 Jahre nach der Uraufführung von 2003, die ihrerseits drei Jahre nach dem Freitod des Komponisten erfolgte. Man hat die Produktion des Salzburger Landestheaters damals im Wiener „Klangbogen“ gesehen.
Dass Schedl und sein Librettist Bernhard Glocksin ihr Werk als „ein Match in 12 Runden“ (Spielzeit gut eineinhalb Stunden) bezeichnet haben, hilft eher beim Zugang. Wenn übrigens zu Fräulein Julie, an sich die schwedische Grafentochter und Strindbergs alleinige Titelheldin, noch der Bediente Jean in den Titel der „Oper“ gelangt, so hat man die dritte Figur, bei Strindberg nicht unwichtig (die Köchin Kristin, die mit Jean schläft und Julie für ihr Verhalten verachtet), gestrichen. Angereichert mit einem Chor und, in dieser Inszenierung, mit einer aufwendigen Choreographie in jenen Szenen, die als „Traumsequenzen“ dienen, ist man schon sehr weit vom Original entfernt.
Die Inszenierung von Carlos Wagner findet im Semper Depot statt, an sich ein stimmungsstarker Raum, wenn auch für die Zuschauer nicht ideal, das Bühnenbild von Andrea Cozzi ist vage, hat aber eine „Bar“, an der Jean wirkt, und am Ende ein Sofa zu bieten (wo Jean fernsieht!), vor allem aber Stoffbahnen, die herabsinken und für die choreographischen Verdoppelungen von Julie und Jean für Bewegungsmöglichkeiten sorgen.
Die Kostüme von Anna Kreinecker fallen für die Hauptdarsteller nicht aus den Rahmen und verwandeln den Chor in eine mondäne Partygesellschaft – warum den Herrschaften später „afrikanische“ Masken (gestaltet von Andrea Cozzi) aufgesetzt werden, scheint der offensichtlichen Tendenz der Regie geschuldet, jede Minute des Abends mit Bewegung und spektakulärer Optik zu füllen…
Fotos: Neue Oper Wien
Man bewegt sich also fugenlos auf drei Ebenen: Die Szenen des Chores sind textlich und musikalisch rein religiös gehalten, was auf Anhieb (und weil es damit beginnt) durchaus etwas Befremdliches hat. Das schwedische Mittsommernachtsfest, das im originalen Strindberg-Stück im Hintergrund wogt, bringt man mit Alkohol und Erotik, aber wohl nicht mit Religion in Verbindung. Schon damit erheben Autor und Komponist das Werk auf eine ganz andere Ebene. Auch in den Traumsequenzen von Jean und Julie, die letztendlich surreal sind. Ein bisschen vom Original findet man in jenen Szenen, wo Julie und Jean – meist in aller Aggressivität – auf einander losgelassen werden. Also: ein mixtum compositum.
Carlos Wagner sorgt für ununterbrochene Bewegung. Was nicht nötig wäre – denn es ist die Musik, die die Stärke des Werks ausmacht. Walter Kobéra, das amadeus ensemble-wien und der Wiener Kammerchor(Choreinstudierung Bernhard Jaretz) leisten Großes, um die Vielschichtigkeit, Kraft und Ausdrucksstärke der Musik zum Ausdruck zu bringen. Die übrigens über weite Strecken so gewaltig, sprich: laut ist, dass die Sänger keine wirkliche Chance haben, verständlich zu sein (dafür gibt es ein paar gesprochene Passagen): Aber vor allem Adrian Eröd tut diesbezüglich, was er kann – und als Sänger natürlich auch. Es ist bewundernswert und natürlich auch klug, sich außerhalb der Wiener Staatsoper (wenngleich ihm diese – man denke an Adès – auch Interessantes bietet) nach zusätzlichen Aufgaben umzusehen: Es ist künstlerisch ergiebig und bringt Erfolg auf anderen Ebenen.
Wo Anna Maria Pammer, bekannt für ihre Präsenz im „modernen“ Fach, an Spitzentönen und expressiven Ausbrüchen scheitert, so lässt sie doch an Intensität nichts zu wünschen übrig. Als wahrlich „geschmeidige“ Tänzer verdoppeln Pamina Milewska und Will Lopes die Schicksale von Julie und Jean, und es erstaunt, dass das Programmheft für ihre bemerkenswerten Kunststücke keinen Choreographen nennt. Das „surreale“ Element des Abends wird dadurch noch verstärkt. Der Applaus war sehr stark.
Renate Wagner 21.9.2018