Konzert am 18.11.2019
Sergio Tiempo (Klavier)
Modest Mussorgsky
Eine Nacht auf dem kahlen Berge
Sergej Rachmaninow
Variationen über ein Thema von Paganini op. 43
Gustav Holst
The Planets op. 32
Eine wechselvolle Geschichte hat Mussorgsky’s „Johannisnacht auf dem kahlen Berge“ hinter sich. Entstanden im Jahr 1867 ist dies ein zentraler Beitrag russischer Programm-Musik. Für die Komposition hatte Mussorgsky zunächst genaue Szenen formuliert, was alles während eines Hexen-Sabbats passieren soll. Obwohl Mussorgsky eine eigene komplette Partitur hinterließ, so war es der Komponist Nikolai Rimsky-Korsakoff, der das Werk umarbeitete und neu instrumentierte. Mussorgsky hatte zu seinen Lebzeiten große Probleme mit der musikalischen Form und vor allem mit der Instrumentierung. Rimsky-Korsakoff, der große Zauberer der musikalischen Instrumentation, war in seinen Fassungen von „Boris Godunow“ und eben der „Nacht auf dem kahlen Berge“ maßgeblich für den Erfolg der Kompositionen Mussorgsky’s verantwortlich.1886 wurde diese Version erstmals aufgeführt und war seither ein fester Bestandteil in vielen symphonischen Konzerten. Erst 1968 erschien die Original-Partitur in Druck. Es war Dirigent Claudio Abbado, der sich sehr für diese Fassung engagierte und sie auch aufnahm.
Im aktuellen Museumskonzert gab es nun also Gelegenheit, eben jene Originalfassung von Modest Mussorgsky zu hören. Die sog. Originalfassung wirkt reichlich verworren, ungeordnet in der Struktur, seltsam im Verlauf der Harmonien. Und so hinterließ diese Komposition auch bei den Zuhörern des Konzertabends mehr Irritation als Begeisterung. Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters gastierte der in St. Petersburg ausgebildete junge englisch-russische Komponist und Dirigent Alexander Prior. In seiner Interpretation ging es erkennbar um einen kompakten Orchesterklang. Gestalterische Impulse wußte er kaum zu setzen. Alles Schroffe und Derbe wirkte zahm und im Klang eher indifferent. Die oft zu plakativen und wild fuchtelnden Bewegungen des Dirigenten blieben ohne hörbares Ergebnis vom Orchester. Dieses hatte alle Hände damit zu tun, die anspruchsvolle Komposition zu realisieren. Dabei blieb es dann. Ein musikalischer Beginn des Abends mit angezogener Handbremse.
Am 07. September 1934 dirigierte Leopold Stokowski die Ur-Aufführung der Paganini-Variationen von Sergej Rachmaninov. 24 Variationen, die der berühmte Virtuose Niccolo Paganini in seinen 24 „Capricci für Solovioline“ selbst verfasst hatte.
Solist des Konzertabends in der Alten Oper Frankfurt war Sergio Tiempo, Schüler u.a. der großen Martha Argerich.
Die überaus fordernden technischen Schwierigkeiten wurden von Tiempo geradezu spielerisch bedient. In zugespitzten Tempi gab er der Musik sehr viel eigene Kontur. Im Kontrast dazu nahm er sich in den kantablen Momenten zurück, um der Melodielinie die notwendige Entfaltung zu geben. Tiempo nutzte viele Möglichkeiten, um die extreme Farbigkeit der Komposition in den Mittelpunkt zu stellen. Kraftvoll in den Akzenten und zumeist ausgewogen in der Dynamik. Und natürlich konnte Tiempo seine jugendliche Kraft nutzen, um auch das Bizarre und Diabolische des Werkes
klanglich zur Wirkung zu bringen. Wie Klangsäulen meiselte er das Dies-Irae Thema heraus, um im Finale der Komposition, wie ein Zauberer über die Tasten völlig mühelos zu eilen. Die überragende technische Fertigkeit von Tiempo fand berechtigt großen Zuspruch beim Publikum.
Zu sehr im Hintergrund ließ Dirigent Alexander Prior das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, so dass es primär als orchestrale Begleitung wirkte und weniger als impulsreicher Partner. Auch hier standen die plakativen Gesten des Dirigenten im akustischen Missverhältnis zum Orchester. Dieses überzeugte einmal mehr durch seine große Wandlungsfähigkeit und Flexibilität. Allerdings war es interpretatorisch kaum gefordert. Das Vielschichtige der Komposition und die große Kantabilität im Mittelteil blieb vom Dirigenten weitgehend ungenutzt.
Der überaus sympathisch, bescheiden wirkende Sergio Tiempo bedankte sich beim Publikum mit einer innig vorgetragenen Zugabe.
In der Zeit des ersten Weltkrieges schrieb der englische Komponist Gustav Holst seine groß angelegte Orchester-Suite „The Planets“. Die zwischen 1914-1916 entstandene Komposition war ursprünglich für zwei Klaviere vorgesehen. Der große englische Dirigent Sir Adrian Boult motivierte Holst, einige seiner Klavierkompositionen zu orchestrieren. Und so kam es dann 1918 zur von Boult dirigierten orchestralen Uraufführung.
Wohl kaum ein spätromantisches Werk hat die spätere Filmmusik derart stark beeinflusst, wie dieses Werk. Die großformatigen Klangspektren sorgten von jeher für starke Begeisterung. Sieben Planeten unseres Sonnensystems beschreibt Holst in seiner Komposition.
Von extremer Düsternis und stampfender Brutalität ist der Beginn mit dem Planeten Mars, dem Überbringer des Krieges. Maschinenartige Rhythmen, die in einer klangschwarzen Apokalypse enden. Extrem dann der Kontrast mit dem anschließenden Planeten Venus, dem Friedensbringer. Ein elegisches Hornsolo im Dialog mit feinsten Holzbläserfärbungen schaffen eine kontemplative Stimmung. Mit Merkur, dem geflügelten Boten, gibt es dann einen geschwinden Ritt durch alle Orchesterfarben in breitem dynamischen Panorama. Der Überbringer der Fröhlichkeit tritt dann in Form des Planeten Jupiters vor die Zuhörer. Sicherlich der beliebteste Planet, der mit seiner hymnischen Hauptmelodie im Mittelteil, stark an den von Holst verehrten Komponisten Sir Edward Elgar denken lässt. Dann wieder ein Farbwechsel, denn mit Uranus begegnet uns der Überbringer des Alters und damit eine weiträumige kosmische Klangwelt. Kaum größer könnte der Kontrast sein als Uranus, der Magier, ertönt. Gewaltige Fanfaren im Blech, bizarre Rhythmen und drastische Schlagzeugeffekte münden in einem wilden Tanz, der mitunter deutlich an den „Zauberlehrling“ von Paul Dukas denken lässt. Mit dem beschließenden Neptun wird das riesige Orchester klanglich durch einen sechsstimmigen Frauenchor ergänzt, der in wiederkehrenden Vokalisen die Endlosikeit des Alls trefflich imaginiert.
Dirigent Alexander Prior hatte also mit diesem Werk eine Steilvorlage, um seine interpretatorischen Ideen auszuagieren. Leider nutzte er diese Möglichkeit wenig überzeugend. Bereits der anfängliche Rhythmus des Mars wirkte eher vage, denn als stampfender Teil einer Kriegsmaschine. Die Ausbrüche im Fortissimo wirkten hier vordergründig laut als wirklich vernichtend. In den Tempi musizierte er meistens stramm nach vorne. Bedauerlicherweise neigte er in den großen melodischen Abschnitten des Jupithers zur Hast. Auch irritierten hier unorganisch wirkende Accelerandi. Zuvor wirkte die notwendige Feinarbeit für den quirligen Planeten „Merkur“ reichlich verwaschen.
Alexander Prior arbeitete mit größtem körpersprachlichen Einsatz. Da wurden die Arme rudernd geschwungen oder nach oben gerissen und mit dem Bein gestampft. Dieser äußerliche Aufwand mag der Jugend des 27jährigen Dirigenten geschuldet sein. Diese Äußerlichkeiten blieben letztlich jedoch vom Orchester unbeantwortet, denn selten hat das Frankfurter Opern- und Museumsorchester nach dem Dirigenten an diesem Abend geschaut. Prior blieb der Komposition eine schlüssige und eigene Interpretation schuldig.
Das Frankfurter Oper- und Museumsorchester hatte trotzdem Freude an dieser so effektvollen Komposition. An allen Pulten musizierte der Klangkörper auf gutem Niveau. Kleinere Ungenauigkeiten in den Bläsern oder in der Intonation belegten den außerordentlichen Schwierigkeitsgrad des Werkes. Das Schlagzeug wirkte zu oft defensiv und hätte auch hier in den Farbgebungen stärker gefordert werden können. Und doch, es blieb fortwährend der Eindruck bestehen, dass das Orchester interpretatorisch zu deutlich unter seinen Möglichkeiten spielte. Dyamisch gut abschattiert ergänzte der Damenchor der Oper Frankfurt in der Einstudierung von Tilmann Michael. Das Publikum dankte mit viel Applaus.
Dirk Schauß, 20.11.2019