Alexander Soddy (Leitung), Anne Schwanewilms (Sopran), Anna Lapovskaja (Mezzosopran), Extrachor des Nationaltheaters Mannheim und weitere Chöre
Gut sechs Jahre arbeitete Gustav Mahler an seiner zweiten Symphonie, bis diese 1895 uraufgeführt wurde. Und sechs Jahre amtierte der Dirigent des Abends, Alexander Soddy, als Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim. Nun endet diese Zusammenarbeit, Soddy wird noch diverse Gastdirigate weiterhin in Mannheim absolvieren und der Musikalischen Akademie in Mannheim auch in der kommenden Saison als Leiter zur Verfügung stehen.
Soddy entschied sich für seinen GMD-Abschied für die sog. „Auferstehungs-Symphonie“ von Gustav Mahler. Mahler schrieb auch hier eine Symphonie in fünf Sätzen, wie zuvor bei seiner ersten Symphonie. Heute wird üblicherweise bei Mahlers erster Symphonie auf den sog. Blumine-Satz verzichtet, so dass sie nahezu immer viersätzig gespielt wird. In der zweiten Symphonie verarbeitete Mahler wiederum Vertonungen seiner Wunderhorn Lieder. Hinzu kommen Soli von Sopran und Alt, ein Fernorchester, ein großer gemischter Chor und ein riesenhaftes Orchester.
Auch formulierte Mahler für diese Symphonie ein Programm, was er später jedoch, wie so oft, wieder zurückzog.
Der erste Satz war ursprünglich unter dem Titel „Totenfeier“ allein veröffentlicht worden. Nach dieser gewaltigen Einleitung schreibt Mahler mindestens fünf Minuten Pause vor.
Der zweite Satz, eine Tanzweise im Stile eines Menuetts mit beruhigendem Trio, wirkt hier gleichermaßen als akustisches Sorbet.
Mit gewaltigen Paukenschlägen eröffnet Mahler den grotesk anmutenden dritten Satz, in welchem er das Wunderhorn-Lied „Des Paduas Fischpredigt“ zitiert.
Sehr feierlich tritt im vierten Satz mit dem „Urlicht“ eine Solo-Altstimme vor den Zuhörer. Auch hier handelt es sich um einen Beitrag aus der Sammlung der Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“.
„Die Auferstehung“, ein Gedicht von Friedrich Gottlob Klopstock bildet die inhaltliche Keimzelle des gewaltigen Finalsatzes. In kaum einem anderen Satz seines Schaffens lotet Mahler die Dynamik des Orchesters derart bis ins Extrem aus. Vom kaum hörbaren Pianissimo bis zum ohrenbetäubenden Fortissimo lässt der Komponist alle Beteiligten musizieren. Marsch- und Choralthemen, gewaltige Schlagzeugbatterien und dann plötzlich faszinierende Stille. Ein Fernorchester ertönt, Vogelstimmen in den Holzbläsern und in einem großen Misterioso stimmt der Chor sein „Auferstehen“ an. Alles gipfelt in einem gewaltigen Licht der Zuversicht „Zu Gott wird es dich tragen“. Noch einmal riesenhafte Akkordballungen und ein langes finales Crescendo. Dann ein gewaltiger die Symphonie beendender Abschlag!
Alexander Soddy wählte bei seinem Gang durch die riesenhafte Partitur einen anderen Weg als bei seiner Interpretation von Mahlers dritter Symphonie. Hier noch klanglich der Spätromantik verpflichtet, so erklang die 2. Symphonie in der Lesart von Soddy deutlich als Musik, die in das 20. Jahrhundert weist.
Unruhe und Nervosität kennzeichneten den Beginn, der in den z.T. sehr zackigen Streicherfiguren zu erleben war. Angst, Panik und Dissonanz betraten die akustische Bühne, um dann wieder in eine trügerische Ruhe aufgelöst zu werden. Soddy wählte ein rasches Grundtempo und war vor allem auf klangliche Durchsichtigkeit fokussiert. Das naiv wirkende Menuett im zweiten Satz erfuhr von Soddy keinerlei Doppelbödigkeit, sondern wurde ganz pur vom Blatt musiziert. Kein Subtext, kein Geheimnis. Die Zuhörer hörten das, was in den Noten steht und nicht, was zwischen den Zeilen verborgen ist.
Sehr verhalten agierte der Dirigent im Umgang mit Groteske und ironischem Stacheln im dritten Satz.
Nach Chaos, vermeintlicher Idylle und Groteske, erlebte der Zuhörer einen der vielen besonderen Momente des Werkes. „Der Mensch liegt in größter Not“ heißt es im sog. „Urlicht“ des vierten Satzes – Leidenszeit und die ausgesprochene Zuversicht auf umarmenden Trost. Im berührenden natürlichen Gesang von Anna Lapovskaja wurde viel von Mahlers Seelenton spürbar. Ihr warmer Mezzosopran durchstrahlte das Orchester und konnte durch große Legatobögen gefallen.
Ins Unermessliche gesteigert wurde dieser Effekt vom großen Chor – Chor, Extrachor des Mannheimer Nationaltheaters und weiterer Chormitglieder der Mannheimer Chöre. Chordirektor Dani Juris hatte seine Chorscharen perfekt vorbereitet. Sehr gut verständlich und ein formidabler Vokalausgleich in allen Stimmlagen ergaben einen homogenen Chorklang der Extraklasse. Es war sehr beeindruckend, wie leise, wie mysteriös, wie aus dem Nichts kommend dieser Chor seinen allerersten Einsatz gestalten konnte, um am Ende den Saal akustisch abheben zu lassen. Die Chorleistung bildete sicherlich den stärksten musikalischen Eindruck des Abends.
Dazu spendete die Sopranistin Anne Schwanewilms den ideal aufstrahlenden leuchtenden Engelston.
Dieser Abend blieb in seinem interpretatorischen Eindruck zutiefst ambivalent. Alexander Soddy konnte nur selten einen klaren Interpretationsweg formulieren. Relativ steif im Körper mit auffallend eckigen Bewegungen im Gestus, wirkte er zuweilen unsicher und suchend. Im Zentrum seines Wirkens stand der unfallfreie Ablauf der komplexen Partitur. Dies ergab einen insgesamt primär analytischen Klangeindruck, dem die gestalterische Größe und emotionale Entäußerung fehlte. Soddy koordinierte und leitete den musikalischen Verkehr. Aber wo war die gestalterische Idee? Wo war der erlebbare vorausschauende, musikalische Interpretationsgedanke?
Immerhin fanden Orchester und Soddy am stärksten im Finalsatz zusammen. Hier ließ Soddy die zu starken Kontrollzügel endlich locker und gab dem Orchester mehr Spielraum für dessen dynamische Impulse. Plötzlich atmete die Musik deutlicher und wurde dadurch größer. Dennoch blieb Soddy in seinem Gesamtausdruck viel zu cool und koordinierend. Er konnte nicht vermitteln, dass es bei dieser gigantischen Musik um die letzten Dinge des menschlichen Daseins geht. Bei ihm klang Mahler eher erdenschwer, ohne spirituell anmutende Transzendenz. Gelungen waren die Raumwirkungen des Fernorchesters, das sehr gut und räumlich aus dem Foyer des Rosengartens zu vernehmen war.
Das intensiv geforderte Orchester des Nationaltheaters Mannheim agierte mit nimmermüder Hingabe. Das hingebungsvolle Spiel des Orchesters begeisterte vor allem in den konditionsstarken Bläsern. Irritierend oft klapperte es aber im Zusammenspiel der Streichergruppe in den ersten beiden Sätzen. Kreativ und scharfzüngig boten die Holzbläser ihre musikalischen Kommentare an, die Soddy leider nicht aufgriff und weiterentwickelte. Was ist Mahler, ohne ein kraftvolles, mutiges Schlagzeugensemble? Ein zahnloser Tiger! Das Nationaltheater Mannheim kann stolz auf seine Schlagzeuger sein, sie waren ein wesentlicher Farbgeber dieses Konzertabends und setzten dadurch kraftvolle Akzente!
Trotz der Einwände war es ein ergreifendes Konzert, das den Zuhörern Hoffnung und Licht schenkte, gerade in diesen von Irrsinn und Chaos beherrschten Zeiten.
Das Publikum feierte alle Mitwirkenden intensiv.
Dirk Schauß
15. Juni 2022