Wiesbaden: „Lohengrin“, Richard Wagner

Die diesjährige Spielzeit am Hessischen Staatstheater Wiesbaden wurde mit einer Neuproduktion von Richard Wagners Lohengrin eröffnet, und es ist bedauerlich zu konstatieren, dass diese Wahl keinen neuen Glanz in die Wagnersche Opernwelt brachte. Bereits 2015 wurde Lohengrin in der Intendanz von Uwe-Eric Laufenberg als aufgefrischte Wiederaufnahme präsentiert, und angesichts des reichen Repertoires von Richard Wagner wäre es wünschenswert gewesen, eine weniger frequentierte Oper, wie etwa „Parsifal“, auf die Bühne zu bringen. Umso verwunderlicher ist es, dass Wagners letztes Werk in Wiesbaden zuletzt in den 1960er Jahren aufgeführt wurde!

© Karl und Monika Forster

Die Nerven liegen derzeit blank am Staatstheater, in welchem Intendant und Geschäftsführer sich bekriegen und der Betriebsfrieden am Boden liegt. Ein Klima der Angst und Unsicherheit ist Begleiter der täglichen Arbeit, was sich erkennbar auch in dieser Premiere widerspiegelte. Die Frage, warum erneut Lohengrin gewählt wurde, blieb an diesem Premierenabend leider unbeantwortet. Die Inszenierung von Henriette Hörnigk sorgte für reichlich Verwirrung, Enttäuschung und vor allem Ärger. Eines offenbarte dieser szenisch misslungene Abend: eine deutliche Überforderung mit den Anforderungen des Werks. Es schien, als hätte Hörnigk tief in die Kiste des destruktiven Regietheaters gegriffen, um eine sinnentleerte und ästhetisch wenig ansprechende Version von Wagners Meisterwerk zu präsentieren. Handwerklich mag die Inszenierung nicht völlig katastrophal gewesen sein, aber sie verfehlte es, eine überzeugende Vision zu vermitteln und szenische Empfehlungen zeitgemäß umzusetzen. In dieser austauschbaren szenischen Ödnis hätte jede andere Oper angesiedelt werden können, wenn das Ziel darin bestand, ein eigenes Stück zu erzählen. Die Aufführung hinterließ den Eindruck, dass die Regisseurin mehr darauf bedacht war, dem Zeitgeist zu entsprechen, anstatt das Werk selbst zu interpretieren. Vorspiele wurden unnötig mit Videofilmen versehen – vom ersten Aufzug mit Wolkenkratzern bis zum zweiten Aufzug mit einem Panzer im Kurzfilm. Hörnigk beging zahlreiche handwerkliche Schnitzer. Der Chor erschien mit extrem unansehnlichen Perücken und versuchte sich in synchroner Zeichensprache als szenischer Kommentar, was unfreiwillig komisch wirkte, da keine Einheitlichkeit in der Choreografie erreicht wurde. Zuweilen kamen einem Otto Schenks Opernparodien in den Sinn ….. König Heinrich war im ersten Aufzug ein seniler Greis im Rollstuhl, im zweiten Aufzug jedoch plötzlich vital und mobil – ein rätselhafter Wandel. Solche Verwirrungen setzten sich fort, als der zweite Aufzug, der in der Nacht spielen sollte, taghell inszeniert wurde. Die Inszenierung driftete in Richtung von Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ ab, als der Chor mit unterschiedlichen Tiermasken auftrat, was eher an eine Tierparade erinnerte. Jeder Zoo wäre ob der anzutreffenden Artenvielfalt entzückt gewesen, doch was hat dies mit Lohengrin zu tun? Die Aufführung verlor an dieser Stelle ihre Ernsthaftigkeit und wirkte wie eine Vorschau auf die Faschingssaison. In einer Szene verkleideten sich die männlichen Chormitglieder als Frauen und warfen gemeinsam mit dem König Konfetti. Fasching naht…, fehlte nur das obligatorische „Helau“!

© Karl und Monika Forster

Am schlimmsten jedoch war die Beziehungslosigkeit der handelnden Personen und die mangelnde Charakterisierung. Zudem fehlte jegliche Mystik und Ästhetik auf der Bühne. Hässlichkeit war wieder einmal Trumpf! Elsa war eine Teenager-Rotzgöre, Ortrud hätte gut in einer amerikanischen Seifenoper mitspielen können. Als in die Jahre gekommene Hausfrau war nichts von einer Zauberin oder Seherin zu vernehmen. Zu keinem Zeitpunkt wurde deutlich, was diese Frau zu einem besonderen Charakter macht. Telramund wirkte wie ein Beamter. Und Lohengrin? Der kam mit blau angestrahltem Schwanengerüst und Federkostüm sehr irdisch daher, hätte auch gut aus einer Operette stammen können. Die Pausen wurden von einigen Zuschauern zur Flucht genutzt.

Trotz dieser inszenatorischen Unzulänglichkeiten war die musikalische Umsetzung ein Rettungsanker. In der Titelrolle des Lohengrin sang Mirko Roschkowski mit seinem strahlenden lyrischen Tenor. Sein Gesang wirkte erlebt und war textverständlich zugleich, womit er seiner Figur ein anrührendes Profil verlieh. Roschkowski zeigte eine beeindruckende musikalische Sensibilität und tiefes Empfinden. Er war klug genug, immer in seinen stimmlichen Möglichkeiten zu verbleiben. Er ist ein lyrischer Tenor, der (noch) nicht die heldische Attitüde vokal ermöglichen kann, um auch in den Ensembles zu dominieren.

© Karl und Monika Forster

Heather Engebretson als Elsa war stimmlich zu klein dimensioniert, doch sie kompensierte dies durch kluge Nutzung ihrer stimmlichen Ressourcen und eine farbenreiche Gestaltung ihrer Rolle. Allerdings musste sie immer wieder sehr nachdrücklich ihre Stimme forcieren. Es bleibt der Eindruck eines vokalen Grenzganges. Khatuna Mikaberidze in der Rolle der Ortrud sang sehr sicher, jedoch war kaum Textgestaltung vorhanden. Zugegeben: Ihre gewaltige Stimme und die mühelosen Höhen machten Eindruck. Aber sie verzichtete leider komplett darauf, die Ortrud zu schattieren und dynamische Farben jenseits des Forte zu suchen. Ihre Darstellung blieb zudem etwas monoton und blass. Der erfahrene Kammersänger Thomas de Vries verkörperte einen souveränen Telramund, der seine Partie mit Bravour meisterte, auch wenn seine Textinterpretation an diesem Abend etwas zu passiv geriet; vermutlich eine Folge der schlechten Inszenierung. Aber es fehlt auch hier eine Dimension, wenn sein Toben „Weh“ und der zynische Ausdruck „Radbods letzter Spross“ ausbleibt. Der für den unpässlichen Young Doo Park eingesprungene Andreas Bauer Kanabas überzeugte als König Heinrich mit üppiger Stimme. Derart souverän sang er seine schwere Rolle, sodass er prominentere Kollegen leicht zu übertrumpfen vermag. Christopher Bolduc als Heerrufer schien stimmlich etwas blass und dumpf. Darstellerisch ging in seiner etwas tuntig klamaukigen Rolle sichtbar auf und brachte damit regiebedingt seine Rolle leicht in die Nähe einer Witzfigur. Albert Horne hat seinen großen Chor gut vorbereitet, wobei dieser bei der Erscheinung von Lohengrin etwas in Unsicherheit geriet. Manche Vokalpassagen wirkten zuweilen etwas ungehobelt und forciert. Eine weniger druckvolle Stimmgebung wäre hier angebrachter gewesen.

© Karl und Monika Forster

Die musikalische Leitung von Michael Güttler erwies sich als eine sichere Bank des Abends. Güttler zeigte erneut seine herausragende Kompetenz als Operndirigent und schuf eine ausgezeichnete Balance zwischen Orchester und Bühne. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden war überraschend spärlich besetzt und trat mit arg kleiner Streicherbesetzung an (drei Bässe und nur vier Celli). Leider präsentierte es sich im ersten Vorspiel teilweise noch erschreckend unsicher, mit einem heftigen Schmiss in den Streichern. Im Verlaufe des Abends erklang es dann klangvoll und beeindruckte sowohl als Gruppe als auch in den Solopassagen. Besondere Anerkennung verdienen die sehr sicheren Bläser der königlichen Fanfaren. Das Publikum honorierte die musikalische Leistung mit begeisterndem Applaus und brachte dann hingegen seine Ablehnung gegenüber der inszenatorischen Umsetzung deutlich zum Ausdruck.

Insgesamt war die Premiere von Lohengrin am Staatstheater Wiesbaden eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Während die musikalische Darbietung ansprechend geriet, blieb die Inszenierung von Henriette Hörnigk weit hinter den Erwartungen zurück und wurde von vielen als völlig missglückt empfunden. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Produktionen am Staatstheater Wiesbaden eine bessere Balance zwischen Musik und Inszenierung finden werden.

Dirk Schauß, 17. September 2023


Lohengrin
Romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner

Staatstheater Wiesbaden

Bericht von der Premiere am 16. September 2023

Inszenierung: Henriette Hörnigk
Musikalische Leitung: Michael Güttler
Staatsorchester Wiesbaden