Stuttgart: „Falstaff“, Giuseppe Verdi

Sie ist immer wieder sehenswert, Andrea Moses‘ Inszenierung von Verdis letzter Oper Falstaff an der Stuttgarter Staatsoper. Hier haben wir es mit einer ungemein stimmigen und unterhaltsamen Produktion zu tun, die dem Haus alle Ehre macht. Das gefällige Einheitsbühnenbild stammt von Jan Pappelbaum. Einige Umbaustatisten variieren ständig aufs Neue die aus Holz bestehende Grundkonstruktion eines Gebäudes. Mit einigen wenigen Handgriffen entstehen auf diese Weise leicht und locker die verschiedenen Spielräume: Das Wirtshaus, das hell und freundlich wirkende Domizil des als Holzhändler gezeichneten Ford mit einem links befindlichen Fitnessstudio sowie noch der Außenbereich von Falstaffs Zuhause. Zwei überdimensionale Holzstöße prägen das letztere, den verwünschten Windsor-Park darstellende Bild. In diesem nimmt eine Schar lieblicher Kinder-Elfen an dem glücklosen Ritter ein Teufelsaustreibungs-Ritual  vor. Hier sind zwei Deutungen möglich: Zuerst kann man sicherlich auf den Gedanken kommen, dass die gefällten Bäume Falstaff selbst symbolisieren. Die zweite Interpretationsmöglichkeit besteht darin, dass Frau Moses mit diesem Bild auf das in unmittelbarer Nähe der Stuttgarter Oper beheimatete Projekt von Stuttgart 21 anspielen möchte. Dieses war zur Zeit der Premiere dieser Produktion im Jahre 2013 hoch aktuell und stieß damals in der gleichen Art und Weise auf heftigen Widerstand wie das Verhalten des Schwerenöters Falstaff bei den Einwohnern Windsors. Die zweite Erklärung ist vorzuziehen.

(c) Martin Sigmund

Bei ihrer gelungenen Regiearbeit wartet die Regisseurin stark mit Brecht‘ schen Elementen auf. So vernimmt man in ihrer Inszenierung nicht nur die Musik Verdis, sondern auch Adriano Celentanos Song Azzurro, den der leicht an Rod Stewart gemahnende, von Zeit zu Zeit durch das Geschehen geisternde Wirt als heiter-vergnügliche Einlage genüsslich zum Besten gibt. Am Anfang klingt für eine gewisse Zeit eine einzelne Jazztrompete auf. Im Off rast einmal ein Motorrad vorbei, bevor dann das Orchester doch noch zu spielen beginnt. Den Beginn des zweiten Bildes bestimmt Vogelgezwitscher. Es wird eine liebliche Sommeridylle erzeugt, die indes an irgendeinem Punkt des lustigen Geschehens durch eine Kettensäge nicht gerade angenehm gestört wird. Eine solche hat auch Ford im dritten Akt bei der Jagd auf Falstaff bei sich. Mit derartigen Verfremdungseffekten knüpft Andrea Moses gekonnt an die Arbeitsweise Peter Konwitschnys an, der solche Mittel ja ebenfalls oft und gerne ins Feld führt. Der Spiegel, der just in den Szenen von oben herabschwebt, in denen die lustigen Weiber von Windsor Falstaff gehörig in die Bredouille bringen, eröffnet zusätzliche interessante Blickwinkel. Mit dieser visuellen Verdoppelung der Handlung wird offenkundig, dass die Damen Falstaff in jeder Beziehung überlegen sind.

(c) Martin Sigmund

Auf der anderen Seite präsentiert die Regisseurin eine etwas anders geartete Deutung, als man es mit Blick auf ihre sonstigen Inszenierungen eigentlich von ihr gewohnt ist. Ihre Herangehensweise an das Werk ist nicht von politik- und gesellschaftskritischen Aspekten geprägt, auch verzichtet sie darauf, den in der Tat ausgesprochen doppelbödigen Subtext von Verdis Oper zu hinterfragen. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, das auf Shakespeares Stücke Die lustigen Weiber von Windsor und Heinrich IV fußende Geschehen in einem recht gefälligen Rahmen sehr kurzweilig zu erzählen. Ihre temperamentvolle und von enormem Elan geprägte Erzählweise belegt die ausgeprägte komödiantische Ader von Andrea Moses. Etwas ernstere Töne und ein fragender Aspekt klingen erst bei der mit den Bosheiten der Welt abrechnenden Abschlussfuge auf, an deren Ende der nun weise gewordene Falstaff kurzentschlossen von der Bühne geht. Die Regisseurin hat das von Anna Eiermann modern ausstaffierte Ensemble bestens im Griff. Unter ihrer versierten szenischen Leitung erbringen die Sänger darstellerische Höchstleistungen. Darüber hinaus gelingt es Andrea Moses, mit großem Geschick einen nie abreißenden szenischen Spannungsbogen über die Oper zu legen. Sie hat das Werk eindrucksvoll modernisiert und verpasst dem Titelhelden einen zur Zeit der Premiere 2013 ungewöhnlich neuen Anstrich.

(c) Martin Sigmund

Frau Moses erblickt in der Titelfigur nicht den althergebrachten, behäbigen Fettsack, wie man ihn aus konventionellen Produktionen kennt, sondern unterzieht Falstaff einer frischen und spannenden Neudeutung. Der Protagonist ist bei ihr ein zwar leicht heruntergekommener, jedoch stets elegant gekleideter Adliger, den es von den Londoner Hurenhäusern nach Windsor verschlagen hat. Dort stellt er als Eigentümer eines Gasthauses, in dem Karten gespielt und sogar mit Drogen gehandelt wird, eifrig den Frauen nach. Dabei nimmt die Regisseurin ihm an keiner Stelle seine Würde. Als gut aussehenden, recht stattlich anmutenden sowie schlanken Mann in den besten Jahren entkleidet sie ihn jeglicher Komik und führt ihn als wahren Edelmann vor, der lediglich von Pech verfolgt ist und nun mit freilich etwas anrüchigen Mitteln nachhaltig darauf bedacht ist, wieder an Geld zu kommen. Hier handelt es sich um einen Falstaff, in den sich das Damenheer wirklich verlieben könnte. Das belegen schon das gediegene Auftreten des Adligen sowie sein enormes Charisma.

Frau Moses hat ihrem Falstaff von Zeit zu Zeit einige Bewegungsabläufe verordnet, die in einer konventionellen Inszenierung leicht lächerlich anmuten würden, bei dem grandiosen Lucio Gallo wirken sie indes sehr gewandt und nobel. Der Sänger hat sich das Konzept der Regisseurin trefflich zu Eigen gemacht und es durch eine erstklassige Darstellung auch großartig umgesetzt. Vokal war er mit seinem bestens italienisch fokussierten und sehr sonor klingenden Bariton ebenfalls voll überzeugend. In der Partie des Ford begeisterte sein Stimmfachkollege Pawel Konik mit ebenmäßig geführter und in allen Lagen ausgeglichen klingender Stimme.

(c) Martin Sigmund

Eine darstellerisch recht aufgedreht und stimmlich kraftvoll und elegant wirkende Alice war Astrid Kessler. Alles andere als auf den Kopf gefallen war die schauspielerisch ungemein köstliche Mrs. Quickly von Stine Marie Fischer. Auch gesungen hat sie mit ihrer profunden Altstimme apart und ausdrucksstark. Gut gefiel Ida Ränzlöv als Meg Page. Sehr für sich einzunehmen vermochte die voll und rund intonierende Nannetta von Natasha Te Rupe Wilson. Einen schönen lyrischen Tenor brachte Joseph Tancredi in die Rolle des Fenton ein. Solide klang Jasper Leevers Pistola. Charaktervoll in die Maske sang Torsten Hofmann den Bardolfo. Ebenfalls lediglich mittelmäßig gab James Kryshak den Dr. Cajus. Abgerundet wurde das Ensemble durch den durchaus nicht immer stumm bleibenden Wirt des Schauspielers Maarten Güppertz. Der von Bernhard Moncado einstudierte Staatsopernchor Stuttgart erbrachte eine solide Leistung.

Gut gefiel an der Spitze des versiert aufspielenden Staatsorchesters Stuttgart Luka Hauser. Er erzeugte zusammen mit den gut gelaunten Musikern einen munter dahinfliessenden Klangteppich mit so manchen spritzigen Höhepunkten und schönen lyrischen Passagen.

Ludwig Steinbach, 26. November 2023


Falstaff
Giuseppe Verdi

Staatsoper Stuttgart

Premiere: 20. Oktober 2013
Besuchte Vorstellung: 25. November 2023

Inszenierung: Andrea Moses
Musikalische Leitung: Luka Hauser
Staatsorchester Stuttgart

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