Einen Abend voller Kontraste bescherte das jüngste Gastspiel der Münchner Philharmoniker, die anstelle von Valery Gergiev nun von Thomas Hengelbrock geleitet wurden.
Den Auftakt machte die Ur-Fassung der Ouvertüre „Der Fliegende Holländer“ von Richard Wagner. Es war und ist eine ganz besondere Musik, die Wagner 1843 der staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Ganz Sturm und Drang entfesselte er darin alle Naturkräfte. Die sehr beliebte Ouvertüre bietet als Potpourri einen musikalischen Schnelldurchgang durch
sämtliche musikalische Hauptthemen der Oper und den ihnen zugeordneten Handlungsfiguren.
Mit viel Elan trieb Dirigent Thomas Hengelbrock die Münchner Philharmoniker in die symphonischen Wogen dieser wirkungsvollen Musik. Die viel geforderten Hörner schmetterten treffsicher das unheilvolle Holländer Motiv. Hengelbrock legte sehr gut die kompositorische Struktur offen und sorgte vor allem für einen üppigen Streicherklang. Die Blechbläser und Pauken wurden etwas zu deutlich gebändigt, so dass vor allem die Wellenbewegungen den Klang kennzeichneten. Der beschriebene Sturm hatte sich bereits frühzeitig verzogen.
Solist des Abends war der französische Pianist Alexandre Kantorow, der 2019 mit gerade einmal 22 Jahren als erster Franzose den berühmten Tschaikowsky Musikwettbewerb in Moskau gewann. Erst 16 Jahre jung war Sergej Rachmaninow als er sein erstes Klavierkonzert 1890/91 schrieb. Unverkennbar sind darin die zahlreichen Hinweise auf die großen Kollegen Beethoven, Schumann und Grieg. Ein Klavierkonzert, ganz der Romantik verpflichtet und doch unfertig. So sah es Rachmaninow und überarbeitete sein Werk 1917 noch einmal gründlich. Virtuose Akkordfolgen, herrliche Kantilenen und edle Melodieverläufe zeigen seine überragende frühe Meisterschaft.
Dieses Klavierkonzert bietet reichlich Gelegenheit für Solist und Orchester, zu brillieren. Bereits der erste Satz ist in seinem flotten Vivace Tempo äußerst virtuos für den Pianisten. Raum, Weite und Sehnsucht dann im weit geöffnetem Klangpanorama des herrlichen Andante Satzes. Stürmisch beginnt das Finale, um dann mit einem elegischen Es-Dur Mittelteil zu überraschen, bevor es tänzerisch im üppigen Klangrausch endet.
Alexandre Kantorow spielte dieses Konzert mit stupender Leichtigkeit. Herrlich ausgewogen in der Tonqualität mit sensibler Phrasierung. Diese Qualitäten vermochte er im ruhigen Mittelsatz mit weichem Ansatz hinreißend zu entfalten. In der Dynamik musizierte er wohl überlegt und ließ sich zu keinem Moment zu simpler Tastendonnerei verführen. Davon profitierte das hoch virtuose Finale, das Kantorow spielfreudig ausgestaltete. Mit den hingebungsvollen Münchner Philharmonikern gelang ein sensibles Zusammenspiel. Thomas Hengelbrock ging auch hier einen ganz eigenen Weg bei seiner Gestaltung. Herrlich musizierte er mit den fabelhaften Streichern der Philharmoniker das sehnsüchtige Kantabile am Beginn aus, welches sogleich von Kantorow aufgegriffen wurde. Hengelbrock nahm Rachmaninow ernst, vermied Kitsch und zu viel Zucker. Im Ergebnis entstand ein durchhörbarer, kompakter Klang, der dem Konzert viel Frische und Spontaneität verlieh.
Und natürlich war nach dieser halben Stunde der Virtuosität viel Begeisterung hörbar. Diese steigerte Kantorow mit einer hinreißend orchestral dargebotenen Klaviervariante des Finales aus Strawinskys „Feuervogel“!
Im November 1876 war es endlich so weit: Johannes Brahms erste Sinfonie betrat in düsterem c-moll mit wuchtigem Paukenrhythmus die Konzertbühnen der Welt. Seither führt sie den Zuhörer von der Dunkelheit ins Licht. Spätestens, wenn im vierten Satz das berühmte „Alphornthema“ ertönt, entsteht die Gewissheit, dass nach jedem Sturm die Helligkeit zurückkehrt.
Brahms schrieb diesen symphonischen Erstling mit 43 Jahren. Er spürte den allzu schweren Schatten Beethovens, ebenso aber auch den Druck als „neuer Messias der Musik“ zu gelten. Und natürlich machte er um Beethoven keinen Bogen. Im Gegenteil. Gerade der vierte Satz zeigt deutliche Reminiszenzen zum großen Ludwig auf, die, so Brahms
„jeder Esel hören kann“. Natürlich sind die Brahms Sinfonien Pflichtprogramm für alle Orchester, die sich der Sinfonik verschrieben haben.
Die Münchner Philharmoniker sind gerade mit diesem Komponisten durch viele sehr unterschiedliche Interpretationen ihrer Chefdirigenten gegangen: schlank im Duktus und großer Transparenz erklangen sie bei Rudolf Kempe und monumental verlangsamt bei Sergiu Celibidache.
Gast-Dirigent Thomas Hengelbrock hat eine lange Verbindung zu Johannes Brahms. Der Geiger und Dirigent Hengelbrock, zugleich Spezialist in Alter Musik, konzentrierte sich in seiner Interpretation auf Transparenz und kümmerte sich mit endloser Hingabe um die viel geforderten Streicher, denen er einen noblen Klang bei satter Tongebung zu entlocken wusste.
Dabei ließ es Hengelbrock zu Beginn eher schlank angehen. Das Tempo war zügig und die Pauke etwas matt in ihrem pochenden Rhythmus. Auch hier waren die Blechbläser dynamisch streng reglementiert, was diese mit großer Disziplin umzusetzen wussten. Freilich verhinderte dies so manchen prachtvollen Effekt, wie den finalen Choral am Ende des vierten Satzes. Voll überzeugend hingegen im dialogischen Miteinander das Andante im zweiten Satz. Holzbläser
mit fein intonierendem Solo-Horn sangen um die Wette. Aber, da gab es noch den zauberhaft süßen Geigenton der famosen Konzertmeisterin Naoka Aoki. Mit erlesener Klangqualität krönte sie den edlen Zwiegesang ihrer Kollegen.
Langanhaltender Beifall.
Dirk Schauß, 31.10.2022
Alte Oper Frankfurt, 30. Oktober 2022
Richard Wagner: „Der fliegender Holländer“ Overtüre
Sergej Rachmaninow: „Klavierkonzert Nr.1“ fis-Moll op.1
Johannes Brahms: „Sinfonie Nr.1“ c-Moll op. 68
Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock
Solist: Alexandre Kantorow (Klavier)
Münchner Philharmoniker