Keinen größeren Kontrast als den zwischen dem Barbiere di Siviglia der Berliner Staatsoper und jenem der Deutschen Oper Berlin kann man sich vorstellen, wo zum einen Ruth Berghaus in den sparsamen, streng stilisierten Bühnenbildern von Achim Freyer sängerfreundlich inszenierte und sich lediglich eines unaristokratischen Benehmens von Almaviva gegenüber seiner späteren Gattin schuldig machte, während zum anderen Mal Katharina Thalbach in von Masse und Grellheit überbordenden Bühnenbildern von Momme Röhrbein keinen ihr jemals eingefallenen Gag aussparte, Nebenhandlungen aller Arten einfließen ließ und sich Guido Maria Kretschmer als Kostümbildner austoben durfte. Den Berghaus-Figaro kann man immer wieder genießen, der von Thalbach erzeugt sehr schnell Überdruss und lässt Ärger darüber aufkommen, dass nicht nur das Publikum durch Strand-, Kaffeehaus-, Friseursalon-, commedia-dell‘-arte-und Marktszenen vom Eigentlichen abgelenkt wird, sondern auch die Sänger akrobatisch, mimisch, gestisch überfordert und von ihrem eigentlichen Metier, dem Singen, abgelenkt, wenn nicht abgehalten und damit überfordert werden.
Bereits zur Sinfonia spielen sich mehrere Kleindramen ab, werden Berufsgruppen und Fortbewegungsmittel aller Arten auf die Bühne bemüht, und war bei der Premiere nicht auch noch ein Eselchen auf der Bühne? Wenn ja, dann sei PETA gedankt, dass es verschwunden ist und der umherirrende Mönch sich nun an seiner Weinflasche festhalten muss. Auch La Calunnia leidet unter Überinszenierung, wenn sich eines ihrer Opfer, nachdem Kinder und Erwachsene sich vor ihm in Sicherheit gebracht haben, zum Strick greift. Wer achtet da noch auf den Sänger des Basilio? Und wer macht sich klar, dass ein auf einem wackligen Hocker stehender Sänger nicht die optimale Stütze für seine Stimme hat? Gerechterweise muss man festhalten, dass das sehr junge Publikum im ausverkauften Haus sich offensichtlich köstlich amüsierte und sicherlich nicht auf die Idee kam, dass Oper langweilig sei.
Für den Almaviva konnte Juan de Dios Mateos viel Gewandtheit in der Darstellung eines rechten Fatzke, aber leider nur einen recht flach klingenden Tenorino einsetzen, eine Stimme mit wenig corpo und auch in der Höhe kaum beeindruckend. Ganz anders konnte da Mattia Olivieri als Figaro auftrumpfen, der seine Auftrittsarie mit viel Aplomb sang, in den Ensembles manchmal auch unangemessen dominierte, über dessen kompromisslosen Einsatz einer gesunden, gut ausgebildeten Stimme man sich aber immerhin freuen konnte. Einem Enzo Dara nachzueifern versuchte hörbar Misha Kiria mit den irrwitzigen Tempi des Doktor Bartolo, denen manchmal Diktion und Stimmfarbe zum Opfer fielen, aber insgesamt hinterließ der Georgier doch in Bezug auf Material und Technik den positiven Eindruck, den man von seinen Landsleuten gewohnt ist. Tiefschwarz ist der Bass von Patrick Guetti, dem zwar der colpo di cannone, nicht aber der venticello zur Verfügung stand, was sicherlich auch dem Trubel auf der Bühne während seiner Arie anzulasten ist. Eine angenehme Optik und ein ebensolcher, in allen Lagen gleichmäßig gefärbter Mezzosopran zeichnen dir Rosina von Cecilia Molinari aus, der über all dem Wischen imaginärer Fensterscheiben und vieler weiterer Unsinnstätigkeiten wohl etwas die grinta für ihr „ma“ abhanden gekommen war. Flurina Stucki stützte sicher als Berta, Kyle Miller sammelte als Fiorillo Erfahrungen im Belcantofach.
Klang das Orchester der Deutschen Oper zunächst noch etwas nach banda militare, so wuchs es unter Lorenzo Passerini hörbar an seinen Aufgaben und hatte einen angemessenen Anteil am Erfolg des Abends. Musiklehrer sollten, wie an diesem Abend sichtlich bereits geschehen, ihre Schulklassen und nicht nur den Leistungskurs Musik in diese Produktion führen. So gewinnt man ein junges Publikum für die Oper.
Ingrid Wanja, 28. Dezember 2023
Il Barbiere di Siviglia
Gioachino Rossini
Deutsche Oper Berlin
Besuchte 85. Aufführung am 28. Dezember 2023
Inszenierung: Katharina Thalbach
Musikalische Leitung: Lorenzo Passerini
Orchester der Deutschen Oper Berlin