Als zweites Stück des ambitionierten „Erweiterter Ring“-Projektes dieser Spielzeit in Braunschweig entstand ein neuer Siegfried für das Ballett, genannt „Siegfried – Eine Bewegung“, inszeniert und choreographiert vom Ballettchef Gregor Zöllig in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Tanztheater. Für die Bühne standen ihm Hank Irwin Kittel mit praktischem Bühnenbild, das Raum für das Ensemble bot, Julia Burkhardt mit passenden Kostümen und Konrad Kästner mit anregenden Videos zur Seite.
Als Auftragswerk komponierte Steffen Schleiermacher eine höchst spannende Musik für normales Orchester (keine Wagner-Tuben), das im Schlagwerk-Bereich stark erweitert wurde. Darüberhinaus kamen ein Amboss sowie für weichere Szenen das seltene Waterphone – im Klang einer Glasharmonika ähnlich –zum Einsatz. Einige Motive aus Wagners Siegfried hat Schleiermacher verarbeitet, von denen eigentlich nur das Schmiedemotiv deutlich erkennbar wurde. Zumindest wäre mir z.B. das Mime-Motiv – bei Wagner in den Flöten, hier in den Kontrabässen und vierfach verlangsamt – ohne Hinweis nicht bewusst geworden. Gelegentlich rhythmisch artikulierte Fantasiesprache der Tänzerinnen und Tänzer unterstrich die Intensität des Schlagwerks.
Für den erkrankten Studienleiter Alexis Agrafiotis sprang kurzfristig die Kapellmeisterin und Maestro Suggeritore des Hauses Christine Strubel ein und erfüllte die schwierige Aufgabe hervorragend. Die Musiker folgten ihrer stringenten Zeichengebung mit größter Aufmerksamkeit und sparten nachher auch nicht an Applaus für sie.
Zum Inhalt: Gregor Zöllig nutzt Siegfried dazu, das Klimaproblem in den Fokus zu rücken. Dazu eignet sich der als Einzelgänger unter Wotans fortwährender, unaufdringlicher Anwesenheit bei Mime aufgewachsene Naturbursche auch ganz vorzüglich. Nach einem kurzen Vorspiel, in dem Wotan – hier eine Frau – den Eingang zu Mimes Welt sucht und schließlich findet, eine Natur-Idylle, in der es schon erste Risse und Brüche gibt, erlebt man im 1.Bild die packende Begegnung von Siegfried und Mime in angedeuteter Schmiede, wenn Mime den Stärkeren fast domestiziert. Siegfried zieht sich zunächst an einen Ort zurück, wo er in der Natur Frieden findet, bevor er im 2.Bild zum ersten Mal mit einer Wohlstands-Masse konfrontiert wird (Maden der Eichenspinner ?). Er beginnt, seine eigenen Kräfte zu erkennen und einzusetzen, will zur Masse gehören und wird zurückgeworfen. Da löst er sich von Mime. Im 3.Bild trifft er auf junge Klimaaktivisten, die ihm bewusst macht, dass ihnen bald allen die Luft zum Atmen fehlt. In dieser Gruppe fühlt sich Siegfried wohl und passt sich ein. Im 4.Bild trifft er in der Gruppe auf Brünnhilde, eine selbstbewusste Frau, die ihn trotz großer gegenseitiger Anziehungskraft nur das Fürchten lehrt. Da er seine Gefühle nicht richtig einordnen kann, scheitert die Beziehung letztendlich. Zum letzten Bild ist Siegfried wieder bei der Gruppe, die noch intensiver einen Ausweg fordert, die Tapete von den Wänden reißt und schließlich die sich in den Weg stellende Wotan überrennt, bis es gelingt, ein Loch in die Wand zu schlagen: Ein Ausweg ins Wasser, in die Ursuppe zurück oder ?
Für alle vier Solo-Tänzer des Abends war es die Premiere ihrer Rolle. Da ist zunächst Brendon Feeney zu nennen, der die wechselhaften Stimmungen und Entwicklungen des Siegfried unter vollem, fast akrobatischem Einsatz seiner Kräfte deutlich machen konnte. Im ungleichen Kampf mit Mime tröstet er diesen, nachdem er ihn wohl zu hart angefasst hat, aber gehorcht noch brav dessen Anweisungen im Maden-Bild, bevor er sich endgültig löst. Der kämpferische „Pas-de-deux“ mit Fenia Chatzakou (Brünnhilde) im 4.Bild ist einer der Höhepunkte an tänzerischen und akrobatischen Lösungen; es ist unglaublich, wie die Beiden sich gegenseitig herumschleudern oder -werfen, aber auch kurz zu innigen Momenten finden, die aber keine Zukunft haben. Dariusz Nowak hat als Mime beste Figur gemacht und in seiner Charakterisierung der Rolle voll überzeugt. Für Alice Baccile als Göttermutter Wotan kam der ganz große Auftritt erst zum Schluss, als sie aktiv in die Handlung eingriff, sich aus der beobachtenden Position bewegte und der Gruppe entgegenstellte, die nicht mehr aufzuhalten war; da hatte sie Gelegenheit, ihre ganze Ausdruckskraft und –stärke bei Wotans Niedergang zu zeigen.
Ein ganz großes Lob gilt aber auch dem gesamten Tanzensemble, das sich durchweg durch große Beweglichkeit und höchste Akrobatik auszeichnete, sowie Einzelnen Charakteristika zugestand, die gleiche Bewegungen nicht künstlich, sondern lebendig wirken ließen.
Mit dieser Neuinterpretation des Siegfried ist ein für sich dichter Tanztheater-Abend von knapp 1 ½ Stunden gelungen, der von leider viel zu wenig Publikum begeistert aufgenommen wurde.
Marion Eckels, 07.11.2022
Richard Wagner „Siegfried“ als Tanztheater
Uraufführung am 29. Oktober 2022 / besuchte Vorstellung am 6. November 2022
Choreographie: Gregor Zöllig
Musikalische Leitung: Chistine Strubel