Braunschweig: „Dialogues des Carmélites“, Francis Poulenc

Poulencs Oper zählt neben Debussys „Pelléas et Mélisande“ zu den bedeutendsten französischen Opern des 20. Jahrhunderts. Obwohl Poulenc mit dem Kontrast zwischen Religion und Revolution einen eher spröden Stoff gewählt hat, ist es ihm wohl auch wegen durchweg tonaler Musiksprache gelungen, das Werk zu einem Welterfolg zu machen, das seit der Uraufführung 1957 kontinuierlich im Repertoire der Opernhäuser erscheint. Die Handlung geht zurück auf eine historisch verbürgte Episode aus den Schreckensjahren der Französischen Revolution. Im Zuge eines Dekrets zur Aufhebung aller Klöster legten die Karmelitinnen von Compiègne einen Märtyrereid ab und stiegen singend aufs Schafott. Das Libretto zu „Gespräche der Karmeliterinnen“ schrieb sich Poulenc selbst und nahm sich dazu des 1947/48 entstandenen gleichnamigen Dramas von Georges Bernanos an, das seinerseits auf die Novelle „Die Letzte am Schafott“ von Gertrud von le Fort (1876-1971) aus dem Jahr 1931 zurückgeht.

Zum Inhalt der Oper: Die Adelstochter Blanche de la Force, eine Erfindung von le Fort, leidet unter chronischen Ängsten. Ihre Suche nach seelischem Frieden führt sie ins Kloster der Karmelitinnen von Compiègne, wo sie jedoch von der Realität der Französischen Revolution eingeholt wird: Blanche kann gerade noch fliehen, bevor das Kloster von den Revolutionsgarden aufgelöst und ihre Ordensschwestern verhaftet werden – sie erwarten die Todesstrafe. Doch als sie von der bevorstehenden Hinrichtung ihrer Schwestern erfährt, eilt sie zum Richtplatz und geht gemeinsam mit ihnen „Salve regina“ singend in den Tod.

Unabhängig davon, wie man zum christlichen Glauben steht, kann man sich von dem Schicksal der Karmelitinnen ergreifen lassen, so dicht und intensiv spricht die Oper unmittelbar an.

© Thomas M. Jauk   

In Braunschweig ist dem Regieteam um Paul-Georg Dittrich eine packende, trotz manch unverständlicherAktionen letztlich insgesamt schlüssige Inszenierung gelungen. Der Regisseur ist von der Beschreibung der sogenannten Epochenangst ausgegangen, die bei Umbrüchen in der Gesellschaft entsteht. So fand auf der Bühne eine Art Zeitreise statt, die von den Folgen der Französischen Revolution über die Nazi-Zeit in die Gegenwart führte, in der es durch die vielen ernsten Krisen und den starken Rechtsruck bei uns und auch sonst in Europa durchaus Ängste dazu gibt, was alles auf uns zukommen kann. Zwischen den 12 Szenenblöcken der Oper gab es großflächige Videos (Kai Wido Meyer), die entweder die entsprechende Zeit charakterisierten oder mittels alptraumartiger, teilweise kaum erträglicher Szenen das problematische Innenleben von Blanche betrafen. Die Bühne von Pia Maria Mackert bestand in den Klosterszenen aus einem sterilen Raum, in dem wie auch bei den Ritualen der Nonnen außer der Inschrift an der Wand aus dem 23. Psalm „fürcht ich kein Unglück“ nichts an den religiösen Hintergrund erinnerte. Am oberen linken Rand des Raumes war eine Zelle von puppenmäßiger Größe angebaut, wo sich Blanche zeitweise aufhielt.

© Thomas M. Jauk   

Die hellblaue Bekleidung der Nonnen war mit kleinen Unterschieden einheitlich, die der übrigen Personen entsprachen der Zeit, in der die Szenen spielten (Anna Rudolph). Manches war nicht recht verständlich, wie beispielsweise die erste Szene, die statt in den Räumen von Blanches Vater vor einer Kutsche spielte,  die offenbar überfallen worden war – das tote Pferd lag davor. Diese Szene spielte auf die Geburt Blanches an, die vor Jahren in einer überfallenen Kutsche geschehen war und die die Mutter nicht überlebt hatte. Später kam Blanches Bruder ins Kloster, um sie zur Flucht zu überreden; warum musste er dabei das tote Tier hinter sich herziehen? Ein weiteres Bild wirkte eher albern, wenn sich Blanche und Mutter Marie vor einem roten PKW mit Braunschweiger Kennzeichen treffen, in dem Mutter Marie dann wegfährt. Auch die Nonnen übten manche sinnentleerten Rituale aus, wenn sie mit ausgestrecktem Arm an den Wänden standen oder eine wie Blanche bekleidete Puppe mit Pinseln ohne Farbe bestrichen. Außerdem wurden die Szenen in der Kutsche und dem PKw live gefilmt und auf die große Leinwand im Hintergrund übertragen. All dies war im Grund unnötig, weil der Regisseur durch ausgezeichnete Personenführung erreichte, dass die Dialoge allein schon durch die Handlungen der Personen spannungsgeladen waren.  Schließlich war besonders beklemmend, dass der Tod der Nonnen im großen Plenarsaal des Berliner Reichstags stattfanden, was man an dem großen Bundesadler im Hintergrund erkennen konnte.

Poulencs Komposition stellt recht hohe Anforderungen, die unter der äußerst präzisen, insgesamt umsichtigen Leitung des neuen 1. Kapellmeisters des Staatstheaters Alexander Sinan Binder von allen im Graben und auf der Bühne glänzend erfüllt wurden. Das Staatsorchester war in Hochform und gefiel trotz leichter Hornschäden zu Beginn in allen Gruppen mit herausragenden Leistungen. Die wenigen Chöre wie das schöne „Ave Maria“ der Nonnen im zweiten Akt und der Schlusschor klangen gut ausgewogen (Einstudierung des Chors und der Damen des Extrachors durch die neue Chordirektorin Johanna Motter).

© Thomas M. Jauk   

Bei den Solisten fiel auf, dass sie alle stimmlich anspruchsvolle Partien mit teilweise aberwitzigen Intervallsprüngen zu absolvieren hatten, was ihnen durchweg gut gelang. Zuerst ist alsBlanche Victoria Leshkevich zu nennen, die mit ihrem durchschlagskräftigen, intonationsrein geführten Sopran deren Ängste auch glaubwürdig darzustellen wusste. Eine großartige Charakterstudie lieferte als sterbende Priorin die Kanadierin Nora Sourouzian, deren differenziert eingesetzter Mezzosopran starken Eindruck hinterließ. Auch Isabel Stüber Malagamba verfügt über einen kraftvollen Mezzo, den sie in der vielschichtigen Rolle derMutter Marie wirkungsmächtig einsetzte. Mit ihrem schönen Sopran und ebenfalls glaubhafter Gestaltung beeindruckte erneut Ekaterina Kudryavtseva als die neue Priorin. Die meist unbekümmerte Novizin Constance war bei Veronika Schäfer und ihrem klaren, blitzsauberen Sopran gut aufgehoben. Der wie immer kultivierte Mezzo von Anne Schuldt passte bestens zur kleinen Partie der Mutter Jeanne; Barbara Skora ergänzte als Schwester Mathilde. Mit temperamentvollem Spiel und markigem Bass gab Jisang Ryu Blanches Vater Marquis de la Force. Dessen Sohn, der Chevalier, war Matthew Pena anvertraut; leider wurde sein Charaktertenor anfangs zeitweise vom Orchester fast zugedeckt. In noch kleineren Rollen erlebte man Maximilian Krummen als Kerkermeister und Diener Thierry, als Gast aus Mannheim den flexiblen Tenor Juraj Holly als Beichtvater des Karmel, die Chorsolisten Steffen Doberauer und Peter Fontaine alsKommissare sowie Ross Coughanour als den Arzt Jalevinot und Offizier.

Das Premierenpublikum war sehr angetan und bedankte sich bei allen Mitwirkenden mit starkem, beim Regieteam mit nur vereinzelten Buh-Rufen gemischtem Applaus.

Gerhard Eckels, 13. Oktober 2024



Dialogues des Carmélites
Oper von Francis Poulenc

Staatstheater Braunschweig

Premiere am 12. Oktober 2024

Musikalische Leitung: Alexander Sinan Binder
Inszenierung: Paul-Georg Dittrich
Staatsorchester Braunschweig

Weitere Vorstellungen: 16., 27., 31. Oktober, 15. November, 1., 27. Dezember 2024 und öfter