Der Name Amahl kommt aus dem Arabischen (أمال) und bedeutet „Hoffnung“. Diese Hoffnung begleitet den Titelhelden der Oper, Amahl, der eigentlich ein gelähmtes Bein haben sollte und wie Menotti, der als Kind selbst unter einem solchen litt, wie durch ein Wunder geheilt wurde. Nicht so bei Regisseur Stefan Herheim. Hier leidet er noch zusätzlich an Leukämie und liegt in einem Krankenbett. Nur eine fallweise in Verwendung stehende Krücke erinnert an die ursprüngliche Intention des Textdichters und Komponisten Menotti. Als „Weihnachtsoper“ fand die Uraufführung in den NBC-Studios 1951 in New York statt und wurde live im Fernsehen ausgestrahlt. In unseren Breitengraden erfreut sich um diese Jahreszeit die Oper „Hänsel und Gretel“ und das Ballett „Der Nussknacker“ nach wie vor größter Beliebtheit. Stefan Herheim versuchte mit seiner Neudeutung den Zauber dieser Märchenoper mit Brachialgewalt zu zerstören. Die Oper spielt nicht mehr in Judäa zur Zeit der Geburt Christi, sondern in einem schäbigen Krankenzimmer in der Gegenwart. In seiner Fantasie sieht er das Spitalspersonal als drei Könige und die Hirten als Eltern an Krebs verstorbener Kinder, die nun als Engel mit Flügeln auftreten.
Eine „Wunderheilung“ gibt es für Amahl nicht, am Ende ist er tot, erlebt aber eine Art „Himmelfahrt“ mit den drei Königen und steigt mit ihnen die Treppe zum Stern von Bethlehem empor. Seine Mutter wirkt endlich entspannt und glücklich, weil das Leiden ihres Sohnes ein Ende gefunden hat. Herheim scheint sein Problem mit dem Übersinnlichen bzw. dem Wunder zu haben, sonst ließe er es ganz einfach zu. Ich frage mich, wie Herheim wohl Korngolds „Das Wunder der Heliane“ deuten würde. Ein Wiener Sängerknabe in der Titelrolle hätte sich, meiner Meinung nach, schon eine namentliche Nennung verdient, oder war da ein überzogener Jugendschutz am Werk? Auch der damals allerdings bereits 15jährige Alois Mühlbacher durfte in Händels Alcina 2010 als Oberto an der Wiener Staatsoper namentlich angeführt werden. Er machte seine Sache gesanglich wie darstellerisch jedenfalls hervorragend. Die aus Wuppertal stammende Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser war seine verhärmte stets vor Hunger schlaftrunkene Mutter. Sie wirkte oft genervt und völlig verständnislos ob der Fieberfantasien ihres sterbenskranken Sohnes. Der belarussische Bariton Nikolay Borchev trug in der Rolle des Königs Melchior die Erzählung über Jesus mit großer Ergriffenheit vor. Der Österreicher Paul Schweinester lieh seinen tragfähigen Tenor mit Aplomb der Rolle von König Kaspar. Der deutsche Bass Wilhelm Schwinghammer ergänzte mit exzellenter Stimme als eindringlicher Balthasar. Die drei werden nach dem Matthäusevangelium vom Stern von Bethlehem zu Jesus geführt. Diese drei Weisen sollen nach späteren Überlieferungen von den drei damals bekannten Kontinenten gekommen sein, also Europa, Asien und Afrika, weshalb auch einer der drei der Tradition nach als „Schwarzer“ dargestellt wird. Aber in der heutigen Zeit, wo es nur mehr Gutmenschen gibt, die sich politisch stets korrekt ausdrücken, gilt es als rassistisch und von daher als verpönt, einen dieser drei Magier auch mit schwarzer Gesichtsfarbe vorzuführen. Diesem Dilemma begegnet Kostümbildner Sebastian Ellrich dadurch geschickt, dass er ein schwarzes Kostüm für König Balthasar bereithält.
Wer nun tatsächlich der schwarze, afrikanische König war, darüber besteht in der Forschung keine Einigkeit, entweder Caspar oder der als stattlich beschriebene Melchior, aber auch Balthasar wurde im 13. Jhd. mit schwarzem Bart, schwarzem Haar und schwarzer Hautfarbe dargestellt. Sebastian Ellrich hat aber auch dieses triste Krankenzimmer auf die wohl in Anlehnung an die TV-Ausstrahlung bei der Uraufführung als Guckkasten entworfen, die sich dann zur Seite hin an den Bühnenrand und in die Höhe öffnet. Die Geschichte führt aus der Enge der Familiensituation heraus in eine mehr oder weniger gelungene universelle Heilsbotschaft. Die Choreografie von Beate Vollack liefert den heiteren Showcharakter, bei dem die drei inzwischen alt gewordenen Könige auf ihre jung gebliebenen Doppelgänger treffen. Eine weitere Tänzerin darf Amahl zu Beginn noch eine Flöte überreichen. Diese ausdrucksstarken Tänze wurden von Tura Gomez, Sophie Melem, Alessia Rizzi und Beatriz Scabora ausgeführt. 18 Kinder der Musikschule Liesing traten als verstorbene Engel mit ihren Eltern auf. Der norwegische Dirigent Magnus Loddgard ließ die Wiener Symphoniker sehr gefühlvoll, fast schon sentimental aufspielen. Der von Erwin Ortner präzise geleitete Arnold Schoenberg Chor veredelte in gewohnt präziser Weise diesen Frühnachmittag im Museumsquartier. Rund um das Orchester wurde zur Erweiterung der Auftrittsmöglichkeiten noch ein Steg gebaut. Die erste von zwei Nachmittagsvorstellungen war gut mit Kindern besucht, von denen einige aber während der 50minütigen Aufführung die Toilette aufsuchen mussten, aber auch die vor mir sitzende überfürsorgliche Mutter dürfte an diesem kalten Tag von einem Blasenleiden heimgesucht worden sein und entfernte sich knapp vor Ende der Oper. Sie kehrte aber noch rechtzeitig zum langanhaltenden verdienten Applaus für alle Mitwirkenden an ihren Sitzplatz zurück. Dem anwesenden Publikum hat die Aufführung offensichtlich gefallen und das ist die Hauptsache! Mit Menottis „Amahl und die nächtlichen Besucher“ läutete Intendant Stefan Herheim seine geplante Serie von „Familienoper“ ein. Man kann gespannt auf die nächste Produktion sein.
Harald Lacina, 19. Dezember 2022
„Amahl und die nächtlichen Besucher“ Gian Carlo Menotti
MusikTheater an der Wien im MuseumsQuatier
Besuchte Aufführung: 18. Dezember 2022 (Premiere: 15. Dezember 2022)
Inszenierung: Stefan Herheim
Musikalische Leitung: Magnus Loddgard
Wiener Symphoniker
2. Besprechung (hier geht es zur 1. Erstbesprechung)