Besuchte Aufführung: 4.6.2015 (Premiere: 30.5.2015)
Der ewige Kreislauf von Sex and Crime
Man muss schon sagen: Es ist in hohem Maße bemerkenswert, wie schnell sich das Theater Augsburg von dem ursprünglich sehr konventionell geprägten Haus zu einem führenden Verfechter spannenden modernen Musiktheaters entwickelt hat. Das hat es in erster Linie Georg Heckel, dem künstlerischen Leiter dieser Sparte, zu verdanken, dem es immer wieder gelingt, bedeutende, auch internatonal gefragte Regisseure mit hohem künstlerischen Anspruch und interessanten neuen Regieansätzen nach Augsburg zu locken, denen es nicht nur um eine simple Nacherzählung des in Szene zu setzenden Werkes geht, sondern vielmehr um die Aufzeigung von dessen Relevanz für die Gegenwart und um eine Hinterfragung des Inhaltes.
Hexenchor
Zu diesen Regiemeistern gehört sicher Lorenzo Fioroni, der bereits zum wiederholten Male in Augsburg am Regiepult Platz genommen hat und dem eine recht außergewöhnliche, spektakuläre, zeitgemäße, wenn auch manchmal etwas überfrachtete Inszenierung von Verdis „Macbeth“ zu bescheinigen ist. Er hat die Handlung trefflich in die Gegenwart transferiert und gekonnt Bezüge zu aktuellen Krisenherden wie der Ukraine und dem Irak hergestellt. Macbeth und Banco sind moderne Soldaten in zeitgenössischen Uniformen und mit Stahlhelmen ausgestattet. Sie campieren in einem von Ralf Käselau entworfenen, von einem Zaun umgebenen riesigen Heereslager, dessen Erscheinungsbild durch einen der jeweiligen Jahreszeit – Frühling bis Winter – entsprechenden Baum dominiert wird. Zunächst in voller Blüte stehend, wird er am Ende, nun gänzlich kahl und dürr, von einer weihnachtlichen Lichterkette umgeben. Die Hexen erscheinen als von Annette Braun eingekleidete Prostituierte, deren Aufgabe wohl die Truppenbetreuung ist.
Macbeth, Sally du Randt (Lady Macbeth)
Es ist eine knallbunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die Fioroni hier genüsslich aufmarschieren lässt. Das Ganze atmet den Charakter einer groß angelegten bizarren Show mit Adel und Geistlichkeit einerseits und knalligen Figuren aus Comics, Science-Fiction- und Horror-Filmen andererseits, die sich hier ein Stelldichein geben und ihrem als überdimensional-riesiger Teddybär gezeichneten König Duncan huldigen, der später logischerweise auch einen entsprechend großen Sarg benötigt. Derartig skurrile, absurde und überdrehte Bilder rücken das ursprünglich nachtschwarze Geschehen in die Nähe einer Groteske. Fioroni scheut sich nicht, das tragische Geschehen mit mannigfaltigen heiteren und amüsanten Elementen anzureichern und aus dem aufgefahrenen Personal mit Supermann, King-Kong und Darth Vader, dem sich im letzten Akt auch noch der Arzt und die Kammerfrau als Weihnachtsmänner hinzugesellen, eine ziemlich überdreht wirkende Jahrmarktsgesellschaft zu machen. Das verbrecherische Paar an der Spitze des Staats tut wirklich alles, um das Volk mit derartigen Lustbarkeiten von ihren Verbrechen abzulenken – nicht zuletzt deshalb, weil sie politisch eigentlich in den Kinderschuhen stecken geblieben sind und sich von den Staatsgeschäften mehr oder weniger überfordert fühlen. Dieser Ansatzpunkt ist durchaus legitim, birgt im konkreten Fall aber die Gefahr von Überzeichnung in sich, der Fioroni dann auch nicht entgeht. Weniger wäre mehr gewesen.
Martin Seeger (Duncan), Sally du Randt (Lady Macbeth), Macbeth, Chor
In der Bankettszene tritt Macbeth als konventioneller König mit Krone und rotem Purpurmantel auf, während die Lady ihr Outfit den Kostümen des Volkes angleicht. Dass sie den Film „Das fünfte Element“ liebt, macht das diesem entlehnte blaue Latexkleid offensichtlich, das sie hier trägt, das aber genauso einmalig bleibt wie ein elegantes, schickes Kostüm der gehobenen Gesellschaft, in dem sie vor einem öffentlichen Auftritt noch einmal vor den Schminkspiegel tritt. Meistens erscheint sie in sexy Unterwäsche, die sie als ebenso leichtes Mädchen erscheinen lässt wie die Zauberinnen und sie gleichsam zur Oberhexe macht. Dieser Ansatzpunkt ist nicht mehr neu, aber durchaus effektiv und im Gesamtzusammenhang der Inszenierung auch schlüssig. Das Ehepaar Macbeth residiert während des Krieges in der Nähe des Schlachtfeldes in einem schicken Hotelzimmer – ein Bild ihrer mittelalterlichen Burg prangt an der Wand – mit Doppelbett, Schreibtisch und Fernseher, in dem sich der Titel-Antiheld die aktuelle Kriegsberichterstattung ansieht. Eine offene Tür führt ins Badezimmer. In diesem Ambiente pflegen die Eheleute oft sehr heftigen, ausgelassenen Sex, der den beiden Darstellern sicher viel Mut abverlangte.
Durch die Krassheit dieser Bilder offenbart sich, dass die Liebe zwischen Macbeth und seiner Lady bereits an ausgemachte Hörigkeit grenzt. Während in den meisten anderen Produktionen des Stücks die Beziehung zwischen den beiden längst erkaltet ist und sie nur noch in einer Zweckgemeinschaft zusammenleben, lieben sie sich hier immer noch, und das mit ganzer Kraft. Diese große Liebe zwischen den beiden ist es auch, die Macbeth und seine Gattin bei Fioroni nicht als durch und durch böse erscheinen lässt. Die hier weniger machtbesessen als in sonstigen Deutungen der Oper vorgeführte Lady, der die Grundfesten eines christlichen Humanismus nicht fremd zu sein scheinen – sie nimmt auch mal eine Hotel-Bibel zur Hand – beteiligt sich zwar am Königsmord, ist hier aber durchaus keine durch und durch verdorbene Machtpolitikerin und hat letztlich genauso viel Skrupel wie ihr Mann, dessen Wahnvorstellungen von Bancos Geist am Ende des ersten Aktes wohl Ausfluss einer übermäßigen Einnahme von Rauschgift sind – noch ein überzeugender aktueller Bezug. Das ausschweifende Sexleben des Paares dient als Gegenstück ihrer Verbrechen. Gleichzeitig geilen sie sich aber auch an der Macht auf – ein ewiger, sich immer wieder neu beflügelnder Kreislauf von Sex and Crime, der die Protagonisten langsam, aber sicher zu seelischen Wracks erstarren lässt. Das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis, in dem sie zueinander stehen, bewirkt, dass die Lady sich Charaktereigenschaften von Macbeth zueignet und er wiederum Züge von ihr annimmt. Zu Beginn des dritten Aktes erscheint er als Transvestit in ihrem Kleid, um gleich darauf von der nun sehr männlich anmutenden, in schicke Anzüge gekleideten Hexenschar vergewaltigt zu werden. Die Psychen des Ehepaares beginnen allmählich verrückt zu spielen. Klar wird, dass ihr schlechtes Gewissen sie zu sehr belastet. Dass sich die Lady einen Funken Gutes bewahrt hat, erweist sich während ihrer großen Wahnsinns-Szene, in der sie, total wirr geworden, Geschenke an von den Weihnachtsmännern auf den Boden gelegte tote Kinder verteilt. Wenn sie sich schließlich ins Hotelzimmer zurückzieht und sterbend auf das Bett legt, setzt sich Macbeth gerade wieder eine Spritze an. Nach seiner letzten verlorenen Schlacht, bei der der Wald von Birnam in Form von Weihnachtsbäumen vorrückt, hatte man fast den Eindruck, als ob er gerne in den Tod ginge. Er kann ohne seine Frau nicht leben. Schließlich finden ihre Seelen – durch ein Photo versinnbildlicht – im Jenseits zueinander, während sich die Hexen auf ihre mumifizierten Leichen stürzen – ein gleichermaßen makabres wie romantisches Ende. Insgesamt haben wir es hier trotz der aufgezeigten Überzeichnung mit einer durchaus sehenswerten Produktion zu tun, die auch treffliche Brecht’sche Elemente in sich birgt, so wenn die Mörder durch den Zuschauerraum auftreten.
Macbeth, Hexenchor
Auf insgesamt hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Hier ist an erster Stelle Sally du Randt zu erwähnen, die in der Lady Macbeth eine erstklassige Rolle für sich gefunden hat. Die Partie kam genau zur rechten Zeit für ihren immer fülliger und ausdrucksstärker werdenden und in riesigen Schritten in das dramatische Fach hineinwachsenden Sopran, mit dem sie alle Facetten der Lady auf geradezu bravouröse Weise meisterte. Herrlich blühte ihre prachtvolle Stimme insbesondere in der sicher erreichten Höhe auf. Im oberen Bereich und bei den wunderbaren, bestens fokussierten Piani und Pianissimi hatte sie ihre stärksten Momente. Hier wartete sie mit einer sehr seelenvollen, emotionalen Tongebung auf, was eigentlich gar nicht zu der Lady passt, aber in der konkreten Konzeption Fioronis ausgezeichnet zur Geltung kam. Seine sicher nicht immer einfach zu bewältigenden Regieanweisungen hat sie trefflich umgesetzt und sowohl die Liebe der Lady zu ihrem Ehemann als auch ihre Skrupel darstellerisch überzeugend umgesetzt. Die Rolle des Macbeth war an diesem Abend zweigeteilt. Der ursprünglich vorgesehene Sänger Matias Tosi war erkrankt. Da der Ersatz zeitbedingt nicht mehr in die Inszenierung eingewiesen werden konnte, verfiel man auf folgende Lösung: Regieassistent Benjamin David spielte den Part, während Ricardo Lopez, der die Partie sowieso in der nächsten Saison übernehmen wird, diese von der Seite aus sang und dabei ein Versprechen für die Zukunft abgab. Er singt durchaus kräftig und mit guter Stütze, was schon viel ist. Was ihm im Augenblick aber noch fehlt, sind eine größere Farbpalette und etwas mehr Nuancen. Übertroffen wurde er von Ji-Woon Kim, der mit prachtvollem, hervorragend fokussiertem, sonorem und ausdrucksstarkem Spinto-Tenor als Macduff eine ausgemachte Glanzleistung erbrachte. Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ auch Vladislav Solodyagin, der den Banquo mit edler, profunder, farbenreicher Klangkultur und ansprechender Linieführung ausstattete. Eckehard Gerboth (Arzt) und Andrea Berlet-Scherer (Kammerfrau) machten aus ihrem kurzen Auftritt mit tadellosen, gut verankerten Stimmen viel, während es dem ziemlich dünn singenden Malcolm von Christopher Busietta noch erheblich an einer tiefen Verankerung seines Tenors fehlt. Als Diener/Herold und Mörder waren solide André Wölkner und Lászlo Papp zu erleben. Papp gehörte auch zu den Erscheinungen im dritten Akt, zu denen noch Valentin Meyer und Julius Gerheuser zählten. Köstlich präsentierte sich Martin Seeger als Teddybär Duncan. Jakob Lohrum spielte ansprechend Banquos Sohn Fleance. Der hervorragend singende Chor wurde von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek einstudiert.
Sally du Randt (Lady Macbeth), Kinderstatisterie
Zu Recht über großen Applaus freuen konnten sich Lancelot Fuhry und die glänzend disponierten Augsburger Philharmoniker. Es ist bezeichnend für die Musiker, dass sie selbst noch die schwierigsten Stellen der Partitur mit hohem technischem Können und großer Noblesse der Tongebung meisterten und dabei die Intentionen des Dirigenten perfekt umsetzten. Fuhry setzte bei seinem Dirigat auf große Transparenz und vielfältige dramatische Akzente und wartete obendrein mit schöner Italianita auf.
Fazit: Trotz einiger kleiner Abstriche eine insgesamt ansprechende Aufführung, die die Fahrt nach Augsburg durchaus gelohnt hat.
Ludwig Steinbach, 8.6.2015
Die Bilder stammen von A. T. Schaefer