Quietschbuntes Vergnügen
Premiere: 15.11.2019
besuchte Vorstellung: 23.11.2019
Lieber Opernfreund-Freund,
das Trio der im Rahmen des Donizetti-Festivals 2019 präsentierten Opern macht Pietro il Grande, kzar delle Russie komplett, den ich mir gestern Abend im Teatro Sociale in der Altstadt von Bergamo für Sie angesehen habe. Das musikalisch sehr an Rossini erinnernde Dramma burlesco präsentiert sich in quietschbuntem Gewand und dank eines beherzt aufspielenden Ensembles wird der Abend zum Genuss.
Il falegname di Livonia, o Pietro il grande, czar delle Russie ist der sperrige Titel der fünften Oper von Gaetano Donizetti. Der damals gerade 19jährige war seinerzeit hörbar noch auf der Suche nach einem eigenen Stil und wollte vielleicht auch auf den erfolgreichen Zug aufspringen, den Gioachino Rossini 1816 bzw. 1817 mit dem Barbiere, der Cenerentola oder der Gazza ladra ins Rollen gebracht hatte. Zumindest hört man dem Werk entsprechende Entlehnungen an, etwa ausgedehnte Secco-Rezitative oder die Etablierung eines Sündenbocks, dessen Rolle in Pietro il Grande dem Magristraten Ser Cuccupis zufällt, für den Donizetti zungenbrecherische Parlandopassagen schreibt und dessen Machenschaften am Ende des Werkes natürlich aufgedeckt und bestraft werden. Musikalisch ist das Werk weit von den Raffinessen späterer Opern entfernt und auch der Plot ist eher schlicht aufgebaut: Der Zimmermann von Livland, so in etwa die deutsche Übersetzung des Titels weckt irgendwie Assoziationen zu Lortzings Zar und Zimmermann und das kommt nicht von ungefähr, beschäftigt sich die Oper doch thematisch ebenfalls mit den Reisen, die der russische Zar inkognito durch Europa unternahm und die Donizetti später noch einmal im Borgomastro di Saardam als Sujet verwenden sollte.
Zar Peter und seine Frau Caterina reisen unerkannt durchs Land und kommen auf der Suche nach Catarinas verschollenem Bruder nach Livland, einer Gegend im heutigen Litauen und Estland. Dort begegnen sie dem Zimmermann Carlo, der seine Angebetete Annetta, die zusammen mit Madama Fritz eine Herberge leitet, heiraten will. Im Laufe der Oper stellt sich heraus, dass Carlo der verschollene Bruder der Zarin ist, Annetta hingegen die Tochter des Aufrührers Mazeppa – doch als der Zar hört, dass der bereits tot ist, ist ihm das auch egal. Er stimmt der Hochzeit seines nun adelig gewordenen Schwagers zu, degradiert den intriganten Cuccupis und der Abend endet in einem Hochgesang auf den Zaren.
Für die Inszenierung dieses Schwankes hat die Fondazione Donizetti die römische Theaterkompanie Ondadurto gewinnen können und Szene und Kostüme wirken, als hätten sich Mondrian, Kandinsky und ein italienischer Designer aus den 1980er Jahren zusammengetan, um einmal eine Oper auszustatten, so geometrisch geprägt und gleichzeitig so farbig kommen die Bühnenelemente von Marco Paciotti und Lorenzo Pasquali daher. Die originellen und gleichfalls quietschbunt gemusterten Kostüme des K.B. Project sind ein Augenschmaus und passen herrlich ins Konzept, nur Marco Alba treibt es mit den knalligen Videoeinspielungen im wahrsten Sinne des Wortes bisweilen zu bunt. Sie überlagern die Szene und sind mir oft eine Spur zu viel, kreieren an anderer Stelle aber passende Stimmungen, etwa, wenn sie die Einlage einer Artistin ins passende Licht rücken, die eine wunderbare Arie von Annetta untermalt.
Der italienische Bariton Roberto De Candia hat auf allen wichtigen Brettern der Welt gestanden und verfügt über eine immense Bühnenpräsenz, die er als Zar Peter am gestrigen Abend gekonnt ausspielt und zudem mit großem Volumen Eindruck macht, während seine Gemahlin Caterina in Loriana Castellano eine mit einfühlsamem Mezzo ausgestattete Gestalterin findet. Nina Solodovnikovas farbenreicher Sopran ist wie gemacht für die liebreizende Annetta, die sie frech und quirlig anlegt. Francisco Brito besticht als Carlo mit feiner Lyrik, sicherer Höhe und satter Mittellage, während Ser Cucuppis in Marco Filippo Romano einen meisterhaften Interpreten findet. Der aus Sizilien stammende Baritonbuffo parliert in herrlicher Manier, zeichnet den Magistraten wunderbar überspitzt als tollpatschigen Emporkömmling, ist für mich einer der Stars des Abends und ich freue mich darauf, ihn im kommenden Frühjahr an der Oper Köln in Il viaggio a Reims zu sehen. Getoppt wird er nur noch von Paola Gardina, die eine emotionsgeladene Madama Fritz gibt, gehaltvoll in der Tiefe, gefühlvoll in der Höhe mit einer mühelos erscheinenden Geläufigkeit, wunderbarem Ausdruck und intensivem Spiel – so ist sie ein rundum gelungenes Gesamtpaket für diese Rolle.
Marcello Nardis und Tommaso Barea komplettieren das spielfreudige Ensemble als Hondedisky mit klangschönem Tenor und als einfältiger Firman-Trombest, der mich mit seiner toll überzeichneten Haube an Quax, den Bruchpiloten erinnert. Die Herren des Chores sind ebenfalls bestens aufgelegt, Fabio Tartari hat sie betreut. Im Graben hält Rinaldo Alessandrini die Zügel fest in der Hand, mitunter hätte ich mir da ein wenig mehr Leichtigkeit erhofft, um dem Witz der Partitur mehr Entfaltungsmöglichkeit zu geben. Das Publikum im voll besetzten Theater applaudiert nach dreieinhalb Stunden freundlich, allerdings nicht überschwänglich. Und genau so geht es mir: die Ausgrabung dieser Opera buffa mit der annähernden Dauer eines Lohengrin ist aller Ehren wert, der Abend durchaus unterhaltsam. Allerdings fehlt dem Werk die musikalische Reife, die es zu einer gelungenen Komödie eben auch braucht, und der musikalische Witz des Komponisten, an dessen Stil sich Donizetti hier orientiert hat.
Im nächsten Jahr möchte die Fondazione Donizetti – dann zur Wiedereröffnung des Teatro Donizetti in der Citta bassa – die Raritätenjäger mit Marino Faliero nach Bergamo locken. Das Werk war beim Festival allerdings bereits 2008 zu sehen – und ihm zur Seite hat man die Fille du régiment gestellt (allerdings in einer „kritischen Edition“ von Claudio Toscani), die man nun wirklich allerorts erleben kann.
Ihr
Jochen Rüth
24.11.2019
Die Fotos stammen von Gianfranco Rota.