Premiere am 1.12.2018
Endgültige Fassung?
Vorweg eine gute Nachricht: Die Deutsche Oper steht noch nach der Premiere von Offenbachs Les Contes d’Hoffmann, obwohl doch eine Fluch auf dem Stück lasten soll, der bei der österreichischen Erstaufführung zu einem Theaterbrand und zu vierhundert Toten führte, und auch das Uraufführungstheater, die Opéra Comique in Paris, ereilte dasselbe Schicksal. Die zweite gute Nachricht: Mit der zunächst für das Lausanner Theater erstellten Fassung des vom Komponisten nicht vollendeten Werks hat man eine gute Lösung gefunden, auch wenn wegen der gesprochenen Rezitative eher für ein französisches Publikum und für muttersprachliche Sänger geeignet. Die dritte gute Nachricht: Mit der aus Lyon übernommenen Produktion, die auch in Barcelona und in San Francisco zu erleben ist, gibt es an der Deutschen Oper endlich wieder eine Premiere, von der man sich nicht wie unlängst bei Carmen, Fledermaus und Wozzeck mit Schaudern abwenden muss.
Wer glaubte, seinen Hoffmann zu kennen, wird mit Erstaunen Unterschiede zu den Aufführungen, die er bisher erlebt hat, wahrnehmen: Die Rolle der Muse ist erheblich aufgewertet, sie ist das zweite Ich des unglücklichen Dichters und hat sehr viel zu singen, Giulietta wird von diesem am Ende des vierten Akts erstochen, die sogenannte Spiegelarie wird zur Originalmusik und nicht zu der geläufigeren aus der Reise zum Mond gesungen, der sonst oft gestrichene Geisterchor findet wieder seinen Platz in der Oper.
Optisch geht es eher schlicht zu mit verschiebbaren Wänden in wechselnden Blautönen, dazu wenig Mobiliar wie einige Bänke für Lutters Keller, einige Sofas und sich im Barcaroletakt bewegende Vorhänge für den Giulietta-Akt, Tribünen und eine Art Kran, der die Puppe hin- und her bewegt für den Olympia-Akt, immerhin ein Treppenhaus plus Kämmerchen mit Bett und Nachttisch für den Antonia-Akt (Bühne Chantal Thomas). Die Erscheinung der Mutter ist ein riesiges Negativ-Portrait. Surreales wird insbesondere bei den Auftritten des Bösewichts zum Teil der Inszenierung. Die Muse behauptet zwar, vom Himmel zu kommen, steigt aber aus einem dampfenden Loch im Bühnenboden, ehe sie zum den Dichter begleitenden Nicklausse wird. Macht nichts, das Stück wird im Wesentlichen respektiert, die Kostüme von Laurent Pelly, der auch der Regisseur der Produktion ist, sind teils biedermeierlich, teils späteren Epochen zuzuordnen.
Mit weit mehr Glück als der letzte Premieren-Hoffmann an der Deutschen Oper, nämlich Kenneth Riegel, absolvierte der jetzige, der schwedische Tenor Daniel Johansson die Vorstellung. Er hat zwar nicht das Ausnahme-Timbre eines Domingo oder die glaubwürdige Zerrissenheit eines Shicoff, aber er konnte sich durch sein engagiertes Spiel und durch eine solide vokale Leistung, durch die sichere Höhe sowie das nie nachlassende Durchhaltevermögen behaupten, die Stimme klingt manchmal etwas näselnd und spröde, was aber bei einer italienischen Partie eher stören würde. Ein heikles Unterfangen ist immer die Besetzung der drei Frauenpartien (und in dieser Fassung singt auch Stella) mit nur einer Sängerin. Cristina Pasariou war wunderbar als Antonia, die sie mit lyrischer Emphase sang, nicht übermäßig virtuos als Olympia und leicht gepresst klingend als Giulietta. Eine erstaunliche Entwicklung hat Alex Esposito durchgemacht, der nun nach einer Rossini-Mozart-Karriere die eher dramatischen Basspartien singt, dessen Stimme jetzt schwarz und gewichtig genug für die vier Bösewichter ist.
Der große und verdiente Erfolg von Irene Roberts als Muse/Nicklausse lag nicht nur an ihrer tadellosen stimmlichen Leistung mit leuchtendem Mezzosopran, sondern auch an der Gewandtheit und Eleganz, mit der sie sich auf der Bühne zu bewegen wusste. Gideon Poppe konnte natürlich besonders mit dem Couplet des Franz glänzen, Annika Schlicht strahlt viel vokale Autorität als Mutter aus, Tobias Kehrer ist die Luxusbesetzung für Luther (Nicht Lutter, wie man annehmen müsste!), Jörg Schörner ist der umtriebige Spalanzani. James Platt lässt als Crespel mit markantem Bass gleichermaßen Autorität und besorgte Liebe zur Tochter anrührend hörbar werden.
Der Chor unter Jeremy Bines zeigt sich einmal mehr von seiner besten Seite. Enrique Mazzola, Ständiger Gastdirigent des Hauses, führte das Orchester zügig, straff und elegant durch die Partitur, ließ sich aber auch Zeit und Raum für deren poetische Höhenflüge. Wer die Deutsche Oper liebt war froh, das Haus zufrieden verlassen zu können.
Fotos Bettina Stöß
2.12.2018 Ingrid Wanja