Premiere am 15.6.2018
Glanzvoller Saisonabschluss
Frühsommerliches Wetter und Portugal gegen Spanien bei der Fußballweltmeisterschaft: Wer oder was könnte dem an Anziehungskraft überlegen sein, wenn nicht Giacchino Rossini und eine seiner heiteren Opern. Zum baldigen Saisonende ist Il Viaggio a Reims genau das richtige Opus, um ein ermüdetes Publikum und ein ebensolches Ensemble noch einmal einem Saisonhöhepunkt entgegensteuern zu lassen. Dabei dürfte es diese Oper eigentlich gar nicht geben, denn nach einer relativ erfolglosen Aufführungsserie als Omaggio an Karl X. hatte der Komponist das Werk als Steinbruch, vor allem für den Comte Ory benutzt, und die Noten für den Viaggio schienen verloren gegangen, wurden erst 1977 im Archiv der Accademia Santa Cecilia in Rom gefunden. Es gibt allerdings auch eine Version der Rezeptionsgeschichte, die die Meinung vertritt, Rossini habe von Anfang an geplant, die Musik für den Viaggio später für andere Werke zu benutzen.
Es ist insbesondere das Verdienst von Claudio Abbado, der 1984 das Stück in Pesaro bei den Rossini-Festspielen aufführte und es auch an die Scala, nach Wien und halbszenisch in die Berliner Philharmonie brachte, dass Il Viaggio a Reims zum Repertoirestück geworden ist. Zehn anspruchsvolle Hauptrollen und acht kleinere Partien hat die Oper ohne eine rechte Handlung, und die Besetzungszettel der damaligen Aufführungsserien lesen sich wie ein Who is Who nicht nur der berühmtesten Rossinisänger, und bei der Uraufführung hatten Namen wie der Giuditta Pastas die Bedeutung des neuen Werks betont.
Als sich am 15.6. der Vorhang in der Deutschen Oper Berlin hob, mochte manch einer gedacht haben: Bitte nicht schon wieder Spiegeldecke, -wände und –fußboden, Lazarettbetten (Aus Tannhäuser ausgeliehen?) und Videos im Hintergrund! (Szene Stéphane Laimé) Aber das kaum aufgekommene Gefühl des Überdrusses wich ganz schnell der Begeisterung für eine rasante, witzige, die Personen nie der Diffamierung ausliefernde Inszenierung von Jan Bosse, die jedem der zehn Sänger durch eine ausgefeilte Personenregie die Möglichkeit gab, seine Rolle zu formen und ins rechte Licht zu setzen, unverwechselbar zu bleiben, komisch, aber nie lächerlich zu wirken. Viele köstliche Einfälle wie die verstörende Vervielfachung der Corinna, die Symbole für die Vertreter der einzelnen Nationen ließen das Publikumsinteresse nie nachlassen, und ganz erheblich trugen die phantasiereichen, charakterisierenden Kostüme (Kathrin Plath)dazu bei, dass trotz der für eine Buffa ungewöhnlichen Länge (Der Einakter wurde durch eine Pause unterbrochen.) nie Langeweile aufkam.
Und selbst unverbesserliche Fußballfreunde konnten sich über zumindest zwei Hymnen, die deutsche wie die englische, freuen. Wenn einem ansonsten Modernisierungen und Aktualisierungen längst zum Halse heraus hängen, dann ergab es hier sehr viel und äußerst belustigenden Sinn, Anspielungen auf die EU und ihre Probleme zu machen.
Die Oper vereinigt in sich fast alle Stimmtypen der Rossinizeit. Musikalisch besonders reich bedacht ist die Künstlerin Corinna mit zwei Bravourarien, die Elena Tsallagova im Kostüm eines Rauschgoldengels mit viel dolcezza, mit einer wunderschönen, reinen lyrischen Sopranstimme sang. Sie wie die meisten der Mitwirkenden stammt aus dem Ensemble der Deutschen Oper, so auch die Walter-Sandvoss-Stipendiatin Vasilisa Berzhanskaya, die mit einer äußerst vollmundigen Marchesa Melibea der warmen, runden Mittellage erfreute. Die Madama Cortese war auf den koloraturgeübten Stimmbändern von Hulkar Sabirova bestens aufgehoben, während Siobhan Stagg der Verzweiflung der Contessa di Folleville so beredten wie fein und rein klingenden Ausdruck verlieh.
Bei den Herren konnten besonders die tiefen Stimmen gefallen. Mikheil Kiria gab dem Lord Sidney nicht nur eine imponierende Statur, sondern auch eine so markante wie dunkel-samtene Bassbaritonstimme, so wie Davide Luciano in der Enzo-Dara-Partie des Don Profondo den Vergleich mit seinem Vorgänger nicht zu scheuen brauchte. Philipp Jekal gab den Deutschen, Barone di Trombonok, und blieb ihm vokal wie darstellerisch nichts schuldig. Don Alvaro fand in Dong-Hwan Lee seinen angemessenen Interpreten. Gideon Poppe und David Portillo als Cavaliere Belfiore und Conte di Libenskof konnten weniger durch ein begnadetes Timbre als durch angenehme Musikalität und ausgefeilte Technik glänzen.
Unbedingt erwähnt werden müssen außerdem wegen ihre bravourösen Spiels (und nicht nur, weil sie auf der Bühne und nicht im Orchestergraben spielten) die Harfenistin Virginie Gout-Zschäbitz und die Flötistin Anna Garzuly-Wahlgren.
Gut vorbereitet hatte Giacomo Sagripanti das Orchester der Deutschen Oper, das unter seiner aufmerksamen, espritreichen Stabführung spielte, als sei es in Pesaro zu Hause.
Fotos Thomas Aurin
16.6.2018 Ingrid Wanja