Uraufführung am 25.10.2019
Auftakt zu den Barocktagen
Ihren Schatten voraus werfen schon einmal die diesjährigen Barock-Tage an der Staatsoper mit der Uraufführung der „Musiktheaterperformance“ Love, you son of a bitch von Letitia Renzini zur Musik von hauptsächlich Alessandro, ein wenig auch von Domenico Scarlatti. Eigentlich heißt es ja „Amore, figlio di puttana“, aber nicht nur der Titel, auch die auf der Videowand erscheinenden Texte sind in Englisch gehalten und dazu tiefgründig und bedeutungsschwanger, so die Pyramide der menschlichen Bedürfnisse, angefangen bei physiological needs, sich fortsetzend über safety and security needs und führend zu love and belongingness needs, was allerdings mit den Texten der Kantaten Scarlattis, um die es geht, wenig zu tun hat. Kapitalismuskritik geht immer, und so werden, natürlich laut Programmheft, „das System strahlt Gleichgültigkeit aus“, Menschen dazu gezwungen, in Fitnessstudios, volkstümlich Muckibuden, ihre Attraktivität und damit ihren Marktwert zu erhöhen.
Eine öffentliche Garküche oder eine Klima-Demo hätte natürlich auch gut zu Scarlattis Liebes-Lamenti gepasst, aber man kann nicht alles haben. In einem solchen, d.h. Fitnessstudio, siedelt im alten Orchesterprobensaal der Staatsoper die Regisseurin, die zugleich für Video, oft verschwiemelt, und Kostüme verantwortlich ist, ihre Performance an; Matten, ein auf dem Boden liegender Schwebebalken, Seile, an denen auch mal eine schwarze Puppe in die Höhe gezogen wird, allerlei Podeste, Boxhandschuhe und Bademäntel gehören zur Ausstattung, und auf der Videowand fahren allesamt Fahrstuhl und sind dabei richtig fröhlich. Eine Beunruhigung des Besuchers über die Diskrepanz zwischen Kantatentexten und Visuellem kann nicht eintreten, denn die dankenswerterweise im Programmheft abgedruckten Texte kann man wegen vorherrschenden Dreivierteldunkels nicht lesen. Nebelschwaden, Schwarzlicht (?), rosafarbenes Lichtgewoge werden bemüht, ohne dass dem Zuschauer vermittelt werden kann, warum das so ist.
Die Musik der Scarlattis wurde sensibel bearbeitet für vier Instrumente, darunter auch eine Harfe, die es sogar in Zweitausführung, um den Hals zu tragen, gibt, dazu einem Cello, einer Viola da Gamba und einem Salterio. Dazu kommt, ebenfalls dezent, elektronische Komposition von Giuseppe Ielasi, der vokale Teil wird von einem Sopran und einem Countertenor bestritten. Die Sänger tragen leider Miniports, was bei dem zarten Orchester und dem kleinen Raum nicht zwingend sein dürfte. Insgesamt erfreut, was man zu hören bekommt, weit mehr als das Visuelle. Als umso störender erweist sich dann das laute auf die Matte Plumpsen der restlichen Mitwirkenden, wenn einer der Ihren zu einer Kantate ansetzt. Thomas Lichtenecker ist der Countertenor mit ebenmäßiger Stimme in dieser Lage, weniger angenehm in der Tenorstimmlage. Mit flirrendem, obertonreichem Sopran ist Lore Binon das Highlight des Abends, tüchtig sind Thomas Baeté an der Viola, Okkyung Lee am Cello, Luise Enzian an den beiden Harfen und Franziska Fleischhanderl am Salterio. Es gibt auch eine Tänzerin, Marina Giovannini, deren Talent offensichtlich, deren Funktion im Ganzen aber schwer durchschaubar ist. Der ungenannte Gestalter des Covers zum Programmheft trifft es aufs Haar genau: das Bild einer Renaissance-Schönheit mit Schweineohren und Katzennase, nachträglich aufgeklebt.
Fotos Gianmarco Bresadola
26.10.2019 Ingrid Wanja