Berlin: „Rigoletto“

Premiere am 2.6.2019

„Präfaschistischer“ Hofnarr

Opernregisseure haben es schwer. Stellen sie ein Werk auf den Kopf, pfropfen sie ihm Gesellschaftskritik, Wahnvorstellungen, Psychoanalyse und was sonst noch gang und gäbe ist, auf, dann ist ihnen der Teil des Publikums böse, der „seine“ Oper entstellt sieht. Halten sie sich an die Anweisungen des Librettos, werden sie von einem anderen Teil des Publikums und des Feuilletons als reaktionär, konventionell, traditionell und was der schlimmen Dinge mehr sind, beschimpft.

Vor dieses Dilemma sah sich anscheinend auch Bartlett Sher gestellt, als er sich daran machte, Verdis Rigoletto auf die Bühne der Berliner Staatsoper zu bringen. Da er sich wohl gerade in die Gemälde von George Grosz verguckt hatte, beschloss er, die Welt des Rigoletto, also die Renaissance, für „präfaschistisch“ zu erklären, diejenige, die die Kunst des Malers zeigt, als ebenso anzusehen, obwohl sie vorwiegend die Vertreter der alten Herrschaftsform und nicht der kommenden zeigt. Grosz malte Szenen des Berliner Lebens oder eines Teils davon, die Kostüme der Hofgesellschaft auf der Bühne zeigen viele schwarze Uniformen, die es in den Zwanzigern wohl in Italien gab, nicht aber in Berlin, und so werden die Grosz-Gemälde im Riesenformat, die den Zwischenvorhang und den Hintergrund des Duca-Palastes bilden, zur reinen Deko, ohne dass etwas vom Lebensgefühl der Weimarer Republik in die Inszenierung selbst eingeht. In der wird nämlich fröhlich an der Rampe gesungen, die Personenführung könnte konventioneller nicht sein, und wenn Gilda selbst Sparafucile die Mordwaffe reicht oder il Conte Ceprano seine Gattin ordentlich verprügelt, dann bringt das auch keine neuen Erkenntnisse über das Stück.

Die Bühne von Michael Yeargan zeigt einen „präfaschistischen“ Palast, vor den sich mal das Haus Rigolettos, mal das des Sparafucile schiebt, der Duca nächtigt im letzten Akt nicht all’aperto, sondern irgendwo um die Ecke, das Haus Rigolettos scheint ein rechter Taubenschlag zu sein, obwohl doch Gilda es angeblich nie verlässt. Man wird als Zuschauer das Gefühl nicht los, dass Rat- und Hilflosigkeit bei der Regie ihre Hand im Spiel hatten. Die Kostüme von Catherine Zuber sind schön und elegant für die Damen am Hofe, Gilda mit Söckchen wirkt eher spießig als unschuldig. Ob das an der Met, wohin die Produktion auch geht, gefallen wird?

Wie an der Staatsoper in der letzten Zeit häufiger, war die Szene flopp, die musikalische Seite, zumindest zum überwiegenden Teil, topp. Zum einen war das Christopher Maltman in der Titelpartie zu verdanken, der mit kraftvollem Bariton nicht nur eine angsteinflößende Vendetta schwor, sondern mit feiner Differenzierung ein ergreifendes „Cortigiani, vil razza dannata“ sang und auch mit „Pari siamo“ mit italienischem Legato und generöser Phrasierung bewies, dass er bei Verdi angekommen ist. Zart, innig und sehr beseelt klang die Gilda von Nadine Sierra in „Caro nome“, mit sicheren Koloraturen, unangestrengter Höhe und sehr berührend in „Tutte le feste“. Mit „Caro nome“ und ihrer Dolcezza brach sie auch das Eis im Publikum, das sich bis dahin recht zurückhaltend gezeigt hatte. Gar nicht klug war es von einem Fan des Tenors Michael Fabbiano, sich mit einem knalligen Bravo für „Parmi veder le lagrime“ zu bedanken.

Zwar sehr auf Effekt hin gesungen, aber doch mit wohl nicht jedem gefallenden Timbre führte es zu lauten Unmutsäußerungen, die dann wohl wiederum zur Folge hatten, dass die Cabaletta nicht nach oben, sondern nach unten gesungen wurde. Selbst das hohe H von „La donna é mobile“ klag erst bei der Wiederholung sicher. Insgesamt fokussierte sich der amerikanische Tenor zu sehr auf den Effekt von Fermaten und Acuti, klang recht anonym und hatte in der an sich sicher geführten Stimme wenig Italianità. Jan Martinik gab einen angemessenen Sparafucile, Elena Maximova war eine im Kampf um das Leben des Duca-Apoll engagierte Maddalena mit verführerischem Mezzosopran. Giorgi Mrchedlishvili klang etwas dumpf als Monterone, war wohl auch desorientiert, als er den anzusingenden Rigoletto in der falschen Ecke vermutete. Corinna Schurle zeigte als Giovanna einen Mezzo von schönem Ebenmaß, Serena Sáez gab mit klarer Stimme Gräfin Ceprano und Pagen.

Mit dem nötigen Brio absolvierte der Herrenchor (Martin Wright) seine Aufgaben, Andrés Orozco-Estrada begann sehr getragen, war insgesamt aber sowohl den Sängern ein umsichtiger Begleiter wie ein Sachwalter des typisch Verdischen Pathos‘. Die Produktion wird weder alternative Sänger abschrecken noch Besucher daran hindern, sie sich in alternativer Besetzung ein weiteres Mal anzuschauen.

Fotos Brinkhoff Mögenburg

4.6.2019 Ingrid Wanja