Berlin: „Die lustigen Weiber von Windsor“

Premiere am 3.10.2019

„Hoppelchen mit Moppelchen“

Nicht mehr um Sir John Falstaff, Ex-Page seiner königlichen britischen Majestät, kann es sich bei der Produktion von Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor handeln und auch nicht um selbstbewusste Bürgersfrauen aus der bekannten englischen Stadt, sondern in der Staatsoper geht es um Vorstadtbewohner aus den deutschen Achtzigern, da das Regieteam „versucht“ hat, „einen eigenen Zugang zu einem Stück zu finden. Das geht am ehesten durch Kostüme und Requisiten, die man als Kind bzw. Jugendlicher selbst in der Hand gehabt hat.“ Pech für die Staatsoper, dass die Herren nicht etwas jünger sind, denn dann hätte man glatt die Bühne für den Verdischen Falstaff, in dem am gleichen Haus etwas später die Bürger noch etwas wohlhabender sind, benutzen und viel Geld sparen können. In beiden Fällen geht es nämlich um einen armen Obdachlosen , den wohlsituierte, gelangweilt auf ihrer Terrasse sitzende Damen aufs Korn nehmen und vom Mob malträtieren lassen.

In Doppelbungalowhälften ( Bühne Patrick Bannwart) wohnen Frau Fluth und Frau Reich und sprechen reichlich dem Alkohol zu, die „süße Anna“ bewegt sich sprachlich zwischen Julia und „Fuck“, Frau Reich treibt es mit Dr. Cajus, der sich dann aber doch für Junker Spärlich im rosa Tutu als Liebespartner entscheidet. Auf der Rückseite der Bungalows haust in einem leeren Swimmingpool Falstaff, das „Moppelchen“, zu dem René Pape dank eines enormen Fatsuit Kostüms geworden ist (Kostüme Falko Herold), alle anderen zeigen durch ihre Gewandung, dass sie nicht den besten Geschmack haben, die Gärten sind jeweils mit Wäschespinne, Grill und mickrigen Topfpflanzen bestückt. Bratwürste und Ketchup dienen weniger der Ernährung, als dass sie als Wurfgeschosse bzw. Malfarbe eingesetzt werden. Etwas anstecken von der romantischen Musik hat man sich im letzten Bild mit zierlichen Elfen und putzigen Insekten. Insgesamt ist das eine moderat modernisierende, aber doch den Grundkonflikt, verarmter, aber stolzer Adel gegen selbstbewusstes, reiches Bürgertum, aussparende Inszenierung von David Bösch, der mit ihr seinen Sinn für eine ausgefeilte Personenregie, auch die des Chors, unter Beweis stellt. Andererseits ist der Verzicht auf die historische Dimension eines Stücks auch ein Armutszeugnis und beweist mangelndes Vertrauen in die Fähigkeit des Publikums, eventuelle Parallelen zwischen seinen und den Problemen des Stücks selbst zu ziehen.

Luxuriös ist die Sängerbesetzung, so wie stets am 3.10., dem Tag der jeweils ersten Premiere der Saison. An der Spitze steht René Pape als Falstaff, der seinen wunderbar satt klingenden und dabei doch schlank geführten Bass souverän einsetzt und dessen abschließendes „Danke“ mehr Interpretation beinhaltet als das gesamte Regiekonzept. Eine erstklassige Besetzung ist auch die des Herrn Fluth mit Michael Volle, die Szene der beiden ist eigentlich der absolute Höhepunkt der Aufführung, auch wenn der Nicolai-Figur die tragische Dimension des verdischen Ford abgeht. Gut besetzt ist auch die kleinere Partie des Herrn Reich mit Wilhelm Schwinghammer. Pavol Breslik setzt einen frischen lyrischen Tenor für das Lerchenlied des Fenton ein, brilliert auch mit einem strahlenden „Titania“. Als Tenorbuffo bewährt sich Linard Vrielink als Junker Spärlich, David Ostrek ist ein in jeder Hinsicht attraktiver Dr. Cajus. Beide sind weit weniger als Karikaturen angelegt, als es sonst üblich ist.

Michaela Schuster hätte für ihre Ballade als Frau Reich viel eher Szenenapplaus verdient als manch anderer, der markante, dunkle Mezzo konnte viel mehr gefallen als das dumme Bayerisch, das ihr auferlegt war. Mehr Wärme und Rundung hätte man dem Sopran von Mandy Fredrich gewünscht, die als Frau Fluth in der Höhe leicht klirrend klang. Einen kühlen Sopran und eine verwaschene Diktion setzte Anna Prohaska etwas zu manieriert klingend für die Anna ein. Daniel Barenboim wurde am Dirigentenpult all den vielseitigen Facetten der mal hochromantisch zarten, mal derb zugreifenden Musik gerecht und so auch besonders vom Publikum bejubelt. Ihm ist es sicherlich auch zu verdanken, dass die 1849 an der Lindenoper uraufgeführte Oper an das Haus zurückkehren durfte, 35 Jahre nach der letzten Premiere.

Fotos Monika Rittershaus

3.10.2019 Ingrid Wanja