Premiere am 9.4.2016
Faschismus im Anmarsch?
In der Realität erlebte die Familie Thomas Manns in den Zwanzigern im italienischen Badeort Forte dei Marmi, wie ein Zauberer, eigentlich ein Hypnotiseur, einen ihnen bekannten jungen Mann demütigte- und nichts geschah. In Manns von diesem Nichtereignis inspirierter Novelle „Mario und der Zauberer“, die in einem fiktiven Torre di Venere spielt, kehrt der Bloßgestellte zurück und erschießt seinen Peiniger. In der Inszenierung der gleichnamigen Oper von Stephen Oliver durch Aniara Amos versuchen Mario, die „Mutter“ und schließlich Giuscardo, ebenfalls ein Opfer des Zauberers Cipolla, vergeblich, diesen zu erschießen, doch der Magier treibt die Hypnose so weit, dass der Unglückliche die Waffe, diesmal mit Erfolg, gegen sich selbst richtet. Diesen drastisch-pessimistischen Schluss begründet die Regie mit der Erkenntnis:“ Ein Gespenst geht um in Europa. Der Boden für Manipulation und Fremdbestimmung ist geebnet. Jetzt darf sich der sogenannte „zivilisierte Mensch“ entscheiden, ob er diese Bezeichnung zu Recht tragen darf“. Darf und vor allem kann er offenbar nicht, wie das von der Regisseurin erfundene Ende suggeriert, während Thomas Mann und nach ihm Komponist Stephen Oliver den Befreiungsakt des Individuums gegenüber der Manipulation für möglich hielten.
Dabei hätte es Aniara Amos nicht nötig gehabt, mit der Umkehrung des Schlusses ins Negative zu frappieren, denn ihre Arbeit, besonders die Gestaltung der Bühne und der Kostüme, ist phantasiereich und ansonsten schlüssig, sieht man davon ab, dass es etwas billig ist, die unsympathischen Figuren von vornherein als Karikaturen mit lächerlichen Bewegungsmustern zu diffamieren. Sehr gelungen ist die Bühne, zunächst nur ein türkisfarbener Vorhang, die Farbe des ligurischen Meeres an schönen Tagen, dazu, und das bereits im Foyer und vor Beginn der Vorstellung, Möwengeschrei und das Tosen der Brandung. Zur „Zauber“vorstellung öffnet sich der Vorhang und man sieht in ein üppig gestaltetes Etablissement, in das zuvor der Jugendchor der Staatsoper (Leitung Frank Flade) in wunderbar charakterisierenden Kostümen als Publikum eingezogen ist. Das scheint nun an schrägen Wänden an runden Tischchen zu sitzen, in Wirklichkeit aber stehen die jungen Leute hinter den Bordüren wohl auf einem Gerüst, strecken nur den Kopf, auch mal einen Arm (sogar einmal einen überlangen) oder ein Bein durch die Öffnungen, gerade genug, um Beifall, Missfallen oder sonstige Gemütsregungen zu verdeutlichen, während die Gesangssolisten in der ersten Reihe vor dem eigentlichen Publikum Platz genommen haben.
Anders als in Manns Novelle ist der Magier Cipolla auf der Bühne der Werkstatt nicht missgestaltet, sondern mit dem Bassbariton David Oštrek ein außergewöhnlich stattlicher Herr mit sehr sonorer, stimmpotenter Darbietung, dazu ein sehr überzeugender Darsteller. Als erkältet angesagt war der Tenor Matthias Siddhartha Otto, was sich zum Glück nicht durchgehend bemerkbar machte in seiner Interpretation des Signor Angiolieri, der vor seiner Bloßstellung durch den Zauberer hart mit der „Mutter“ ins Gericht gegangen war, die der kleinen Tochter zum Missfallen der italienischen Gesellschaft erlaubt hatte, kurz einmal den Badeanzug auszuziehen. Lena Haselmann verteidigte tapfer mit ebenmäßigem, kernigem Mezzosopran ihren Standpunkt, auch wenn das Töchterchen (Paula Aschmann?) nicht ganz der Schilderung Thomas Manns entsprach. Die verständnisvolle Signora Angiolieri wurde von Elsa Dreisig mit durchschlagskräftigem, in der Höhe etwas schrill klingendem Sopran gesungen. Einen präsenten Charaktertenor setzte Magnús Hallur Jónsson für den Bürgermeister ein, während Martin Gehrke, dessen Partie des Guiscardo durch die Regie aufgewertet worden war, einen prachtvollen, farbigen Bariton präsentieren konnte.
Den liebenswert-scheuen Mario verkörperte Jakob Becker. Felix Krieger brachte mit Musikern der Staatskapelle auf der Empore der Werkstatt die vielseitige, auch ein Stück praller Zirkusmusik enthaltende Partitur zur Geltung, das unheimliche Zirpen zu den Auftritten des Magiers wie die musikalischen Elemente, die das Urteil von Olivers Freund Adam Pollock, er schreibe „sneaky-gate music“, bestimmten.
Fotos Vincent Stefan
10.4.2016 Ingrid Wanja