Premiere am 17.03.2018
besuchte Aufführung: 24.03.2018
Eine Bürokratie ohne Gnade und Mitleid
Es ist wie bei „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett: Die Titelfigur tritt auch in der Oper „Der Konsul“ von Gian Carlo Menotti nicht in Erscheinung. Dafür entscheidet die eiskalte Sekretärin des Konsuls über das Schicksal der Menschen, die verzweifelt und verfolgt um ein Visum zur Ausreise aus einem nicht näher lokalisierten Polizeistaat ersuchen. „Irgendwo auf der Welt“ ist der Schauplatz dieser Oper. Und Regisseur Matthias Oldag belässt es auch dabei und verzichtet auf jede platte Konkretisierung. Das Thema um Menschen in existentieller Verzweiflung und ihr Scheitern beim Kampf mit einer mitleidlosen Bürokratie ist zeitlos und doch aktueller denn je. „Ihr Name ist eine Nummer, die Geschichte ist nur ein Fall.“ Und hier geht es hauptsächlich um den „Fall“ von Magda Sorel. Ihr Mann John Sorel ist Widerstandskämpfer und will sich über die Grenze absetzen. Seine Frau soll sich die notwendigen Visa für sich, ihr Kind und seine Mutter besorgen und dann nachfolgen. Das Kind stirbt allerdings, ebenso die Mutter. Damit John keinen Grund mehr hat, weiterhin im Land zu bleiben, beschließt Magda sich zu opfern und Selbstmord zu begehen. Dass John schon bereits verhaftet ist, erfährt sie nicht mehr, denn der Anruf der Sekretärin, die plötzlich doch menschliche Empfindungen zeigt, geht ins Leere. Patrizia Häusermann bringt die Rolle mit anfänglicher Eiseskälte und ihrem schneidenden „Nächster!“ auf den Punkt.
Oldag inszeniert das Werk mit bewundernswerter Stringenz und mit einfachsten Mitteln. Für das Heim der Sorels genügt ein Gasherd (dessen Hähne Magda am Ende öffnet, eine Kommode und eine Wiege. Das Konsulat wird durch einen vom Bühnenhimmel schwebenden Schreibtisch symbolisiert, an dem die Sekretärin wie auf einem Thron regiert. Die Bittsteller sitzen auf Stühlen quasi zu ihren Füßen davor. Ansonsten ist die Bühne schneebedeckt, immer wieder fallen Flocken vom Himmel. Die kalte, seelenlose Atmosphäre ist zum Greifen deutlich. Diese simple Ausstattung von Susanne Richter ist von tiefer Wirkung. Mehr braucht es nicht.
Neben Magda gibt es unter anderen noch die verzweifelte italienische Mutter (Tijana Grujic), die zu ihrem todkranken Kind will, den Herrn Kofner (Leo Yeun-Ku Chu mit sattem Bass), dessen Papiere wieder einmal nicht der Form entsprechen, und einen Zauberer (MacKenzie Gallinger mit suggestiver Ausstrahlung), der alle in Trance versetzt und sie für wenige Momente aus der grausamen Realität entführt.
Auch Magdas Albträume holen sie aus der Realität, führen sie aber in eine von Ängsten bestimmte Welt, in der sie um ihren Mann fürchten lässt, der sich im Traum mit der Sekretärin einlässt. Oldag hat diese Szenen in magische Beleuchtungen getaucht, die in ihrer surrealen Wirkung tief beeindrucken. Das gilt auch für den beklemmenden Schluss, bei dem alle Personen sich wie zu einem Totentanz um Magda scharen, während sie das ausströmende Gas einatmet.
Inga-Britt Andersson kann als Magda Sorel alle Schattierungen ihrer Rolle mit ausdrucksvollem Gesang und fein differenziertem Spiel optimal umsetzen. Für ihre Arie am Ende des 2. Aktes bekommt sie spontanen Beifall. Ein grandioses Rollenporträt liefert auch Sünne Peters als Mutter, deren Wiegenlied für das Baby unter die Haut geht. Timothy Sharp ist der gehetzte und doch entschlossen für seine Sache eintretende John Sorel. Dem aalglatten Geheimpolizisten verleiht Daniel Dimitrov schauerliches Profil. In weiteren Rollen komplettieren Alice Fuder als Maria Gomez, Michaela Weintritt als Vera Boronel, Robert Tóth als Sorels Verbindungsmann Assan und Iris Wemme als Rundfunksängerin das hervorragend aufeinander eingespielte Ensemble.
Man hat Menotti auch als „amerikanischen Puccini“ bezeichnet. Tatsächlich erinnert seine Musik oft an diesen. Sie ist effektvoll und geht direkt ins Herz, wie etwa das wunderbare Terzett „Lippen sagt Lebewohl“, Magdas große Arie „Wir sind soweit“ oder die wiederholten melodischen Aufschwünge. Auch die orchestralen Zwischenspiele begeistern und unterstreichen geschickt die Handlung und die jeweilige Stimmung. Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven treffen den Charakter der Musik, ihre Dramatik und ihre Schönheit, in jedem Moment und sichern dem Abend eine tiefe, emotionale Wirkung. Ein beglückender und zum Nachdenken anregender Opernabend!
Wolfgang Denker, 25.03.2018
Fotos von Heiko Sandelmann
Redaktions- P.S.
Ein toller Trailer (Seattle 2014)– bitte anklicken, damit können Sie verehrte Opernfreund-Leser in nur 3,5 Minuten einmal kurz reinhören, wie grandios diese Musik ist. Eigentlich ist es ein tolles Repertoire-Werk; leider immer noch überall irgnoriert. Ein großes di ckes Opernfreund-Lob dem Bremerhavener Stadtheater für diese hinreissende Ausgrabung. P.B.
DVD-Tipp
Leider gibt nur eine uralte Aufnahme, aber die ist grandios!