… contra Isolde und Tristan
23. Oktober 2021
Schon der Titel von Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ dürfte für Elisabeth Stöppler der erste Stolperstein gewesen sein, denn Isolde ist zweifelsfrei die spannendere Figur des Bühnenwerks. Das Hauptmotiv ist mit ihr verbunden und mit ihrem Sehnsuchtsmotiv hat sie am Ende des ersten Aktes sowie am Ende des gesamten Dramas das letzte Wort.
Was war somit zu erwarten:
Das Mannschafts-Logis eines auf Tauchstation befindlichen Unterseebootes ist, solange keine Torpedos drohen, gleichzeitig ein sicherer Ort, als auch ein solides Gefängnis. Damit eignet es sich besonders für die gewaltsame Überstellung einer irischen Königstochter an einen Vasallen in Cornwall mit all ihren Konflikten und Auseinandersetzungen. An Bord herrschten Männer und überzogen die beiden Frauen mit verbaler und die Brangäne auch mit physischer Gewalt, dem insbesondere die Gefährtin Massives entgegenzusetzen wusste.
Die Handlungsführung im zweiten Akt verwundert zunächst, benehmen sich doch beide Titelhelden in der fast endlosen Zwiesprache höchst unterschiedlich. Tristan versuchte die Abgründe, die Rahmenbedingungen der skurrilen Situation des doppelten Wortbruchs, durch lockeres, flippiges Benehmen zu bewältigen und mit dem Hantieren mit seinem Revolver zu entschärfen, während Isolde immer wieder versuchte, eine gewisse Intimität herzustellen. Beide verfügten über die notwendige Souveränität, das aberwitzige Notenmaterial Wagners auch geistig zu durchdringen. Aber tiefes Endringen in Wagners emotionale Welten blieb schwierig. Da musste man sich schon entscheiden, ob man der Handlung folgen oder sich der Musik hingeben wollte. Letzteres konnte nach der Rückkehr der vermeintlichen Jagdgesellschaft in die herrschaftliche Villa keinesfalls gelingen, als die Regie die Situation, dem Zeitgeschmack entsprechend, zu wildverbalen und gewaltsamen Eskalation entgleiten ließ. Da konnte selbst ein fast naiver „König“ Marke keine Rettung bringen.
Mit dem dritten Aufzug legte Frau Stöppler noch eine Schippe nach: Annika Haller schickte uns nach dem Familiensitz Kariol in das Zimmer des jugendlichen Tristan mit Fanplakaten an den Wänden, einem Regal mit Sportpokal, Schiffsmodellen und einer Spargeldschatulle.
Der schwer verwundete Tristan erwachte aus tiefer Bewusstlosigkeit, richtete sich auf und berichtete von seinen Nahtot-Erfahrungen. Scheinbar zu Kräften gekommen, möchte er das Heft des Geschehens in die Hand nehmen, wird aber immer wieder in traumatische Verklärungen und zerstörerische Todessehnsucht hineingezogen. Visionen seiner verstorbenen Eltern, ein Kinderwagen, dem Tristan sein kindliches „Ich“ aufzunehmen scheinen, reihten sich mit den Auseinandersetzungen mit Kurvenal und führten zu nahezu unerträglichen Erlösungsphantasien. Das war hervorragend in Szene gesetzt. Als sich dann mit der Ankunft der beiden Schiffe die Szene mit nahezu dem gesamten „Zettel-Personal“ füllte, eskaliert die Situation, so dass binnen kurzen die Bühne voller Leichen in Shakespeare’scher Dimension lag. Nur der Brangäne, Marke und dem Hirten gelang, sich zu entfernen. Auch hat mir Frau Stöppler im Nach-Gespräch versichert, Isolde habe das Massaker überlebt. Die Isolde blieb zweifelsfrei die spannendere Person des Abends.
Die Chemnitzer „Wagner-Kompetenz“ erlaubte, dass das das anspruchsvolle Sujet der Damen mit handwerklicher Meisterschaft und hoher Kreativität auch auf der Bühne umgesetzt werden konnte.
Bereits Anton Richard Tauber, der Vater vom Tenor Carl-Richard, war ein umtriebiger, aber auch einflussreicher Mann. Anfang 1913, als in Bayreuth noch um die Verlängerung der Schutzrechte für den „Parsifal“ über das Jahr 1914 hinaus gerungen wurde, hatte er bei der Stadt Chemnitz einen Zuschuss von 30 000 Mark für eine Inszenierung des Bühnenweihfestspiels erreicht, so dass Chemnitz am 13. Februar 1913 die erste Aufführung außerhalb Bayreuths erlebte.
Seit dieser Zeit hat sich die Oper Chemnitz mit interessanten Projekten den Ruf eines „Bayreuth des Nordens“ erarbeitet und nicht zuletzt mit den Ring-Inszenierungen von 2018 gefestigt.
Die Robert-Schumann-Philharmonie hat sich zunehmend zu einem respektablen Wagner-Orchester entwickelt. Die Musiker folgen ihrem Generalmusikdirektor Guillermo Garcia Calvo bedingungslos. Der Spanier ist ein engagierter und oft ungeduldiger Orchesterleiter, wenn er wütet, das Geschehen vorantreibt oder einfühlsam agiert. Dabei leitet er sängerfreundlich, schont streckenweise und vermeidet eine Überbelastung der Solisten der Titelpartien.
Das Orchester zelebriert zarte Passagen und Übergänge ebenso souverän wie die eruptiven Ausbrüche der Partitur. Die von Stefan Bilz präzise einstudierten Chöre unterstreichen das Niveau der Chemnitzer Wagnerpflege.
Neben einer soliden wagneraffinen Sängergarde im Ensemble verfügt das Chemnitzer Opernhaus über eine stattliche Garde häufig gastierender Wagner-Sängerinnen und -Sänger. Für die Titelpartien der Tristan- Inszenierung waren die bereits in den Ring-Aufführungen im Haus bewährten Gäste Stéphanie Müther und Daniel Kirch nach Chemnitz gekommen. Von der hochdramatischen Sopranistin wurde ihr Rollendebüt als Isolde mit klarem, ausdrucksstarkem Gesang in den schier endlosen Opernlängen fantastisch gemeistert. Immer wieder fand sie vor allem in den leisen langsamen Stellen neue Stimmfarben. Sie konnte auch durchaus zynisch, bissig oder ironisch sein.
Daniel Kirch hatten wir bereits vor zwei Jahren als einen begrenzten Tristan in Leipzig erleben können. Inzwischen bewältigte er die monströse Partie präsent, strahlend mit ausdrucksstarker gesanglicher Tiefe und ob des originellen Inszenierungskonzepts auch mit Körpereinsatz. Seine Stimme hat seit den letzten Begegnungen durchaus Variationsreichtum und Wandlungsfähigkeit gewonnen.
Ihr Rollendebüt als Brangäne bewältigte die gebürtige Sächsin Sophia Maeno mit einem charaktervoll leuchtendem Mezzosopran und darstellerischer Qualität. Glaubhaft bot sie die Freundin, Warnerin und Unglücksbotin. Großartig waren auch ihre Warnrufe zu hören.
Mit dem aus Island stammen den Oddur Jónsson lernten wir als Kurwenal einen prägnant kräftigen Heldentenor mit darstellerischem Potential kennen, der eindringlich seine Anliegen vorzubringen wusste.
Der König Marke hat zwar nur zwei Auftritte. Das ermöglichte dem Bassisten des Hausensembles Alexander Kiechle seine in den unteren Lagen durchaus noch ausbaufähige Stimme auch wirksam einzusetzen.
Der leichte Bariton Till von Orlowsky als Bösewicht Melot hörte sich gut an, wirkte aber etwas zu sympathisch.
Martin Petzold überzeugte als junger Hirte mit einem sympathischen Tenor. Mit dem amerikanischen Bariton Jacob Schafman, seit Saisonbeginn im Ensemble, waren der Partie des Steuermannes und mit dem Tenor Thomas Kiechle, seit 2020 im Ensemble, der Stimme eines jungen Seemanns ausgesprochene Luxusbesetzungen zugekommen.
Langanhaltender, gewaltiger und zum Teil stehender Applaus für die gelungene Konfrontation der überhöhten Wagnerschen Deutung von Liebe und Tod mit einem klaren Realismus.
Ich halte die von Elisabeth Stöppler vorgestellte Regiearbeit für einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die weitere Entwicklung eines gesellschaftlich akzeptierten Musiktheaters.
Thomas Thielemann 24.10.21
Autoren der Bilder: Nasser Hashemi / Dieter Wuschanski