Glänzend bebildert
Premiere am 01.06.2014
John Dews gefeierte Abschiedsinszenierung am Staatstheater in Darmstadt
In der Opernliteratur gab es schon vor Puccini berühmte Triptychen: das der drei Mozart-da-Ponte-Opern oder die drei romantischen Opern von Richard Wagner. Diese stehen jeweils in einem inhaltlich bzw. stilistisch engen Zusammenhang. Gerade das ist bei Puccinis Triptychon nicht der Fall. Ursprünglich wollte er das anders und hatte vor, aus den drei Teilen Dantes „divina commedia“, nämlich aus „inferno“, „purgatorio“ und „paradiso“ je einen Stoff zu nehmen und daraus einen dreiteiligen Opernabend zu machen. Es kam aber schließlich zu einer ganz anderen Zusammenstellung des dreiteiligen Abends: ein echter veristischer Einakter mit „Il tabarro“ (Der Mantel), dem Seelendrama „Suor Angelica“ (Schwester Angelika) und der Komödie „Gianni Schicchi“, letztere dann tatsächlich aus Dantes inferno übernommen. Nun, wenn man vorher wie vorgesehen zuerst den Mantel und die Schwester Angelika gesehen hat, dann fühlt man sich allerdings beim Gianni Schicchi wie in einer göttlich geistreichen Komödie und gar nicht wie in der Hölle. Dahin ist bekanntlich nur der Titelheld gekommen; aber davon später.
Puccini hat gewünscht, die drei Stücke an einem Abend zu spielen. Das wird auch – wie nun gerade in Darmstadt – hier und da gemacht, obwohl der Abend dann mit zwei adäquaten Pausen auf gut vier Stunden kommt. Daher kommt es heute viel häufiger vor, dass man das Trittico als Steinbruch benutzt und daraus eine Oper herausbricht, um sie mit einem anderen Einakter zu einem bequem abendfüllenden Programm zu kombinieren. Zu solchen Kombinationen eignen sich im Besonderen der Mantel und Gianni Schicchi; die Kombinationen, die da herauskommen, können ganz verwegen sein. Die verwegenste Kombination hat aber 2011 die Wiener Volksoper gebracht; sie hat einen Einakter des Trittico mit einem anderen daraus kombiniert (Il tabarro mit Gianni Schicchi) mit der fadenscheinigen Ausrede, man könne den Zuschauern die ganze Länge des Trittico nicht mehr zumuten. (Wenn man in Wien sieht, wie die Zuschauer nach den Opernaufführungen gleich aufspringen und zu ihrer Tram rennen, dann könnte man das fast glauben.) Natürlich ist es dann opportun, die Kitsch-verdächtige Schwester Angelika herauszunehmen.
Il tabarro: Anja Vincken (Giorgetta); Joel Montero (Luigi); Thomas Mehrnert (Talpa)
John Dew hat in seiner zehnjährigen Darmstädter Intendantenzeit fast die Hälfte aller Operninszenierungen im Großen Haus selbst gemacht (an 31 davon hat sich Ihr Kritiker delektieren können). Sie sind alle nach seinem neuen Credo als Regie-Paulus entstanden und haben ihm stets ein gut gefülltes Haus und trotz der eher konventionellen Regie-Handschrift mehr junges Publikum gebracht. Nun legte Dew mit dem Trittico seine Abschiedsinszenierung vor, und – das lässt sich nicht anders sagen – das Publikum lag ihm zu Füßen, obwohl er zum Schluss ganz unverblümt nach Kompliemneten gefischt hatte. Dew bringt einen ganz konventionellen „Mantel“, entgeht dann den Untiefen der „Suor Angelica“ durch eine stilisierte Darbietung von ganz besonderer Ästhetik und Bewegung und schließt mit einem originell-spritzigen Gianni Schicchi. Seine in Dutzenden gemeinsamer Opernarbeiten bewährten Kollegen Heinz Balthes (Bühnenbild) und José-Manuel Vázquez (Kostüme) sorgen für die Ausstattung.
Il tabarro: Anja Vincken (Giorgetta); Tito You (Michele)
Mit großem Realismus und mit Liebe zum Detail hat Balthes für IL TABARRO (Libretto von Giuseppe Adami nach „La Houppelande“ von Didier Gold) einen Lastkahn mit Kajüte, Steuerkabine und Ladeluken gebaut und hat ihn optisch sehr wirksam unter einem sich nach hinten senkenden Korbbogen einer Brücke vertäut. Auf dessen schönem Quadermauerwerk Mauerwerk wird das Spiel der Wellen der Seine reflektiert und der Übergang vom Spätnachmittag in die Nacht beleuchtet. Die Kostüme sind im Stil der Nachkriegszeit gehalten. In dieser Bebilderung lässt Dew das Geschehen der Oper etwas statuarisch ablaufen, wobei aber die Struktur des Werks gut herausgearbeitet ist. Alle Protagonisten der Oper sehnen sich aus ihrer derzeitigen Situation heraus; nur der Schiffseigner Michele als guter Chef nimmt seine Rolle an, wäre da nur nicht die erkaltete Liebe zu seiner Frau Giorgetta, die ihn in Melancholie einschließt. Der erste Teil der Oper ist ein Sozialtableau, aus dem sich im zweiten Teil die Dreiergeschichte heraushebt, welche zu dem grausigen Eifersuchtsmord führt. Mit Tito You als Michele war ein stimmstarker Bassbariton mit klarer Diktion und sauberer Stimmführung besetzt. Joel Montero ließ seinen bronzen fundierten Tenor als Luigi in der Höhe kraftvoll strahlen, und Anja Vincken gefiel mit ihrer Bühnenerscheinung und mit ihrem schön eingedunkelten, ausdrucksstarken Sopran als Giorgetta. Sehr gut besetzt auch die kleineren Rollen: Gundula Hintz als Frugola mit samtig-rundem Mezzo, Peter Koppelmanns frischer präsenter Tenor als Tinca und Thomas Mehnerts ruhig strömender Bass als Talpa.
SUOR ANGELICA (Libretto Giovacchino Forzano) spielt auf einer nackten schwarzen Bühne. Unter einem barocken Riesenmedaillon, das wohl die Verkündigung Mariens darstellt, tummeln sich die Schwestern in weißen Kostümen. Eine Glanztat von Dews Bebilderung ist, wie er den unbestreitbaren Anflug von Kitsch in dieser Oper durch eine überwältigende Ästhetik überspielt und die strahlend weiße Gruppe der Schwestern im schwarzen Raum wechselnd gruppiert und bewegt. Da sitzen die Schwestern einmal in belanglosem Geschnatter wie die Hühner auf der Stange und wogen dann als Gruppe über die Bühne. Die Verkündigungsszene durch zia principessa (die Äbtissin passt auf – den Rücken zu den beiden anderen gewandt) gelingt in eisiger Erstarrung – physisch und psychisch. Durch Kürzungen der Oper hat John Dew das Stück gerade auf diese entscheidende Szene fokussiert. Unter dem sich golden färbenden Medaillon nimmt sich die verzweifelte Schwester Angelika mit einem Gifttrunk das Leben. Wie Susanne Serfling diese Szene spielt und singt ist letztlich das nachhaltige Erlebnis des Abends. Seelisch gebrochen, verzweifelt und vereinsamt verinnerlicht sie diese Rolle und verleiht ihr stimmlich mit ihrem weich ansprechenden, ausdrucksstarken und leuchtkräftigen Sopran erschütternde Glaubwürdigkeit. Das ist Kunst, kein Kitsch. Yanyu Guo in modernen Pelz gekleidet mit erdigem, klaren Alt als eiskalte, herzlose Fürstin und Elisabeth Hornung als Äbtissin – streng wie ihr Alt – heben sich aus den ebenfalls gut besetzten kleineren Partien der „Nebenschwestern“ und dem gut einstudierten und zart intonierenden Frauenchor (André Weiss) ab.
Suor Angelica: Yanyu Guo (zia principessa); Susanne Serfling (suor Angelica)
In GIANNI SCHICCHI (Libretto Giovacchino Forzano) wird das Zeitrad weiter in die Renaissance zurückgedreht; aber nur augenzwinkernd. Das Himmelbett, in welchem gerade der Buoso Donati verstorben ist, steht in einem bis oben holzvertäfelten Bibliotheksraum, dessen Wände nach hinten zulaufen, aber eine breite Lücke lassen, die mit einem ganz modernen Vorhang geschlossen ist. Buosos vermeintliche Erbengemeinschaft ist in grellbunte verzerrte und sehr vielfältig gestaltete Renaissance-Kostüme gekleidet; ihr sind lang Pappnasen angeklebt: Lügner-Nasen. Turbulenz und Slapstick beherrschen die bunte Szene. Alle spielen schön und lebhaft mit. Nur Gianni Schicchi verbleibt in ruhiger Pose, wenn er die Szene regiert. Das kommt sicher dem schauspielerischen Naturell von Tito You entgegen, der aber stimmlich einen prächtigen dunklen Gianni Schicchi abgibt. Arturo Martín bewältigt bei allem schauspielerischen Einsatz die Tenorrolle des Rinuccio nur mit Mühe. Ganz anders als Aki Hashimoto, die für die mädchenhafte Lauretta die ideale Figur mitbringt und mit ihrem glockenhellen Sopran ein traumhaft jugendliches und zartes „O mio babbino caro“ gestaltet (Szenenapplaus).
Gianni Schicchi: Tito You (Gianni Schicchi); Ensemble
Wieder einmal war es in Darmstadt auch das konzentriert aufspielende Staatsorchester unter Martin Lukas Meister, das im Graben den Grund für einen erfolgreichen Abend bereitete. Bei allen drei Teilen des Abends traf es den richtigen Ton und mischte die richtigen Farben: den schwermütigen veristischen Duktus im Tabarro durchsetzt mit lautmalerischem Impressionismus, die kammermusikalisch feine Ausdeutung der Suor Angelica mit sehr modern wirkenden Passagen in der Partitur und die frech turbulente Musik für den Gianni Schicchi. Meister gestaltete sehr plastisch, dirigierte auch bei den klanglich üppigen Stellen stets sängerfreundlich und scheute sich nicht, bei Puccinis durchaus auf Effekt gesetzte Partitur den Intentionen des Komponisten zu folgen und die Emotion bis an die Grenze des Süßlichen zu bringen (Suor Angelica).
Gianni Schicchi: Oleksandr Prytolyuk (Marco), Aki Hashimoto (Lauretta), Arturo Martín (Rinuccio)
Zum Schluss des Gianni Schicchi wird der hintere Vorhang zur Seite gezogen, es werden die architektonischen Kostbarkeiten von Florenz und die berühmten Statuen (z.B. der Perseus von Benvenuto Cellini) sichtbar. Will sagen: Flozenz ist einelebenswerte Stadt; die heuchlerischen Erben des Buoso Donati können den Betrug nicht anzeigen, da sie sonst als Mittäter der Stadt verwiesen („addio Firenze!“) würden und dazu noch die rechte Hand abgehackt bekämen. Da kam zu den letzten Takten der scheidende Intendant auf die Bühne gelaufen und gebot dem Spiel ein Ende. Er, der John, möchte an dem Beifall teilhaben, den sein Namensvetter Gianni am Ende der Oper vor seinem Sturz in die Hölle (wegen Testamentsfälschung) noch mitnehmen will (wenn das Stück denn gefallen habe) und sprach – fast zu Tränen gerührt – kurz von den Höhen und (Höllen)tiefen seiner zehnjährigen Intendantenschaft in Darmstadt. Sicher geschah das nicht ohne Selbstgefälligkeit; aber etliche Umarmungen mit seinem Personal zeigten, dass die Rührung gegenseitig war. Zudem war es genau am Tage seines 70. Geburtstags, an welchem er sich mit dieser sehr gelungenen und zum Schluss auch viel bejubelten Premiere von seinem Darmstädter Publikum verabschiedete. Dazu gab es auch noch eine Torte. Das Trittico gibt es in Darmstadt in dieser Spielzeit noch sieben Mal bis zum 11. Juli; nächste Termine: 7. und 13.6.2014. John Dew wird woanders wieder inszenieren; zuerst La Cage aux folles am Theater Bonn. Die Katze lässt das Mausen nicht…
Manfred Langer, 04.06.2014 Fotos: Barbara Aumüller