Wiesbaden, Konzert: „Hessisches Staatsorchester“, Milhaud, Ravel, Strawinsky

Es war um die Zeit der 1920er Jahre, da kam der Franzose Darius Milhaud intensiv mit dem Jazz in Berührung. Diese neuartige Musik begann ihn zu faszinieren. So entschloss er sich, in der in Auftrag gegebenen Ballettmusik „Die Erschaffung der Welt“ vor allem Jazzelemente einfließen zu lassen. Die Handlung basiert auf afrikanische Mythen und Volkskunst. In knapp zwanzig Minuten wird diese musikalische Welt errichtet. Dann beginnt der Frühling… . Die Musik vereint Rumba, wilde Synkopen und Ostinati. Die Ouvertüre ist eher getragen und ruhig. In der melodischen Gestalt sind sogar Einflüsse von Bach erkennbar.

(c) Agenturbild

Als Gast war Michael Güttler an das Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden zurückgekehrt. Hinter ihm liegt ein höchst erfolgreiches Debüt mit der „Salome“ an der Mailänder Scala. Mit großem Elan gab er diesem Konzertabend seinen besonderen Akzent. Milhauds Musik wurde von ihm mit leichter Hand und lockerem Groove dirigiert. Das hier noch klein besetzte Hessische Staatsorchester Wiesbaden zeigte sich spielfreudig im eher fremden Jazz Terrain und gab der etwas flach geratenen Komposition Milhauds viele Farbnuancen.

Im Jahr 1920 verwirklichte Maurice Ravel seine Apotheose auf den Wiener Walzer in seiner Komposition „La valse“. Aus dem diffusen und dunklen Geraune erstrahlt ein mitreißender Walzer, der ein gewaltvolles Ende nimmt. Dieser düstere, deutliche, brodelnde Beginn! Diese Geschichte geht nicht gut aus! Selten ist das Apokalyptische derart greifbar zu erleben. Zu hören war ein Tanz auf einem brodelnden Vulkan, der final zum Ausbruch kam. Michael Güttler achtete in seiner Interpretation daher vor allem auf die finstere Doppelbödigkeit, sodass das im Chaos endende Finale als Bedrohung jederzeit gegenwärtig war. Wie aus dem Nichts ließ er die Streicher in sanften Wellenbewegungen phrasieren, um dann mit harten, schroffen Sforzati-Einwürfen die Schönheit aufzubrechen. Die Streicher spielten beherzt auf, ohne zu überzuckern. Herrlich offensiv und zupackend agierten die Schlagzeuger punktgenau. Gerade die orgiastische Steigerung am Schluss mit den wilden Schlagzeugern geriet diabolisch umwerfend. Michael Güttler spannte einen großen Spannungsbogen, dosierte die Dynamik klug und war jederzeit Herr des Geschehens. Das Hessisches Staatsorchester spielte überaus engagiert und hoch konzentriert. Ein mitreißendes Finale für die erste Konzerthälfte.

Igor Stravinsky schrieb mit seinem Ballett „Der Feuervogel“ sicherlich sein populärstes Werk, das 1910 in Paris uraufgeführt wurde. Der Komponist schrieb sodann noch drei Orchestersuiten. In dieser Komposition gibt es zahlreiche Soli, z.B. in der Flöte, die den Feuervogel versinnbildlicht oder im Solo-Horn, das dass Werk mit einer herrlich friedvollen Melodie in eine grandiose Apotheose führt. Sowohl die solistischen Leistungen im Orchester, als auch die einzelnen Orchestergruppen, boten großartige Leistungen. Mit unaufhörlicher Energie und auch großer Sensibilität bediente das Orchester alle Farben dieser Komposition. Auch hier überzeugte der Dirigent Michael Güttler mit klarer Zeichengebung und viel Energie am Pult, mit einer absolut schlüssigen Interpretation.

(c) Kerstin Schomburg / Hessisches Staatsorchester

Klar arbeitete er die Lyrismen der Partitur heraus. Wie ein musikalischer Drehbuchautor zeigte sich Güttler als hochspannend agierender Geschichtenerzähler. Wahrlich eine Märchen- und Fabelwelt von Güttler famos interpretiert. Überwältigend, brutal, die Wucht und der Klangreichtum im Höllentanz. Danach folgte ein weiterer Höhepunkt mit einem tief bewegenden Wiegenlied, in welchem die Oboe mit intensiver Kantilene für kontemplative Momente sorgte. Pure Klangmagie entstand mit dem sehr weich perfekt intonierenden Solo-Horn, welches in die grandiose Schlusshymne mündete. Erst hier bündelte Michael Güttler alle Kräfte zusammen und ließ das Orchester glitzern und in hellsten Farben strahlen. Ein langes Schluss-Crescendo mit bombastischem Abschlag ließ das entzückte Publikum lautstark aufschreien. Ein fabelhafter Abend für das Hessische Staatsorchester Wiesbaden, welches in großer Besetzung (drei Harfen, zusätzliche Blechbläser von der Empore) eine ausgezeichnete Leistung bot. Große Begeisterung.

Dirk Schauß, 9. März 2023


Kurhaus Wiesbaden

8. März 2023

Darius Milhaud  »La création du monde« op. 81A

Maurice Ravel  »La Valse«

Igor Strawinsky  »L’Oiseau de feu« (»Der Feuervogel«, 1910)

Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

Michael Güttler, Leitung