Es war die 412. Aufführung einer Inszenierung aus dem Jahre 1969, und das Haus bis auf den letzten Platz ausverkauft. Boleslav Barlogs Inszenierung von Puccinis Tosca in der unvergleichlichen Ausstattung von Filippo Sanjust zählt heute schon zum Opernkulturerbe und zu den beliebtesten Aufführungen der Deutschen Oper. Ihre besondere Attraktivität bezog die Vorstellung am 10. März 2023 durch die Mitwirkung des chilenisch/amerikanischen Tenors Jonathan Tetelman als Cavaradossi. In der internationalen Tenorlandschaft ist der Sänger mit seinem sinnlich-maskulinen Timbre und dem stimmlichen Potential, das ans Mirakulöse grenzt, eine Ausnahmeerscheinung. Gleich Raketen sendet er seine prunkenden Spitzentöne in den Raum. Schon in der ersten Arie, „Recomdita armonia“, waren sie zu vernehmen und ernteten enthusiastischen Beifall. Und solche Szenen wie „La vita mi costasse“ und „Vittoria!“ waren vokale Glücksmomente, wie man sie auf den Bühnen unserer Zeit nur in Ausnahmfällen erleben kann.
„O dolci mani“ mögen andere Tenöre mit mehr dolcezza singen, Tetelman übertrifft sie dafür an Volumen und Kraft. Und im 3. Akt überraschte er in der inbrünstig vorgetragenen Arie „E lucevan le stelle“ und dem zart intonierten „O dolce mani“ auch mit feinen lyrischen Valeurs.
Das sensationelle Niveau des Abends garantierten auch die beiden anderen Protagonisten, die dem Startenor durchaus ebenbürtig waren. Die walisische Sopranistin Natalya Romaniw sang die Titelrolle mit üppiger, dunkel und reizvoll timbrierter Stimme, war daher eine ideale Partnerin zu dem gleichfalls dunkel getönten Tenor. Ihre leidenschaftlichen Ausbrüche und bestechenden Spitzentöne imponierten ebenso wie der berührende, innige Vortrag der großen Arie. Roman Burdenko bot als Scarpia ein Charakterporträt von erschauern machender Intensität. Die Stimme des Baritons hat ausladendes, wuchtiges Format, was das „Te Deum“ zum gigantischen Kraftakt machte. Geradezu wollüstig wälzt er sich danach auf dem Boden im Vorgefühl seines nahenden Triumphes, Tosca zu gewinnen. Atemberaubend, gleich einem Krimi gesteigert, sind die Szene zwischen ihm, Cavaradossi und Tosca im 2. Akt – hier waren wahrhafte Singschauspieler am Werk. Sie wurden getragen von Paolo Arrivabeni am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin, der Puccinis Komposition in all ihren Farben aufleuchten ließ.
Da mangelte es nicht an geschärften Klangflächen, an dramatisch aufgepeitschtem Spiel, dem dann wieder spannende Zäsuren folgten. Aber man hörte auch viele mit feinem Pinselstrich aufgetragene Töne, wie in der Einleitung zum 3. Akt, welche gleichermaßen Kontrast und Balance zum expressiven Aufruhr der Musik garantierten. Die Aufführung war ein überzeugender Beweis für das hohe Repertoire-Niveau des Hauses und endete in stürmischer, anhaltender Begeisterung.
Bernd Hoppe, 11. März 2023
Tosca
Giacomo Puccini
Deutsche Oper Berlin
10. März 2023
Premiere am 13. April 1969
Inszenierung: Boleslaw Barlog
Musikalische Leitung: Paolo Arrivabeni
Orchester der Deutschen Oper Berlin