Wer meint, die nicht vom Libretto, sondern der Regie des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov zu verantwortenden Kriegstoten Ferrando und Guglielmo in Mozarts Così fan tutte seien dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine geschuldet, der irrt, denn die Inszenierung entstand bereits 2018 für das Opernhaus in Zürich, allerdings stand der Künstler damals in Russland unter Hausarrest und konnte nur aus der Ferne und durch die Mitwirkung von Assistenten vor Ort wirken. Zu seiner moralischen Unterstützung trugen die Sänger im Schlussbild ein Free Kirill auf den T-Shirts. Seit 2020 nun lebt der Regisseur in Berlin und erfreut sich des Rufs eines von Putin verfolgten Dissidenten, es gibt aber auch Stimmen, die davor warnen, ihn mit einem Nawalny gleichzusetzen, denn die Anklage gegen ihn richtete sich nicht gegen irgendeine politische Betätigung, sondern war die der Unterschlagung von Geldern und das Urteil im Verhältnis zu den Forderungen der Staatsanwaltschaft ein auffallend mildes. Der Online-Merker brachte in seinem Tageskommentar vom 10. März die Angelegenheit zur Sprache und wird damit manchen Leser sehr überrascht haben.
Lässt Da Ponte die beiden Liebhaber nur scheinbar in einen Krieg ziehen, aus dem sie in schneller Kehrtwende als Albaner wieder zurückkehren, um jeweils die Braut des anderen zu verführen, so gibt es bei Serebrennikov eine Feuerbestattung und statt der Rückkehr der Liebhaber nur die ihrer Urnen, und „Soave sia il vento“ bekommt eine gar schauerliche Bedeutung, die Asche aus denselben wird zu allerlei Unfug missbraucht, Riesenkreuze über den Betten werden mal an-, mal ausgeknipst, je nachdem, ob man sich züchtig oder sündig verhält. Während Tenor und Bariton (wohl aus himmlischen Sphären tönend) weiterhin singen, sind sie optisch als Tizio und Sempronio, die aber stumm bleiben, als eine Art Avatare unterwegs. Wird es einmal zu undurchsichtig und nicht mehr nachvollziehbar, was auf der Bühne geschieht, dann flüchtet sich die Regie in die Höllenfahrt des Don Giovanni, was jedoch nicht der Grund dafür ist, dass einem Così fan tutte nie so lang zu sein schien wie an diesem Abend. Dem Personal fehlt es einfach an Naivität und Melancholie, es ist einfach zu „modern“. Das Libretto dürfte eigentlich geradezu als Umsetzung der klassischen Forderung nach der Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung und damit als vorbildlich gelten, doch die Regie entfesselt eine Orgie aus videobewehrten, verfremdenden optischen Eindrücken, scheint quasi perfekt zu sein, aber sie erschlägt die Musik, indem alle Aufmerksamkeit des Zuschauers auf eine Flut optischer Einfälle konzentriert, ja diese geradezu absorbiert wird.
An die Stelle der berückend lichten Klarheit von Libretto und Musik ist ein zugegeben überwältigendes Konglomerat von visuellen Eindrücken geworden, das mit dem Voranschreiten der Vorstellung allerdings auch immer stärker den Eindruck einer ausgetüftelten Reality-Schau vermittelt und einen faden Beigeschmack hat. Die Sänger werden derart intensiv mit „Darstellung“ beschäftigt, dass sie sich manchmal kaum auf das Singen konzentrieren können. Statt mit Vokalisen die Stimme zu bilden, müssen sie die Muckibude aufsuchen, um optisch den an sie gestellten Ansprüchen zu genügen, und trotzdem kommen Tenor und Bariton zum Glück nicht an ihre Türsteher- Doppelgänger heran. Die Sängerinnen müssen über weite Strecken in dürftiger Reizwäsche auftreten, was eine Konzentration auf das reine Singen unmöglich macht. Zudem ist dem Konflikt, in dem sich die beiden Schwestern bei Da Ponte befinden, dadurch viel an Schärfe genommen, dass von Treuebruch nicht mehr die Rede sein kann, sondern höchstens von mangelnder Pietät gegenüber Verstorbenen. Und selbst wenn der Internationale Frauentag nicht gerade vorbei wäre, würde natürlich ein abschließendes Così fan tutti nicht fehlen.
Die Bühne ist in oben und unten zweigeteilt, wobei man oft die Bühnenarbeiter auf der Etage wirken sieht, auf der gerade nicht gespielt wird. Für sie ist wie für die Kostüme ebenfalls Kirill Serebrennikov verantwortlich, und er kleidet die untreuen Bräute passend für eine Tscherkessenhochzeit ein.
Don Alfonso ist nicht der alte, aller Illusionen bare Philosoph, sondern ein Altersgenosse Ferrandos und Guglielmos. Die Stimme von Günter Papendell allerdings klingt ausgesprochen dröge und hohl und straft das jugendliche Aussehen Lügen. Hubert Zapior singt einen frischen Guglielmo, dessen Bariton so schlank, geschmeidig und farbig ist, wie man es sich für die Partie wünscht. Caspar Singh erfreut mit einer poetischen, agogikreichen Aura amorosa und kann mit Tradito auftrumpfen. Come scoglio klingt noch etwas matt und glanzlos, aber mit ihrer zweiten Arie kann Nadja Mchantaf für schöne lyrische Momente sorgen. Susan Zarrabi singt mit leichtem, hellem, ebenmäßigem Mezzosopran die Dorabella. Für die Despina von Alma Sadé ist der Regie leider gar nichts eingefallen, akustisch konnte sie mit einem spritzigen, frischen Sopran gefallen. Der Chor, einstudiert von Jean-Christophe Charron, darf in dieser Inszenierung nichts von seinen darstellerischen Talenten zeigen, das Orchester unter Katharina Müllner wird der Optik auf der Bühne gerecht und damit zu ihrem angemessenen Pendant.
Ingrid Wanja, 12. März 2023
Così fan tutte
Wolfgang Amadeua Mozart
Komische Oper Berlin
Besuchte Premiere am 11. März 2023
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Kirill Serebrennikov
Musikalische Leitung: Katharina Müllner
Orchester der Komischen Oper Berlin