Premiere: 19.09.2020,
besuchte Vorstellung: 27.09.2020
(Vermeintlich) Kleine Oper mit großer Wirkung
Nach den „Comedian Harmonists in Concert“ zeigt die Deutsche Oper am Rhein nun zu Beginn der Spielzeit 2020/2021 mit „Der Kaiser von Atlantis“ die erste voll inszenierte Neuproduktion nach dem Corona-Lockdown im Frühjahr. Mit einer Spielzeit von rund einer Stunde handelt es sich zwar um ein sehr kurzes Werk, welches allerdings sowohl musikalisch wie auch von der Inszenierung her überzeugen kann. Mitten im Grauen des zweiten Weltkrieges komponierte Victor Ullmann dieses Werk im Konzentrationslager Theresienstadt. Das Libretto stammt von Peter Kien, der dort ebenfalls inhaftiert war. Zu den besonderen Bedingungen zur Entstehungsgeschichte dieser Oper sei allen Besuchern die sehr interessante Einführung vor den Vorstellungen ausdrücklich empfohlen. Die Handlung der Opernparabel geht überraschend eindeutig mit der damaligen Situation um, was wohl auch ein Grund dafür gewesen sein dürfte, dass die geplante Aufführung dann doch abgesagt wurde und das Werk erstmals 1975 in Amsterdam zu erleben war. Kaiser Overall von Atlantis hat eine nahezu automatisierte Tötungsindustrie geschaffen, in der der Harlekin als Zeichen für das Leben und der personalisierte Tod nur noch tatenlos dahinvegetieren. Als der Kaiser einen Krieg Aller gegen Alle verkündet, tritt der Tod in den Streik und verweigert seine Dienste. Kein Mensch kann mehr sterben. Zunächst versucht Overall sich als Sieger über den Tod und als Überbringer des „ewigen Lebens“ darzustellen. Doch es kommt zu Aufständen, da zum Tode verurteilte am Galgen hängen, ohne sterben zu können und verletzte Soldaten von Schmerzen gequält im Leben gefangen sind. Der Tod bietet dem Herrscher an seinen Streik zu beenden, wenn der Kaiser „als erster den neuen Tod leide“. Overall nimmt dieses Angebot an und folgt dem Tod, die vorgesehene Ordnung von Leben und Tod ist wiederhergestellt.
Ilaria Lanzino gelingt mit ihrer Inszenierung eine schlüssige und nachvollziehbare Deutung der Geschichte, die das menschenverachtende Verhalten des Nazi-Regimes und die lebensunwürdigen Umstände der KZ-Insassen geschickt in eine Parabel verpackt. Dabei kommt die Inszenierung nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher, vielmehr bringt die Regie die ursprüngliche Kammeroper mit feinem Gespür auf die große Bühne des Opernhauses und beleuchtet auch das Zusammenspiel von Leben und Tod auf eindrucksvolle Weise. Hierbei werden nur vereinzelt und an der richtigen Stelle große Bilder benutzt, so z. B. bei der Rede Overalls, die von einer großen Videoprojektion des Kaisers begleitet wird. Ansonsten sind es auch die kleinen Momente, die besonders gefallen. Auch das Schlussbild kann überzeugen, lediglich der Deal zwischen Tod und Kaiser geht in dieser Inszenierung etwas unter. Ob das Bühnenbild von Emine Güner nun eher Spinnennetz oder doch eher Marionettenfäden sein sollen ist nicht ganz so eindeutig zu bestimmen, allerdings ist dies auch egal. In beiden Fällen sind die handelnden Personen in gewisser Weise gefangen. Nach und nach zerfällt dieses Geflecht aber immer mehr. Abgerundet wird das positive Gesamtbild der Inszenierung von einem stimmigen Lichtdesign von Thomas Diek.
Auch musikalisch kann sich die Aufführung hören lassen. Generalmusikdirektor Axel Kober hat diese Produktion zur Chefsache erklärt und sorgt für einen wunderbaren Klang der Düsseldorfer Symphoniker, die wie gewohnt im Orchestergraben sitzen. In Kombination mit der Inszenierung nimmt einen die Musik über die kompletten 60 Minuten gefangen, die in diesem Falle wie im Fluge vergehen. Die einzelnen Rollen sind ebenfalls ausgezeichnet besetzt. Der irisch-amerikanische Bariton Emmett O’Hanlon gibt einen überzeugenden Kaiser von Atlantis. Kimberley Boettger-Soller meistert die nicht unbedingt leichte Partie des Trommlers souverän, ihr zur Seite steht Thorsten Grümbel als Lautsprecher. Der Tod wird vom australischen Bass Luke Stoker verkörpert, während der Tenor David Fischer die Rolle des Harlekines übernimmt. Abgerundet wird das Ensemble von Anke Krabbe als Mädchen und Sergej Khomov als Soldat, die ein wunderbares Liebespaar abgeben.
Abschließend an dieser Stelle ein dringender Aufruf an die Opernfreunde im Lande: „Hallo, hallo! Die Deutsche Oper am Rhein zeigt eine vermeintlich kleine Oper mit großer Wirkung, die auf der großen Bühne ihre ganze Kraft entfalten kann. Schaut es euch ruhig mal an.“ Gerade in einer Zeit in der Parteien mit offensichtlich rechten Parolen salonfähig werden, ist dies vielleicht genau das richtige Werk zur richtigen Zeit. Schade nur, dass man in Düsseldorf in dieser Spielzeit bislang auf deutlich abgespeckte Programmhefte setzt, die komplett auf Bilder der Produktionen verzichteten. Hoffentlich kehrt man hier in der kommenden Spielzeit wieder zum gewohnten ausführlichen Format zurück.
Markus Lamers, 01.10.2020
Bilder: © Hans Jörg Michel