Aufführung am 27.01.2013, (Premiere 03.11.2012 )
Orientalisches Schmierenkino: Komödie vor ernstem Hintergrund
Es herrscht Krieg im Nahen Osten. Wochenschau-ähnliche Kriegsbeiträge in Schwarz-Weiß werden auf die Leinwand eines kleinen Kinosaals geworfen, in welchem sich Kriegsberichterstatter zur Pressekonferenz eines siegreichen Feldherrn mit Filmberichterstattung versammeln. So beginnt die Oper. Aus den Journalisten im Kinosaal, in welchen ein desert storm schon eine ganze Ladung Sand hineingeweht hat, werden zwanglos die Mitwirkenden an der Opernhandlung. Aber welcher Krieg herrscht denn eigentlich im Nahen Osten? Hat da eigentlich jemals kein Krieg geherrscht? In den Schwarzweiß-Video-Projektionen vermeidet der Regisseur Stephen Lawless allzu deutliche Hinweise, um welches Material es sich eigentlich handelt; aber es wird ein Luft- und Landkampf mit englischer Beteiligung aus dem Zweiten Weltkrieg gezeigt. Giulio Cesare schwebt dann als Luftlandesoldat ein. Obwohl er laut Libretto im dritten Akt eigentlich ins Hafenbecken in Alexandria fallen soll, crasht er hier mit seinem Flugzeug in den Kinosaal… Trotz des guten Ausgangs der Geschichte von Nicola Francesco Haym, der die Textvorlage für Händel schrieb, herrscht leider am Ende der Oper immer noch Krieg. Der wird, wie wir heute wissen, ja auch nie aufhören. Und am Ende ist in den Kinosaal noch viel mehr Wüstensand hereingeweht worden, will heißen, die kriegerischen Anstrengungen haben nicht zu einer heilen Welt mit mehr Wohlstand geführt.
Máté Sólyom-Nagy (Achillas), Stéphanie Müther (Cornelia)
Stephen Lawless thematisiert durchaus die Kriegsgräuel mit ihrem Leid und den „Kollateralschäden“. Aber er findet in der Ernst-Heiter-Mischung dieser Oper, an der schon viele Regisseure gescheitert sind, genau die richtige Mischung zwischen Abstand und Anteilnahme. Vielleicht auch gerade deshalb, weil die Kriegsszenen nicht im Palästina, dem Irak, Syrien, Ägypten, Libyen oder Mali der Gegenwart in grellbunten jetztzeitlichen Video-Sequenzen, sondern in grauweißer filmischer Vergangenheit zwischen Abessinien, El Alamein und Casablanca stattfinden. Das geht einen zwar immer noch mehr an als die Zerstörung Karthagos 146 v. Chr., aber die komischen Szenen der Oper betten sich da besser ein. Diese sind amüsant mit köstlichen komödiantischen Einlagen wie Vaudevilles eingerichtet, wozu auch die Personenzeichnung einen wesentlichen Anteil hat. Die kecke schlaue Cleopatra neckt ihre sexuell verklemmten Bruder Tolomeo (beider zuerst in College-Blazern und Andeutungen von dessen inzestuösen Begierden); da ist Nirenus wie ein dicker libanesischer Bordellbesitzer mit seinen erstaunlichen Fähigkeiten, vieles zu „arrangieren“: orientalische Opulenz pur! Sesto, der (erst nicht ganz glaubwürdig) seinen Vater rächen möchte, steckt in einer viel zu großen Ausgehuniform und muss erst einmal lernen, mit einem Revolver umzugehen. (Besonders scharfsinnig: Sesto ist nach gelungener rächerischer Bewährung plötzlich in seinen Anzug hineingewachsen!). Da ist die üppige Cornelia, die keine Gelegenheit auslässt, ihre ägyptischen Anmacher wie Kameltreiber zu behandeln. Tolomeo entwickelt sich vom pubertierenden Jüngling zu einem Möchtegern-Feldherr in Gaddafi-Gala und bleibt eine infantile Figur, vor allem wenn er auch noch mit großen Spielzeugpanzern Krieg übt.
Mireille Lebel (Sesto), Stéphanie Müther (Cornelia)
Parodistischer Humor durchzieht viele originell gezeichnete Szenen. Cleopatras (Lydias) erste Anmache bei Giulio erfolgt in Hot Pants als Zigarettenverkäuferin im Offizierskasino, als welcher das Einheitsbühnenbild des Kinosaals auch fungiert. Später muss sie zur Parnass-Szene (sieht zuerst aus wie ein Strip im Schattenwurf hinter der violett gegenbeleuchteten Kinoleinwand) für eine Verkleidung entscheiden. Da sitzt sie in einem kleinen hereingefahrenen Séparée vor drei Kinoplakaten und wählt sich die Verkleidung aus. Als Sally Eilers in Bad Girl 1931? Nein! Als Jean Harlow wie in Riffraff 1936? Auch nicht. Wie Liz Taylor in Cleopatra 1963: das scheint zu passen (nicht allerdings zur zeitlichen Verortung der Inszenierung!) – her mit der Perücke! Zu ihrem erotischen Tanz spielt eine Bühnenmusik mit orientalischer Kopfbedeckung.
Caesar wird von Nirenus in ein Beduinenkostüm gesteckt. Er posiert hinter einem Windgenerator mit flatterndem Umhang heroisch wie Lawrence of Arabia, muss aber erst einmal die Benutzung einer Wasserpfeife lernen. Da wird es ihm natürlich speiübel. So unfähig sind sie eben, diese Römer (Engländer), können noch nicht einmal rauchen. Der Nord-Süd-Gegensatz des Stücks ist im Libretto angelegt: die Ägypter verachten die „Nordisten“ als unkultivierte Barbaren; die Römer tragen ihren ganzen gewaltigen zivilisatorischen Erfolgsstolz gegenüber der Unordnung und Dekadenz im Süden vor sich her. Parallelen zu heutigen transalpinen Kultur- und Zivilisationsgradienten sind rein zufällig, denn das Libretto von Haym entstand ja 1723 – oder war das damals auch schon so? Von besonderem Reiz ist noch Caesars „Va tacito und nascosto“ angelegt. Tolomeo hat Giulio zu sich eingeladen und in einen heruntergekommenen Raum („Für Römer verboten“ „Kamelbesuch nach Mitternacht nicht gestattet!“) geführt und ihn mit Schlangen und Skorpionen ausgestattet. Mit einer Klatsche erlegt der „astuto cacciator“ (der gewiefte Jäger) eines der Tiere. Neben vielen weiteren Regieeinfällen mit viel englischem Humor und einer gekonnten Personenführung tragen auch das passende Bühnenbild und die teilweise karikierenden Kostüme des Ausstatters Gideon Davey zu der gelungenen und stimmigen Bebilderung der Produktion bei.
Denis Lakey (Tolomeo), Benno Schachtner (Giulio Cesare)
Der Verdeutlichung des recht stringenten Handlungsstrangs im Giulio Cesare misst der Regisseur dagegen nicht so viel Bedeutung bei wie den situativen Darstellungen. Kleinere Umstellungen im Kontext der Inszenierung zeigen sich unkritisch. Aber im dritten Akt sind Striche vorgenommen worden, die streng genommen den Rest der Oper dramaturgisch in der Luft hängen lassen. Im Programmheft ist eine „Aufführungsdauer“ von Dreieinviertel Stunden inklusive zweier Pausen von zehn (!) und fünfzehn (!) Minuten angeben, just die Maximaldauer eines „Dienstes“ des Orchesters. Die Pausenlängen sind natürlich völlig unrealistisch, weswegen die Aufführung dann auch insgesamt Dreidreiviertel Stunden dauert. Hat sich der Orchestervorstand einwickeln lassen? Trotzdem bleibt eine „Lücke“ in der Oper.
Cleopatra, Robert Wörle (Nirenus)
Auch musikalisch kommt der Besucher gut auf seine Kosten. Der erste Kapellmeister und kommissarische GMD des Hauses, Samuel Bächli, dirigierte das Philharmonische Orchester Erfurt, das außer mit den üblichen Barockinstrumentalisten auch mit einer Orgel ergänzt wurde, die mit alternativ mit dem Cembalo zur Begleitung der Rezitative eingesetzt wurde. Das klang mal anders. Das sauber musizierende Orchester war überaus auf Klangschönheit aus, wozu auch eine große Continuo-Besetzung beitrug. Die Tempi schienen aber mehrfach ziemlich gedehnt, was zu Lasten der Spannung ging; auch wollte sich der Händel-Swing nicht immer einstellen. Glänzend die Solo-Violine auf der Bühne von Roland Rohde (auch der mit einem Fes), der neben einer gewagt-gekonnten komödiantischen Bühneneinlage nebenher auch noch sein Instrument beherrschte.
Yoontek Kim (Curio), Benno Schachtner (Giulio Cesare), Cleopatra
Bei den Sängern kam Freude auf, obwohl sie die Regie zeitweise sehr weit hinten auf der Bühne agieren ließ. Aber zu den entscheidenden Gesangsnummern durften sie dann doch weiter vorne singen. Die Titelrolle sang der erst 28-jährige Benno Schachtner stets sauber mit schön und natürlich fließendem klarem Counter und stets koloratursicher. Dazu hatte er auch schauspielerisch die Rolle verinnerlicht, die ihm sichtlich Spaß machte. Eine brillante Besetzung! Julia Neumann als Cleopatra schien zuerst stimmlich ein wenig dünn, kam aber mit lyrisch expressivem Ausdruck immer besser in ihre Rolle. Sie konnte schauspielerisch in den verschiedenen Wandlungen ihrer Rolle jeweils begeistern; aber ihr Lamento „Piangerò la sorte mia“, so schön es auch ist, passte dann doch nicht so recht zu ihrer überwiegend buffonesken Rolle. Das stimmte bei Mireille Lebel (Sesto) und Stéphanie Müther (Cornelia) viel besser. Sie vereinten ihre Stimmen am Ende des ersten Akts „Son nata/o a lagrimar/sospirar“ zu einem traumhaft schönen musikalischen Höhepunkt des Nachmittags. Der saubere, schlanke und helle Mezzo der Kanadierin Mireille Lebel mit ebenso schlanker Bühnenerscheinung kontrastierte dabei angenehm zu der warmen lyrischen Ausdruckskraft, mit der Frau Müther ihre Rolle versehen konnte. Die Rolle des unglücklichen Achillas gab Máté Sólyom-Nagy mit hellem kultiviertem Bassbariton und schön ausgesungenen Linien. In der Counter-Rolle des Tolomeo gab Dennis Lakey eine gekonnte sängerische und vor allem schauspielerische Vorstellung. Den Nirenus verkörperte erzkomödiantisch und stimmlich überlegen Robert Wörle. Yoontaek Rhim vom Thüringer Opernstudio sang die kleinere Rolle des Curio geradlinig mit kräftig virilem Bassbariton.
Leider nur zu einem Drittel war an diesem Sonntagnachmittag der Saal besetzt. Von den Besucherinnen waren einige auch nur gekommen, um sich während der Vorstellung zu unterhalten. So geht es leider mit den Perlen… Der Beifall für die Produktion, die sich in keinem Aspekt zu verstecken hat, war herzlich und langanhaltend – dünn nur wegen der geringen Audienz. Man hat Lust, sich die Vorstellung gleich noch einmal anzuschauen; aber aufgepasst: Giulio Cesare kommt nun nur noch einmal am 1. März
Manfred Langer, 29.01.2013
Fotos: Lutz Edelhoff (Cleopatra: abweichende Besetzung)