Besuchte Vorstellung: 15. Juni 2021
Auf den ersten Blick passen diese beiden Opern nicht zueinander: Was haben Joseph Haydns „La Isola disabitata“ von 1779 und Garvin Bryars „Marilyn Forever“ von 2013 miteinander zu tun? Hauptgrund dürfte die einfache Realisierung in Corona-Zeiten sein: Beide Stücke dauern ungefähr 70 Minuten, sind von einem Kammerorchester mit gut 12 Musikern spielbar und benötigen nur ein kleines Personal.
In der Haydn-Oper erleiden Costanza und ihre jüngere Schwester Silvia Schiffbruch auf einer einsamen Insel. Nach 13 Jahren in der Sklaverei kehrt Costanzas Mann Gernando mit seinem Freund Enrico auf die Insel zurück, findet seine Frau wieder, und auch Silvia und Enrico werden ein Paar.
Regisseurin Magdalena Fuchsberger versucht eine psychologische Deutung der Geschichte: Ausstatterin Monika Biegler lässt die Oper nicht auf einer malerischen Insel, sondern im Wohnzimmer des Ehepaares spielen. Der Schiffbruch, die Einsamkeit sind in Fuchsbergers Sichtweise nur Metaphern für die Entfremdung des Paares.
Was sich als Idee und Konzept spannend anhört, wird aber nicht schlüssig auf die Bühne gebracht: Ehemann Enrico kommt nämlich mit einem Rucksack über die Bühne angekrochen, als würde er tastsächlich durch das Unterholz robben. Freund Gernando taucht aus einer Falltür mit viel Bühnennebel auf, so dass man sich fragt, ob er nicht nur ein Wunschtraum Silvias ist? Das Hauptproblem der Regie, dass sie nicht klar trennen kann, ob das Wohnzimmer Realität und die Insel nur die Metapher ist? Oder ob es nicht genau anders herum ist?
Maria Markina ist mit großem Mezzosopran, der auch dramatische Töne besitzt, eine zerrissene Costanza. Mit viel Sopranglanz singt Penny Sofroniadou ihre Schwester Silvia. Über tenoralem Schmelz verfügt Anton Kuzenok als Enrico. Mit kernig-selbstbewusstem Bariton trumpft Insu Hwang als Enrico auf.
Das zweite Stück des Abends, „Marilyn forever“, zeigt eigentlich die Probe einer Schauspielerin, die sich gemeinsam mit einem Regisseur versucht der Figur der Marilyn Monroe anzunähern. Die Dramaturgie ist sprunghaft und traumartig. Vieles wird inhaltlich nur angedeutet.
Diese Oper ist von sich aus schon eine distanzierte und gebrochene Annäherung an die Film-Ikone. In Hagen versucht Regisseur Holger Potocki noch zusätzliche Distanz aufzubauen. Gemeinsam mit Bühnenbildner Bernhard Niechotz hat er die Bühne zweigeteilt, sodass die Schauspielerin und der Regisseur getrennt agieren. Potocki will so die Geschichte einer Schauspielerin, die in die Rolle der Marilyn schlüpfen will und die eines Regisseurs, der einen Film drehen möchte, gleichzeitig aber der Faszination der Figur verfällt, als zwei unabhängige Stücke erzählen.
Eigentlich ist diese Erschaffung zwei getrennter Geschichten aber überflüssig, da beide Figuren trotz der räumlichen Distanz textlich und szenisch interagieren. Angela Davis und Kenneth Mattice singen ihre Partien mit geschmeidigen Stimmen, überzeugen sowohl im melancholisch-tonalem Parlando als auch in den jazzigen Songs.
Das Philharmonische Orchester Hagen unter Generalmusikdirektor Joseph Trafton zeigt in beiden Stücken seine klangliche Wandlungsfähigkeit und Stilsicherheit: Die Haydn-Oper klingt beschwingt und leichtfüßig, während „Marilyn forever“ mit einem vibrierenden Klang zwischen Minimalismus und Jazz gespielt wird.
Insgesamt bietet diese Vorstellung eine spannende Begegnung mit zwei selten gespielten Werken. Jedoch wird man dabei mit Inszenierungen konfrontiert, welche beide Stücke um die Ecke herum denken.
Rudolf Hermes
Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)