Köln: „Il Trovatore“

Premiere: 01.03.2020

„Was wäre gewesen, wenn…“ – Therapie statt Zigeunerlager

Lieber Opernfreund-Freund,

der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov verordnet gerne Therapien. Nachdem er in Bizets Carmen 2017 in Aix-de-Provence ein Paar unter therapeutischer Aufsicht sich mit seinen Problemen auseinandersetzen hat lassen, wärmt er die Therapiesitzungen auf, die er der Familie Luna aus Verdis Trovatore schon 2012 an der Monnaie in Brüssel hat angedeihen lassen und präsentiert sie nun am Kölner Staatenhaus. Szenisch eher belanglos, gerät die musikalische Seite des Abends hingegen zum Ereignis.

Als hoffnungslos konstruiert und verworren wird der Stoff von Verdis Trovatore gerne charakterisiert. Dabei ist die Geschichte in einem Satz erzählt: Eine Zigeunerin wirft in geistiger Umnachtung ihr eigens Kind ins Feuer und zieht statt dessen das des feindlichen Grafen groß, lechzt nach Rache für die Hinrichtung der eigenen Mutter und gibt erst Ruhe, als der gräfliche Spross nichtsahnend seinen Bruder hat hinrichten lassen, mit dem er um das Herz von Leonora buhlt. Ganz so stringent kann ich die Lesart des russischen Regisseurs Dmitri Tcherniakov nicht widergeben, die seit gestern im Kölner Staatenhaus zu sehen ist, versuche es aber trotzdem: „Was wäre gewesen, wenn“ ist der Abend überschrieben. Azucena hat den Grafen, ihren Sohn Manrico und dessen Exgeliebte zu sich eingeladen, um über die Probleme innerhalb der Familie zu sprechen. Erhellend sollen dabei die Erinnerungen Ferrandos wirken. Die heilenden Gespräche und das gemeinsame Wälzen von Gewesenem laufen jedoch aus dem Ruder, der völlig durchgedrehte Graf Luna knallt Ferrando und später seinen Bruder ab; Leonora hat da bereits Gift genommen und Luna stirbt am Herzinfarkt. Azucena als Strippenzieherin dieser Familienaufstellung und Initiatorin des ganzen Schlamassels überlebt als einzige und wird damit zur Hauptfigur. Das ist insoweit schlüssig, dass Verdi mit dem Gedanken gespielt hatte, die Oper Azucena zu nennen – die Regie also als Erfüllungsgehilfe des Schöpferwillens? Eher nicht.

In der ersten Hälfte des Abends wird vor allem viel herumgestanden und sich erinnert, dabei bedeutungsschwanger geschaut und ab und an ein die Erinnerung auffrischendes Requisit aus einer Holzschatulle genommen. Nach der Pause gelingt Tscherniakov zumindest ein Aufzeigen von Beziehungen, die Handlung nimmt da ein wenig Fahrt auf, auch wenn sich mir der Mehrwert dieser Interpretation für das Werk nicht ganz erschließt. So erschöpft sich die Inszenierung in guten Ideen, die in Belanglosigkeit enden, weil sie für den Trovatore einfach nicht umsetzbar sind. Dafür ist die Handlung dann doch zu komplex. Retten können da auch die Alltagskostüme nichts mehr, für die ebenfalls der Regisseur verantwortlich zeichnet. Lediglich die exzellente musikalische Seite des Abends entschädigt für die szenische Langeweile.

Arnold Rutkowski hat sich mit einer Erkältung ansagen lassen und wird – zum Glück, möchte man sagen – nach der Pause durch den von der Seite singenden George Oniani, Ensemblemitglied an der Oper Bonn, ersetzt. Im direkten Vergleich der beiden Tenöre wird umso deutlicher, was dem polnischen Sänger in der ersten Hälfte des Abends alles nicht gelang. Da hätte man vielleicht von Beginn an der Gesundheit und damit dem Einspringer den Vorrang geben sollen. Oniani trumpft vokal auf ganzer Linie auf, wirft sich waghalsig in halsbrecherische Phrasen und Spitzentöne und trägt damit maßgeblich zum musikalischen Erfolg des Abends bei. Gleiches tut der Texaner Scott Hedricks, der seinem satten Bariton immer wieder reichlich Emotionen und feines Messa di voce beimischt und einen Augenblick später Ausbrüche zeigt, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Und das gelingt auch ihr: Ganz gemäß dem Regieansatz wird die Azucena zur Hauptfigur – und zwar durch die alles durchdringende, jede Facette auslotende Interpretation von Marina Prudenskaya, die mit voluminös-gluturaler Tiefe und immensem musikalischen und darstellerischen Ausdruck überzeugt und die Oper damit zu der ihren macht.

Will Humburg zeigt mit dem an der Seite positionierten Orchetser, warum er den Ruf eines großartigen Verdi-Interpreten hat. Glutvoll und feurig ist sein Dirigat, um sich bald zurück zu nehmen und zusammen mit dem Gürzenich-Orchester die komplette Palette der Verdi‘schen Klangfarben und damit einen Trovatore par excellence zu präsentieren.

„Was wäre gewesen, wenn…“: Die Positionierung des Chores im Off ist dabei, die grandiose Leistung der von Rustam Samedov betreuten Damen und Herren in allen Details hören und damit angemessen würdigen zu können, nicht gerade zuträglich. Gleiches gilt für die stimmlich wie darstellerisch exzellente Aurelia Florian, die nach dem Willen des Regisseurs die Arie im vierten Akt gänzlich gegen eine Wand zu singen hat. Schade – so verpuffen die feinen Piani der ausdrucksstarken Sängerin nahezu wirkungslos auf der Hinterbühne.

„Was wäre gewesen, wenn…“: Hätte die Intendantin Dmitri Tcherniakov in ihrer Begrüßung nicht als Star-Regisseur angekündigt, wäre beim Schlussapplaus, der sich ausdauernd und begeistert auf alle Sängerinnen und Sänger sowie Will Humburg ergießt, vielleicht auch die eine oder andere Unmutsbekundung beim Erscheinen des Produktionsteams zu vernehmen gewesen – so hingegen flaute der Jubel nur merklich ab.

Ihr
Jochen Rüth

02.03.2020

Die Fotos stammen von Bernd Uhlig.