Das Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 9. Februar 2024 war zweifellos ein musikalisches Highlight, das durch ein ungewöhnliches Programm eine besondere Note erhielt. Den Abend eröffnete das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung der fabelhaften Gastdirigentin Susanna Mälkki mit Paul Hindemiths Sinfonie „Mathis der Maler“. Dieses Werk, entstanden in den turbulenten Jahren des Dritten Reichs, ist eine klangliche und emotionale Reise durch die Themen der gleichnamigen Oper des Komponisten. Die Sinfonie ist der Höhepunkt seines Schaffens und basiert auf dem gleichnamigen dreiteiligen Altarbild von Matthias Grünewald. Der erste Satz trägt den Titel „Engelkonzert“ und stellt eine musikalische Darstellung der Engel dar, wie sie auf dem Altarbild von Grünewald erscheinen. Der zweite Satz, „Grablegung“, ist eine musikalische Reflexion über das mittlere Altarbild, das die Grablegung Christi zeigt. Im dritten Satz, „Versuchung des heiligen Antonius“, basierend auf dem rechten Altarbild, das die Versuchung des heiligen Antonius darstellt, ist eine musikalische Schreckensfahrt zu erleben. Hindemiths Musik in dieser Sinfonie ist geprägt von kontrapunktischer Klarheit, deutlichen Strukturen und einer Mischung aus romantischen und neoklassizistischen Elementen. Die Sinfonie reflektiert die politischen und kulturellen Unruhen der Zeit, da Hindemith das Werk während der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland komponierte. Das hr-Sinfonieorchester unter Susanna Mälkkis Leitung entfaltete in diesem Stück eine eindrucksvolle Klanglandschaft. Besonders hervorzuheben sind die Streicher des Orchesters, die mit ihrer Präzision und Ausdruckskraft die emotionalen Facetten der Sinfonie nuanciert herausarbeiteten. Sie schufen eine Atmosphäre von Tiefe und Intensität, die die dramatischen Momente des Werks eindrucksvoll unterstrichen. Gleichzeitig überzeugten die Bläser mit ihrem warmen und ausdrucksstarken Spiel, das dem Werk eine zusätzliche Dimension verlieh und für viel chorale Feierlichkeit sorgte. Die dynamischen Kontraste und die sorgfältig ausgearbeiteten Phrasierungen trugen dazu bei, Hindemiths Komposition in all ihrer Vielschichtigkeit zu präsentieren. Mälkki führte das Orchester mit Präzision und Leidenschaft durch die komplexen Strukturen, wobei sie die stilistische Bandbreite des Orchesters voll ausschöpfte. Ein großartiger Auftakt.
Der Solist des Abends, Wu Wei, beeindruckte das Publikum mit seinem virtuosen Spiel auf der Sheng, einer 3.500 Jahre alten chinesischen Mundorgel. Diese seltene und faszinierende Instrumentenwahl für Unsuk Chins Werk „Šu“ für Sheng und Orchester verlieh dem Werk eine einzigartige Exotik. Chin schrieb das Stück 2009 speziell für Wu Wei, dessen außergewöhnliches Talent die Komponistin dazu inspirierte, die Sheng in ihrer zeitgenössischen Komposition einzusetzen. Wu Weis Sheng erzeugte einen Klangreiz von unvergleichlicher Vielfalt, von sanften, fast flüsternden Tönen bis hin zu kraftvollen, lebhaften Passagen. Seine Fingerfertigkeit und die Art und Weise, wie er die traditionellen Klänge der Sheng mit modernen Ausdrucksformen verband, machten diesen Teil des Konzerts zu einem wahrhaft einzigartigen Erlebnis. Wie klingt dieses Instrument? Am ehesten erinnert der Klang an eine Mundharmonika oder ein kleines Akkordeon. Dazu muss der Spieler permanent Luft in das Instrument ein- und ausatmen, wirklich eine große Anstrengung. Unsuk Chins „Šu“ ist durchdrungen von kräftigen Klangfarben der klassischen Moderne, von plastischen Tonbildern und historischen Assoziationen. Darin gibt es keinerlei Melodie, sondern flächige Harmonieverläufe in der vollen dynamischen Bandbreite. Die Sehnsucht nach dem fernen Klang manifestierte sich in den klanglichen Weiten der Sheng, die von Wu Wei meisterhaft beherrscht wurden. Die Tiefe dieses Werkes wurde durch die kluge Interpretation von Dirigentin Susanna Mälkki hervorgehoben, die das Orchester zu einer präzisen und emotional packenden Darbietung führte.
Der Abend fand seinen Höhepunkt mit Igor Strawinskys „Der Feuervogel – Suite (1919)“. Dieses Meisterwerk ist von der magischen Welt des russischen Märchens inspiriert. Die ursprüngliche Ballettmusik „Der Feuervogel“ entstand im Jahr 1910, und die Suite wurde später, im Jahr 1919, von Strawinsky selbst arrangiert. Sie enthält ausgewählte und neu geordnete Abschnitte aus dem Ballett, wodurch sie zu einem eigenständigen Orchesterwerk wird. Die Suite besteht aus fünf Sätzen, wobei jeder Satz eine Szene oder einen Charakter des Balletts repräsentiert. Strawinsky verwendet komplexe Rhythmen und ungewöhnliche Metrik, was zu einer charakteristischen rhythmischen Vitalität führt. Der „Danse Infernale“ ist besonders bemerkenswert für seine treibenden Rhythmen. Die Harmonik zeigt Einflüsse der russischen Volksmusik. Die Solisten des hr-Sinfonieorchesters zeigten in dieser Suite ihre herausragende Virtuosität. Insbesondere die Solo-Flöte und das perfekt intonierende Solo-Horn traten mit fabelhaftem Können hervor. Ihre melodischen Linien und lyrischen Passagen trugen maßgeblich zur zauberhaften Atmosphäre des Werks bei. Die Blechbläser-Passagen, angeführt von den Trompeten und Posaunen, waren überragend in ihrer Präsenz und Brillanz. Die Art und Weise, wie das Orchester unter der Leitung von Mälkki die rhythmische Vitalität und die exotischen Klangfarben von Strawinskys Musik zum Leben erweckte, verdient höchstes Lob. Mälkki führte das Orchester durch die zauberhaften Klangwelten dieses mythologischen Werks, das in seiner Suite-Form die Essenz der ursprünglichen Ballettmusik bewahrt. Mit viel Fantasie entstanden vor dem geistigen Auge des Zuhörers die Märchengestalten. Ungemein intensiv, ja geradezu dreidimensional wirkte die musikalische Charakterisierung des Feuervogels, den der Klangkörper mit intensiven Farben zeichnete. Das hr-Sinfonieorchester brillierte erneut durch seine stilistische Vielseitigkeit, wobei die dynamischen Kontraste und die brillanten Orchesterfarben des Werks in einer farbintensiven Interpretation zum Ausdruck kamen. Sehr variabel in den Tempi gelangen Mälkki Momente von größter Innigkeit, wie im Wiegenlied oder zuvor im martialischen Höllentanz des Katschej. Das Publikum feierte enthusiastisch den großartigen Vortrag und die sehr sympathische Dirigentin, die sich auch über den ausdauernden, großen Zuspruch des Orchesters freuen durfte. Das Konzert in der Alten Oper Frankfurt hinterließ somit einen nachhaltigen Eindruck. Die ungewöhnliche Zusammenstellung der Werke, die herausragende Leistung des Solisten Wu Wei, die begeisternde Gastdirigentin Susanna Mälkki und die exzellente Darbietung des hr-Sinfonieorchesters machten diesen Abend zu einem feinen Erlebnis.
Dirk Schauß, 10. Februar 2024
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 9. Februar 2024
Paul Hindemith: Sinfonie „Mathis der Maler“
Unsuk Chin: „Šu“
Igor Strawinsky: „Der Feuervogel“ – Suite (1919)
Wu Wei, Sheng
hr-Sinfonieorchester
Susanna Mälkki, Leitung