Frankfurt, Konzert: „Chineke! Orchestra“, Coleridge-Taylor, Walker, Price, Dvorak

Um ein wichtiges Signal für ethnische Vielfalt zu setzen, gründete 2015 die Kontrabassistin Chi¬chi Nwanoku das Orchester „Chineke! Hierzu zählen farbige Musiker aus über dreißig Ländern. Sie eint die Erfahrung und der Umgang mit Vorurteilen. Was bedeutet „Chineke“? In der nigerianischen Igbo¬ Sprache bedeutet es „Gott, der Schöpfer der Welt und des Guten“. Erstmals war nun dieses ungewöhnliche Orchester zu Gast in der Alten Oper Frankfurt. Das Orchester erfreute mit einem sehr ungewöhnlichen Programm.

(c) Tibor-Florestan Pluto

Am Beginn stand die Ballade für Orchester Op.33. Sie war ein wichtiger früher Meilenstein für den englischen Komponisten Samuel Coleridge-Taylor (1875-1912). Es ist ein Werk voller wunderbarer Lebensfreude, Leidenschaft und Wärme. Was für ein Verlust, es bisher nicht im Konzertsaal erlebt zu haben. In spätromantischer Klangpracht bot es dem Chineke! Orchestra eine perfekte Gelegenheit, sogleich seine Vorzüge in den Saal der Alten Oper zu schicken. Ein betont durchhörbarer Streicherklang, vielfältig geforderte Holz- und attackierende Blechbläser, sekundiert von prägnanten effektvollen Schlagzeugstellen.

Sehr animierend am Pult war Leslie Suganandarajah zu erleben. Der srilankisch-deutsche Dirigent kann bereits auf eine vielfältige Karriere schauen. Vor allem in der Opernwelt gelangen ihm erste Erfolge. Aktuell ist er Musikdirektor des Landestheaters Salzburg, an welchem er kürzlich mit einem gefeierten „Rosenkavalier“ reüssierte.

Nach diesem gelungenen Auftakt gab es einen deutlichen Kontrast. „Lyric for Strings“ ist eine Musikkomposition des amerikanischen Komponisten George Walker. Ursprünglich betitelt als „Lament“, wurde es 1946 als zweiter Satz von Walkers Streichquartett Nr. 1 komponiert. 1990 erweiterte Walker das Werk für Streichorchester und betitelte es in „Lyric for Strings“. Dieses neue Arrangement wurde später Walkers meistgespielte Komposition. Es ist in einem einzigen Satz gegossen und hat eine Dauer von etwa sechs Minuten. Das Werk ist Walkers Großmutter gewidmet, einer ehemals versklavten Person, die kurz vor der Vollendung des Werkes starb.

Hier konnte das Chineke! Orchestra seine besonderen Vorzüge im lichten Streicherklang demonstrieren. Wie ein Kammermusikensemble agierte das Orchester, aufmerksam im gemeinsamen Zusammenspiel.

(c) Tibor-Florestan Pluto

Florence Beatrice Smith Price (1887-1953) war die erste Afroamerikanerin, die in den USA als Komponistin klassischer Musik bekannt wurde. Die Musik dieser faszinierenden Persönlichkeit erfährt derzeit eine zunehmende Wiederentdeckung. Trotz einzelner Erfolge wurde ihr zu Lebzeiten kein Platz in der amerikanischen Musikgeschichte zugestanden. Ein Großteil ihrer rund 400 Kompositionen blieb unveröffentlicht.  Ihre vier Sinfonien wie auch ein Teil ihrer Konzerte erfreuen sich einem wachsenden Interesse, zu welchem auch viele CD-Einspielungen ihrer Werke in den letzten Jahren beitrugen.

Es sprach verständliche Bitterkeit aus ihrem an Brief an den Dirigenten Sergei Kussewizki. Ihr Fazit: „Ich habe zwei Handicaps! Ich bin eine Frau und ich habe auch schwarzes Blut in meinen Adern.“ 1953 erlag Florence Price in Chicago einem Schlaganfall.

1934 entstand ihr d-moll Klavierkonzert. Dieses überschwängliche und mitreißende Werk repräsentiert die breite Palette an Stilsprachen der Komponistin und die Kraft ihres kreativen Ausdrucks. Das Konzert ist in drei unterschiedliche Abschnitte gegliedert, die mit einer ruhigen Orchestereinleitung und einer Klavierkadenz beginnen und sich zu einem aufsteigenden Hauptthema entwickeln, das mit Material aus der Tradition der afroamerikanischen Spirituals durchdrungen ist. Der Solist und das Orchester führen einen virtuosen und einfallsreichen Dialog, der in ein wunderschön lyrisches Adagio mündet und schließlich in ein herrlich ansteckendes Finale stürzt, das vom afroamerikanischen Juba-Tanz inspiriert ist, der einst auf den Plantagen des amerikanischen Südens praktiziert wurde. Erst 2019 wurde die handgeschriebene Orchesterpartitur dieses Werks wiederentdeckt.

Es war schon beeindruckend, mit welcher Sicherheit die gerade einmal neunzehn Jahre junge Jeneba Kanneh-Mason den tückischen Anforderungen des Klavierparts begegnete. Mit großer Gelassenheit und technischer Sicherheit bediente sie alle Anforderungen ihres anspruchsvollen Parts. Die Natürlichkeit ihres Spiels und der souveräne Anschlag, zupackend und sensibel zugleich, beeindruckten das Publikum. Das Chineke! Orchestra wurde mit klarer Zeichengebung und viel Motivation von Leslie Suganandarajah durch die vielen Stilwechsel geführt. Auch hier beeindruckte vor allem die Ausgewogenheit des Orchesters im transparenten Tutti-Klang. Jeneba Kanneh-Mason bedankte sich mit einer innig vorgetragenen Zugabe: Samuel Coleridge-Taylor – Impromptu Nr. 2.

Drei Jahre Aufenthalt in Amerika, in der „Neuen Welt“, inspirierten Antonin Dvorak zu seinem symphonischen Gipfelwerk, zu seiner neunten Sinfonie, die im Jahr 1893 uraufgeführt wurde. Intensiv erforschte er die Gesänge der Indianer Völker und verarbeitete manche Tonfolge bekannter Spirituals. Über allem steht und tönt seine böhmische Heimat mit vielen folkloristischen Erinnerungsweisen.

Leslie Suganandarajah hatte das Orchester gut auf diesen Evergreen vorbereitet. Auffallend war seine Bevorzugung der Streicher, die durch einen besonders ausgewogenen Klang gefielen, lediglich die Gruppe der Celli wirkte ein wenig schwach im Ton der Gruppe.

Wie immer, des einen Freud, des anderen Leid. Alle übrigen Spielgruppen wirkten leider interpretatorisch vernachlässigt. Besonders auffallend war das leider bei den Holzbläsern zu erleben.

Vor allem in den Mittelsätzen kamen diese über eine akademische Musizierweise kaum hinaus. Dies hing mit den unausgewogenen Tempi Vorstellungen des Dirigenten zusammen. Leslie Suganandarajah wählte schnell und sehr schnell als Hauptgestaltungsmerkmal. Am gelungensten ging das im ersten Satz auf, der mit viel Feuer und mutigen Hörnern gefiel.

(c) Tibor-Florestan Pluto

Der zweite Satz, ein Adagio, geriet hier leider zum bedauerlichen Missverständnis. Viel zu schnell eilte der Dirigent durch diesen herrlichen Satz und beraubte somit die Solistin am Englischhorn einer gestalterischen Spielweise. Keine Feierlichkeit, kein Pathos, keinerlei Mut, die Musik ausatmen und auch einmal stehen zu lassen. Korrekte Notenwiedergabe ist nicht ausreichend. Sehr schade.

Im dritten Satz wirkten plötzlich dann die Holzbläser recht unsicher, so dass die Einsätze einen unbeabsichtigten Beigeschmack von Zufall erhielten. Auch der Mittelteil litt unter dem forcierten Tempo.

Tja, wer nun dachte, dass der so flotte Leslie Suganandarajah nun den vierten Satz im geforderten „Allegro con fuoco“ wiedergeben würde, nun, der sah sich getäuscht. Suganandarajah, der zu sehr auf Sicherheit bei seiner Partitur Auslegung Wert legte, löschte vorab das geforderte Feuer, so dass dieser finale Satz recht gemütlich begann. Ebenso wirkte auch hier der musikalische Ausdruck deutlich zu weichgezeichnet.

Bei netten Detail Ideen kam der Gesamtbeitrag dieser so bekannten Sinfonie über eine weitgehend akademische, korrekte Ausführung nicht hinaus.

Das Publikum zeigte sich dennoch erfreut. In der zündenden Zugabe (Samuel Coleridge-Taylor – African Dance) war nun das gesamte Orchester deutlich gelöster. Von dieser Spielweise hätte sicherlich die voraus gegangene Sinfonie profitiert.

Dirk Schauss, 21.11.2022


Chineke! Orchestra

Alte Oper Frankfurt, 20.11.2022

Samuel Coleridge-Taylor „Ballade a-Moll op. 33

George Walker „Lyric for Strings

Florence Price „Klavierkonzert d-Moll

Antonin Dvořák „Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 Aus der neuen Welt“

Jeneba Kanneh-Mason (Klavier)

Dirigat: Leslie Suganandarajah