Mezza passione mit Jonas Kaufmann
Die Stimme eines Sängers ist vielen Belastungen ausgesetzt und bleibt äußerst verletzlich. Auch der nun in der Alten Oper gastierende Tenor Jonas Kaufmann weiß davon, so manches Lied zu singen und zeigte sich an diesem Abend in manchen Beiträgen nicht frei von Anstrengung. Im Mittelpunkt des Frankfurter Konzertes standen Auszüge aus italienischen Opern von Giuseppe Verdi und Komponisten aus der Epoche des Verismo. Dazwischen immer wieder kurze Intermezzi fürs Orchester. Es war schon sehr seltsam, dass der derzeit bekannteste Tenor der Welt sein gesamtes Konzertprogramm aus den Noten sang und das, obwohl es sich größtenteils um gesungene Bühnenpartien handelte. Das wirkte unsicher und wenig professionell bei sehr teuren Kartenpreisen, zumal es Jonas Kaufmann erfolgreich daran hinderte, emotional tiefer in den gesungenen Kontext einzusteigen.
Das Konzert wurde eröffnet mit Verdis „Aida“. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz begann mit dem Preludio zum 1. Akt im sensiblen Vortrag. Jonas Kaufmann war bereits auf der Bühne und begann mit „Celeste Aida“. Seine Stimme zeigte sich im Rezitativ beeindruckend. In der Arie vermied er es, die Höhen stimmstark darzubieten und gestaltete diese vornehmlich lediglich mit halber Stimme. Mit feiner Atemführung vermochte Kaufmann lange Phrasierungsbögen zu entwickeln, sodass der Arienvortrag nuanciert geriet. Das finale hohe B, immerhin als Pianissimo-Note versucht, blieb ein Falsett-Ton, was vom Publikum dann auch nur mit lauem Applaus bedacht wurde. Danach folgte die kraftvolle Sinfonia aus Verdis „Luisa Miller“. Das Orchester spielte mitreißend und kontrastreich. Kaufmann sang dann „Oh! fede negar potessi … Quando le sere al placido“, die große Arie des Rodolfo, sehr beherrscht im Rezitativ und auch diese Arie fast durchweg im Mezza Voce Klang. Den affektiven Ausbrüchen ging Kaufmann aus dem Weg, somit gab es auch hier kein stimmliches Aufblühen. Die Phrasen wirkten hie und da etwas akademisch gesungen, da Kaufmann kein Portamento oder sich empfundene Rubati erlaubte. Als Nächstes erklang das Vorspiel aus Verdis „Un ballo in maschera“, gefolgt von der Szene und Romanze des Riccardo „Forse la soglia attinse … Ma se m’è forza perderti“. Diese Arie hat Kaufmann erst seit kurzem im Repertoire und auch hier bewies er seine Fähigkeit, überwiegend leise zu singen und das in einem arg schleppenden Tempo. Obwohl seine Stimme im oberen Register wieder ein wenig angespannt wirkte, gelang es ihm dennoch, die zarte Melodie der Romanze mit Intensität zu singen. Am Ende des ersten Teils gab es die seltene Gelegenheit, das Vorspiel zu Verdis „Otello“ zu hören, ein seltsam anmutendes Potpourri aus dem Jahr 1887. Danach war der Monolog des Otello „Dio mi potevi“ zu erleben. Diese Partie hat Kaufmann inzwischen mehrfach auf der Bühne gesungen und für CD eingespielt. Und auch hier irritierte sein häufiger Blick in die Noten. Die verzweifelte Einleitung, die Otello im Ausnahmezustand zeigt, plätscherte einförmig dahin, Otellos verzweifelte Worte klangen allzu beiläufig. Immerhin gelangen ihm die beiden hohen Bs gut in der Vollstimme, was dem Publikum gefiel.
Die zweite Hälfte des Konzerts begann mit Leoncavallos „I Pagliacci“. Kaufmann sang nun als Bariton den Prolog des Tonio „Si può? Si può?“ mit recht guter Sonorität. Leidensgestalten liegen Jonas Kaufmann und so war Canios Klage „Vesti la giubba“ ein gelungener Auszug, fern von jeglicher Weinerlichkeit, eher schlicht im Arienvortrag und dazu weniger passiv als bei Verdi. Umberto Giordanos „Fedora“-Intermezzo war ein sensibel beruhigender Moment des Konzertabends. Dann folgte Francisco Ciléas „L’Arlesiana“ und Kaufmann sang das berühmte Lamento „È la solita storia del pastore“ sehr einfühlsam und jetzt auch mit mehr Emphase. Die Stimmung im Saal war zu diesem Zeitpunkt deutlich intensiver. Das Konzert endete mit einem weiteren Paradestück des Verismo dem Abschied des Turiddu an seine Mutter aus Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“. Hier wirkte Jonas Kaufmann indessen gelöst und befreit. Sein mit mehr Offensive vorgetragener Gesang kochte die Begeisterung hoch. Lange musste das Publikum auf einen solchen Moment warten.
Es folgten Zugaben, darunter Leoncavallos unverwüstliche „Mattinata“ und Giordanos „Amor ti vieta“ aus „Fedora“ in lyrischer Ausführung. Kaufmanns Interpretation von „Non ti scordar di me“ von de Curtis gelang anrührend. Das Publikum applaudierte lange und laut.
Insgesamt war der Konzertabend in der Alten Oper Frankfurt ein eher ambivalentes Erlebnis. Jonas Kaufmann und die italienische Oper wirkten in manchen Teilen etwas a-synchron. Kaufmann kultiviert deutlich seine Kontrolle und Selbstbeherrschung, die ihn zuweilen etwas steif und vorhersehbar ob seiner Wirkung zeigte. Anstelle, die Stimme voll tönend strömen zu lassen, suchte er an diesem Abend zu oft in seltsam gesäuselt klingenden Piano Färbungen Zuflucht. Dies gab seinem Vortrag einen Hauch von dozierter Künstlichkeit. Spontaneität und Risikobereitschaft blieben weithin ausgespart. Freie Emotionalität und Tenorgesang mit intensivem Schmelz zeigte sich allzu selten, erst in den Zugaben wirkte er lockerer und gelöster. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder war gut auf seinen berühmten Solisten eingestellt und begleitete Jonas Kaufmann vorbildlich. Das Orchester spielte sehr klangschön und variabel in den Stilrichtungen. Dirigent Jochen Rieder bremste leider den Klangkörper immer wieder zu deutlich ab, was bedauerlich war, denn das Orchester war ein wesentlicher Aktivposten des Abends.
Die Fans von Jonas Kaufmann kamen auf ihre Kosten und spendeten ihrem Idol reichen Beifall und Geschenke.
Dirk Schauß, 23. Mai 2023
Alte Oper Frankfurt
21. Mai 2023
Verdi und Verismo
Jonas Kaufmann
Staatliche Philharmonie Rheinland-Pfalz
Jochen Rieder, Leitung