Dessau: „Der Freischütz“

Ein romantisches deutsches Opernmärchen in Dessau

Premiere am 26.10.2018, besuchte Aufführung 24.03.2019

Die „erste deutsche Nationaloper“, eine rein deutsche Oper, begeistert auch heute noch nach fast 200 Jahren die Zuschauer

Vor zwei Jahren, als ich das erste Mal in Dessau war, hatte ich mir vorgenommen, auf jeden Fall wiederzukommen und es hat sich diesmal fast noch mehr gelohnt. Diesmal hatten wir das wunderschöne Haus „Elbterrassen zu Brambach“ völlig für uns, wir hatten es einfach „vollgebucht“. Ein wunderschönes Ambiente, so richtig zum Wohlfühlen, ein überaus netter und freundlicher Wirt, dem sein Personal in nichts nachstand, ein exzellentes Essen und ein, zwar etwas kühles, aber doch recht schönes und trockenes Wetter waren die tollen Nebenbeigaben bei unserem Besuch, die diese Fahrt abrundeten. Eine hochinteressante Stadtführung durch das wunderschöne Dessau am nächsten Tag schloss den Kreis unseres zweitägigen Aufenthaltes auf das vorzüglichste. Und auch das Versprechen im übernächsten Jahr wieder die Fahrt von Bamberg nach Dessau zu wiederholen. So viel kann man in dieser, doch etwas beschaulichen Stadt erleben und sehen. Am Spätnachmittag des ersten Tages gingen wir dann in das so wunderschöne und beeindruckende Anhaltische Theater Dessau um uns eine der urdeutschesten Opern, die kurz nach Ihrer Premiere am 18.06.1821 im Konzerthaus Berlin von der damaligen Presse schon als „erste deutsche Nationaloper“ bezeichnet wurde, anzuhören.

Die Handlung kurz zusammengefasst sieht den Jägerbuschen Max, verliebt in die Tochter des Försters vor einem Probeschuss stehen, den er vor der Hochzeit abgeben muss, damit der Fürst in die Ehe einwilligt. Ein zweiter Jägersbursch, Kasper möchte auch gerne Agathe, die Tochter für sich gewinnen und er, ein recht böser Patron hat einen Pakt mit dem Teufel Samiel. Er überredet Max, der vor dem Probeschuss fast nichts mehr trifft und verzweifelt ist, sogenannte Freikugeln in der Wolfsschlucht zu gießen. Von diesen treffen sechs stets ihr Ziel, die 7te aber gehört dem Satan. Kaspar möchte, dass diese letzte Kugel Agathe trifft und Max vor Verzweiflung sein Leben beendet. Der Himmel will es anders, ein Eremit lenkt die Kugel ab. Zwar fällt Agathe nach dem letzten Probeschuss zu Boden, aber nur aus Schreck, die Kugel trifft den bösen Kasper und Max und Agathe finden endlich zusammen, nachdem sich auch hier der Eremit einsetzt und auch den unseligen Probeschuss abschaffen lässt.

Die Inszenierung liegt in den Händen von Saskia Kuhlmann, und im Gegensatz zu manchem Kritikerkollegen, gefällt mir diese Inszenierung recht gut. Der böse Samiel ist hier eine Frau, mit roten Haaren und ebensolchem Samtkleid und vielleicht etwas zu großem theatralischem Auftreten. Aber das geht für mich gerade noch durch, auch wenn dieser Teufel nicht sonderlich angsteinflößend erscheint. Und auch das Bühnenbild, mit einem schnörkellosen versetzbarem Holzaufbau ist ohne Probleme zu akzeptieren. Dass die Wolfsschluchtszene nicht so daherkommen kann, wie ich sie z.B. vor einigen Jahren auf der Felsenbühne in Wunsiedel sensationell erleben durfte, ist ja wohl klar. Man hat hier auch auf der Bühne viel mit visuellen Dingen gearbeitet, die verschiedenen Videosequenzen reißen einen zwar nicht vom Hocker, bringen die Geschichte jedoch voran und sind auch in diesem Zusammenhang voll zu akzeptieren. Es ist keine Inszenierung, die mich in Begeisterungsstürme ausbrechen lässt, aber durchaus eine akzeptable und für die Bühne in Dessau auch völlig in Ordnung gehend. Die Kostüme von Katja Schröpfer sind bunt, teilweise grell aber völlig angepasst, wenn man von dem Einfall des Samiels bzw. der Samiela (also der Teufelsdame) einmal absieht, der mich auch nicht so sonderlich beeindruckt hat. Es ist alles recht gefällig anzusehen und der damaligen Zeit angepasst, was ich persönlich immer als sehr vorteilhaft empfinde. Gut, wenn man auch über Inszenierung, Videoeinspielungen (Angela Zumpe) und Bühne (Dietrich von Grebmer) diskutieren kann und sich eine Menge andres vorstellen könnte, es bleibt für mich eine akzeptable Darbietung, die natürlich sicherlich diskussionswürdig ist. Aber mit Sicherheit kein Ausfall. Kaum Diskussionsbedarf dürfte es jedoch bei den musikalischen und gesanglichen Leistungen geben. Hier macht auch dieser Freischütz eine wahrhaft ausgezeichnete Figur und es gibt praktisch keinen Ausfall zu bedauern.

Ulf Paulsen, Ray M. Wade jr

Die wie immer vorzüglich aufgelegte Anhaltische Philharmonie Dessau zeigt wieder einmal ihre ganze Klasse. Voller Leidenschaft, die Klangfülle Webers bis ins letzte auskostend, zart zurückhaltend, wenn es erforderlich ist und drängend leidenschaftlich, wenn die Musikwogen herunterprasseln und sich aufbäumen. Die musikalische Leitung liegt in den Händen des in Schwäbisch-Hall geborenen Markus L. Frank, der zu keiner Zeit irgendwelche Schwächen erkennen lässt und der sein Orchester völlig im Griff hat. Er lässt es drängend und teilweise gewaltig aufspielen und nimmt die Klangfülle aber dort wieder gefühlvoll zurück, wo es eventuell die Sänger zudecken könnte. In jedem Finger seiner Hand spürt man die Leidenschaft zur Musik und das Orchester folgt ihm willig und in toller Manier. Eine Leistung, die sich vor keinem Klangkörper im weiten Rund verstecken müsste. Sehr gut auch der von Sebastian Kennerknecht einstudierte Chor, verstärkt durch den Extrachor des Anhaltischen Theaters Dessau. Gerade in dieser Oper hat der Chor eine dominante Stellung, sei es beim „Jägerchor“ oder beim „Jungfernkranz“. Effektvoll, stimmgewaltig und auch mit einer Darbietung, die erkennen lässt, wieviel Spaß es den Sängern macht, in dieser urdeutschen Oper zu agieren.

Und damit kommen wir zum eigentlichen Prunkstück dieser Aufführung, den Sängern der romantischen Oper. Und hier muss ich zugeben, dass man es viel besser als an diesem Spätnachmittag kaum machen kann. Ausnahmslos kommen nicht nur in den Hauptpartien exzellente Leistungen heraus, auch bis in die kleinsten Nebenrollen gibt es keinerlei Ausfälle, und dies ist heutzutage leider nicht mehr überall so. Als Agathe, die Tochter von Kuno, dem fürstlichen Erbförster, der von Cezary Rotkiewicz ohne Fehl und Tadel dargeboten wird, erlebt man Kammersängerin Iordanka Derilova. Und sie, die in Sofia geborene Ausnahmesängerin ist ein Urgestein aus Dessau. Seit 2003 ist sie eine der Stützen dieses Opernhauses und es ist bewundernswert, mit welcher Gleichmäßigkeit sie sich ihre stimmliche Brillanz über alle die Jahre erhalten konnte. Mit durchschlagskräftigem, kraftvollem und stimmschönem Sopran gestaltet sie diese Rolle bis in die letzte Phaser und kann darstellerisch aus dem reichen Schatz der Erfahrung schöpfen. Sie singt die Partie der Agathe nicht, nein sie gestaltet sie, schöpft sie bis auf den letzten Tropfen aus und bietet eine brillante überzeugende Leistung, Als ihr Geliebter Max agiert der aus Texas stammende und seit gut zwei Jahren in Dessau befindliche Tenor Ray M. Wade, jr..Er bewältigt die nicht gerade sehr leichte und von vielen Tenören gefürchtete Partie mit überzeugenden stimmlichen Mitteln. Sein warmer, geschmeidiger und hell timbrierter Tenor kann kraftvolles Forte mit leuchtenden Spitzentönen als auch ein gefühlvolles Zurücknehmen der Stimme für sich verbuchen. Gestalterisch ist er immer noch ein bisschen unbeweglich, was aber gerade bei der Figur des Jägerburschen nicht unbedingt von Nachteil ist.

Iordanka Derilova, Ray M. Wade jr, Cornelia Marschall

Der boshafte Jägersbursche Kaspar wird von Kammersänger Ulf Paulsen geradezu zelebriert. Der in Bremervörde bei Hamburg geborene Prachtbariton ist ebenfalls schon seit 2001 in Dessau und von der Bühne in Dessau nicht mehr wegzudenken. Mit sattem, gefühlvollem, manchmal auch schneidendem und gewaltigem Bariton lebt er diese Partie regelrecht aus, er ist einer, dem nichts widerstehen kann, glaubt er wenigstens. Völlig unangestrengt, endlos kraftvoll und mit einem immer präsenten durchschlagskräftigen Bariton versehen weiß er das Publikum, wie seine beiden Partner für sich einzunehmen. Dass er auch darstellerisch eine Ausnahmeerscheinung ist, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen. Das einzige, was mich an diesem Spätnachmittag etwas stört, ist seine Aufmachung. Die etwas überdimensionale Rastermähne, die man ihm verpasst hat, so als kleiner Zottelteufel, ist nicht so unbedingt mein Ding. Aber das vergisst man in dem Moment, wo er wieder zu singen beginnt. Als vierte im Bunde ist Cornelia Marschall als Ännchen zu nennen, die in Berlin geborene Sopranistin ist auch schon seit 2006 in Dessau engagiert. Ihr lyrischer, stimmschöner und vor allem auch kraftvoller glühender Sopran beeindruckt, sie brilliert mit mühelos gesungenen Spitzentönen und einer ebenfalls überdurchschnittlichen Spielfreude. Diese vier auf der Bühne zu erleben, macht einfach nur Spaß. Als Fürst Ottokar macht Kostadin Argirov eine gute Figur, ebenso David Ameln als Kilian, ein reicher Bauer und ebenso wie die vier Brautjungfern, die von Grazyna Fenger, Jeannette Spexárd, Alexandra Joel und Sabine Jeschke verkörpert werden. Dazu gesellen sich noch Stephan Biener und Alexander Nikolic als zwei Jäger. Als Samiel ist Constanze Wilhelm zu erwähnen, die ihre Sache recht gut macht, wenngleich mir dieser Regieeinfall aus dem „Schwarzen Jäger/Satan“ eine Frau zu machen nicht so gut gefällt. Besonders erwähnt sei aber noch der Eremit, der von dem in Südkorea geborenen Don Lee verkörpert wird. Er beeindruckt mit seinem stimmgewaltigem, kräftigem und stimmschönem gewaltigen Bass und man möchte gerne größere Rollen von ihm erleben. Eine ganz ausgezeichnete Leistung.

Iordanka Derilova

Am Ende ein begeisternd applaudierendes Publikum, welches die Darsteller mehrfach auf die Bühne zurückruft und mit dem verdienten Applaus fast nicht aufhören möchte. Eine beeindruckende Aufführung, die trotz einiger kleiner Haken zu einem recht eindrucksvollen Erlebnis geworden ist. Dessau wird mich mit Sicherheit wiedersehen.

Manfred Drescher 30.03.19

Bilder Claudia Heysel