Dessau: „Hoffmanns Erzählungen“



25.12. 2019. Neuinszenierung

Die Neuinszenierung (Prem. 25.10.19) aus Dessau zeigt vielleicht exemplarisch, wie heutige Regisseure immer stärker in die Dramaturgie dieser einzigen, eigentlich im Stil der Pariser Grand opera komponierten Offenbach-Oper vordringen. Was natürlich auch auf die phantastischen Erlebnisse, die E.T.A.Hoffmann in seinen Geschichten wiedergegeben hat, und die besonders in Frankreich auf breites Interesse gerade auch in den unteren Bevölkerungsschichten gestoßen sind, zutrifft. Die Musik hat Offenbach dann aber eher realistisch und unter Zeitdruck auf das vorher existente Schauspiel von Carré und Barbier komponiert. Beim Giulietta-Akt verstarb der Maestro dann, konnte ihn nicht, und damit die gesamte Oper, vollenden. In Dessau hat man jetzt die Fritz Oeser Fassung von 1977 gespielt, in der viele Eingriffe von fremder Hand entfernt wurden. Die Rolle de Niklausse wurde hier von der Muse (Akt 1 & 5) komplettiert, der in den ‚Abenteuern‘ in der Hosenrolle auf den Dichter einwirken will. Die Barcarole sowie weitere Teile im Giulietta-Akt wurden aus seiner erst postum gespielten ‚Rheinnixen‘-Oper hinzugefügt und hier in einer längeren Fassung als üblich gespielt.

Die starke Leitung hatte die Griechin Elisa Gogou inne, die die Anhaltische Philharmonie wie eine Harfe im Griff hatte. Der durch komplexe Akkorde markierte Anfang medias in res auf der Hinterbühne mußte wiederholt werden, da der Vorhang zur Vorstellung ‚Don Giovanni‘ zuerst nicht aufging, wo Hoffmanns Geliebte Stella die Donna Anna singt. Offenbach beschränkt ja sein Orchester in der Oper weitgehend aufs Begleiten. Das konnten die Anhaltiner ganz vorzüglich. Und Elisa Gogou brachte dabei das schwungvolle Element in hohem Ausmaß hinein und ließ besonders in den Innenakten romantisch-phantastisch aufspielen. Die Cello-Soli im Antonia Akt kamen sehr expressiv, und die sich immer wieder einstellenden Walzer wurden fast bis zur Raserei ausgekostet.

Das Team um Roman Hovenbitzer (Regie) hat einen dreigeteilten Raum konzipiert. Ganz hinten Bühne und Zuschauerraum im üppigen Barock- Logenstil, davor die Hinterbühne, auf der die Mittelakte spielen, und auf der Vorbühne eine Art schwarzes Brett für die mitspielenden Bühnenarbeiter, und vorne mittig ein kleines Guckkastentheater, in das vor den Akten von Hoffmann und der Muse/Niklausse immer das entsprechende Bühnenbild und die jeweils agierenden Personen eingestellt wurden. (Bühne: Hermann Feuchter)

Die Gestalt des Hoffmann wurde gedoppelt. Neben dem Sänger trat als ‚Hoffmanns Alter Ego‘ der lang gewachsene Tino Kühn auf und hatte den rezitierenden Part inne, wobei er öfter aus Hoffmanns Originalschriften Zitate auch in die Musik hineinsprach. Mit der Verdoppelung sollte besonders auf den Unterschied des erzählenden und des in der Oper handelnden Hoffmann hingewiesen werden. Die Puppe Olympia kommt in einem großen Holzpaket mit Sichtfenster an. Hoffmann ist, wenn er hineinschaut, gleich hin und weg. Köstlich, wie Spalanzani die agierende Puppe immer wieder, von starkem Schnarchen begleitet, aufzieht. Die Muse, die im 1.Akt hinter der Bühne als Raumpflegerin fungiert, mischt sich hier immer wieder stark ins Geschehen ein, will Hoffmann Tips geben etc. Im Antonia-Akt spielt sie in weißen Turnstiefeln, und Lederjacke (Kost.: Judith Fischer) auf der Geige. Antonia wird sogleich nach ihrem Ableben von sechs Männern mit schwarzen Zylinderhüten in einen Sarg gelegt und herausgetragen. Es spielen auch viele Antonia-Puppen, wie Antonia selbst in roten Kleidchen, eine Rolle. Über dem Giulietta Akt steht in großen Lettern CITY CENTER, wohl eine Anspielung auf ein in Dessau gerade im Bau befindliches. Die Szene Hoffmann – Giulietta spielt sich auf einer knallroten Chaiselongue ab, und es wird dabei auch immer wieder Geld in die Luft geworfen. Das Spiegelbild wird irgendwie magisch gewonnen, von einem Video von Sabine Graichen überblendet. Giulietta tritt in einem goldenem Schuppenpanzer-Kleid samt Helm auf, Hoffmann in schwarzem Seidenanzug. Am Ende der D.Giovanni-Vorstellung kommt Stella in einem beigen Ensemble auf die Hinterbühne, und Niklausse hat sich wieder in die Raumpflegerin verwandelt.

Der Chor samt Extrachor trumpft mit guten Parts in allen Akten auf und ist voll ins Geschehen involviert. Pianist auf der Bühne ist Sebastian Kennerknecht. Den Schlehmil gibt mit Applomb Kostadin Agirov, Nathanael & Cochenille Alexander Dubnov. Den Luther und den Crespel steuert Don Lee mit elastisch wohllautendem Bariton bei. Antonias Mutter gibt Rita Kapfhammer mit starkem Mezzo und mit zur Tochter kontrastierendem Kleid. Den Andres, Spalanzani, Franz & Pitichinaccio gibt David Ameln als eindringlich timbrierter Tenorbuffo. Die Muse/Niklausse ist Mireille Lebel, spielt wacker und singt mit ausdrucksreichem Mezzo. Die ‚Bösewichter‘ Lindorf, Coppelius. Mirakel, Dapertutto gestaltet Ulf Paulsen mit äußerst prägnantem, dunkelfärbig voluminösem Baßbariton. Dabei ist er öfter wie ein Schamane eingekleidet. Auch die 4 Frauenrollen werden hier von einer Sängerin bewältigt. was ja Sinn macht, da Stella die Inkarnation aller Facetten ihrer Schwestern Olympia, Antonia & Giulietta sein soll. Netta Or singt sie alle mit Bravour. Wobei Giulietta ihr m. E. am besten gelingt, da sie bei ihr all ihren Sopranschmelz hineinlegen kann. Aber auch in den wahnwitzigen Koloraturen Ölympias überzeugt sie. Und die Antonia muß ja für jede Sängerin ein gefundenes Fressen sein, wo sie sich mal so richtig in ihrer ureigensten Rolle quasi ‚zu Tode‘ singen darf.

Den Hoffmann gibt Jason Kim mit wirklich schön timbriertem Tenor engagiert und höhensicher.

Friedeon Rosen, 4.1.2019

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(c) Anhaltisches Theater Dessau