Graz: „Le Cinesi“

30. Juni 2018, Helmut List Halle & Glücksgarten

Fest für Maria Theresia mit Glucks Oper

Die styriarte schreibt auf ihrer Homepage :

Die Helmut List Halle, wo wir 2018 mit dem Fux.OPERNFEST in eine neue Zukunft aufbrechen (der OF berichtete – siehe unten), bekommt mit diesem Garten für die Dauer der styriarte 2018 einen Wohlfühlplatz dazu. Teile unserer Produktionen spielen direkt in diesem Garten, und immer lädt er in unseren Konzertpausen und nach den Vorstellungen zum Verweilen, zum Flanieren, zum Reden, zu einem kleinen Imbiss oder Drink ein.

Das Konzept ist durchaus klug und praxisorientiert:

Man fügt selten gespielte, klein besetzte Werke mit geringem szenischem Aufwand unter einem Motto zusammen. Intendant Mathis Huber sagte in einem Interview : Man soll Leute mit seinen Projekten nicht belehren, sondern sie unterhalten. Und indem man sie in eine angenehme Situation bringt, öffnet man sie für Ideen, denen sie sich sonst verschließen würden.

Und das Publikum kommt in erfreulich großer Zahl, genießt schon vor Vorstellungsbeginn in dem in einem Zelt aufgebauten und von einem Haubenkoch betriebenen Restaurant „Im Glücksgarten“ ein styriarte-Menü (vom Berichterstatter bereits ausprobiert und mit Überzeugung weiterempfohlen!), tritt dann in den Garten und erfreut sich an einer Joseph Haydn zugeschriebenen Feldparthie – animiert und frisch gespielt.

Der berühmteste Satz dieses Divertimentos, das in der ursprünglichen Besetzung mit zwei Oboen, zwei Hörnern, drei Fagotten und Serpent erklang, ist jener Chorale St. Antoni, den Brahms später als Thema seiner Haydn-Variationen unsterblich machte. Weder weiß man, ob das Divertimento wirklich von Haydn stammt, noch, was es mit dem eigenartigen Choral auf sich hat. Im November 1870 fand jedenfalls Brahms das Divertimento bei einem befreundeten Haydnforscher in Wien und notierte sich das Choralthema, ungeachtet der Zweifel an der Echtheit, die schon damals bestehen mussten.

Nach dieser Einleitung wurde das Publikum in den Saal gebeten – und nun ging es um Maria Theresia. Im Programmheft ist zu lesen:

Im September 1754 kam es zu einem denkwürdigen Besuch des Kaiserpaars auf Schloss Hof in Niederösterreich, dem wir eine der schönsten Opernminiaturen des 18. Jahrhunderts verdanken: „Le Cinesi“ von Christoph Willibald Gluck. Der Titel heißt auf Deutsch „Die Chinesinnen“, denn ursprünglich hatte der Wiener Hofdichter Metastasio diese einaktige Oper für drei junge Frauen ohne männlichen Beistand geschrieben. Es waren keine Geringeren als die achtzehnjährige Maria Theresia, ihre jüngere Schwester und eine Hofdame. Dass die Kaiserin in ihrer Jugend leidenschaftlich gerne sang, war bekannt, und die Rolle der Chinesin Lisinga war ihr wie auf den Leib geschneidert. Inzwischen aber waren zwei Jahrzehnte ins Land gegangen. Aus der Erzherzogin war die Königin von Ungarn und Gemahlin des Kaisers geworden, und Antonio Caldaras Musik von 1735 hatte Patina angesetzt. Unvermindert populär war hingegen das Thema der Oper, die Chinoiserie, also die Imitation des reichen China in Kostüm, Dekor und Handlung. Im Rokoko der 1750er-Jahre hatte das Interesse daran eher noch zugenommen. Daher kam der Schlossherr in Schloss Hof auf eine geniale Idee, um das Kaiserpaar zu unterhalten: Er ließ „Le Cinesi“ von seinem Kapellmeister Gluck neu vertonen, ließ von Metastasio eine männliche Figur in die Handlung hineindichten und umgab das Ganze mit dem Flair grandioser Opernstimmen und einer unglaublich kostbaren Inszenierung.

Der damaligen Hofkapelle gehörte der 15-jährige Carl Ditters von Dittersdorf als Geiger an. Dieser hatte im Alter seine Memoiren verfasst und darin ausführlich über das Fest auf Schloss Hof berichtet.

Bevor die Gluck-Oper erklang, spielte also das Orchester recreationBAROCK unter der Leitung des jungen steirischen Dirigenten Erich Polz eine der griechischen Mythologie gewidmete Sinfonie von Dittersdorf. Der Styriarte-Dramaturg und Regisseur des Abends Thomas Höft trat auf in der von ihm so geliebten Rolle als Moderator, Präsentator – manche meinen wohl auch als institutionalisierter „Styriarte-Hofnarr“ – und trug zwischen den Sätzen der Sinfonie das entsprechende Kapitel aus den Dittersdorf-Lebenserinnerungen in der ihm eigenen überspitzten Manier vor (der Dittersdorf-Text ist übrigens im Internet hier vollständig verfügbar).

Der Dirigent sorgte bei Dittersdorf für ausgewogene musikalische Ruhe ohne je zu schleppen – besonders schön gelang der ruhige Beginn mit dem großen Oboen-Solo. Das Orchester spielte konzentriert und mit spürbarem Engagement. Die Dittersdorf-Sinfonie war jedenfalls ein musikalischer Höhepunkt des Abends.

Nach der Pause erklang dann die Gluck-Oper, das Auftragswerk für Maria Theresia. Die Handlung wurde nicht durch die Rezitative vermittelt (man schaue sich den umfangreichen Text im Originallibretto an), sondern durch den auf offener Bühne zum pittoresken Chinesen eingekleideten Erzähler Thomas Höft. Das ist an sich eine sehr plausible Idee – endlose italienische Rezitative ermüden den heutigen Hörer. Aber die mit manieriertem Genuss vorgetragene Textfassung – inklusive Einbau der MeToo-Debatte – sorgte für eher platten Humor. Die Sängerbesetzung war gut, aber nicht außergewöhnlich – Elisabeth Breuer führte als höhen-und koloraturensichere Silvene das Damentrio sicher an, Monika Schwabegger als Lisinga und Anna Manske als Tangia waren stilsichere und spielfreudige Mezzos, aber eigentlich sieht die Partitur Contraltos vor und so hatten sie beide ein wenig mit der Tiefe zu kämpfen. Ganz kurzfristig war der isländische Tenor Benedikt Kristjánnsson eingesprungen – er machte seine Sache ausgezeichnet. Die Kostüme von Lilli Hartmann waren köstlich und gebührend prächtig – warum das Stück allerdings in einem derart hässlichen Bad spielen muss, erschloss sich mir nicht.

Insgesamt war das Ganze doch allzu vordergründig-klamaukhaft umgesetzt. Dazu kamen leider bei Gluck auch musikalisch so manche nicht zu überhörende Koordinierungsprobleme zwischen Orchester und Solisten. Es war ein heiterer, ein vergnüglicher Abend – weder bei der Solisten-, noch bei der Orchesterbesetzung darf allerdings einen Qualitätsvergleich zur Fux-Eröffnung anstellen.

Hermann Becke, 1. 7. 2018

Fotos: Styriarte, © Werner Kmetitsch

Hinweise:

– Auf Youtube finden sich interessante Vergleichsaufnahmen von Glucks Opernminiatur: im Jahre 2014 gab es am Uraufführungsort im Schloss Hof in Niederösterreich eine szenische Aufführung (übrigens auch damals mit Anna Manske als Tangia) – Sie finden die vollständige Aufnahme hier . Und im Jahre 2017 hat Fabio Bondi in Valencia das Werk konzertant aufgeführt – hier ist diese Aufnahme. Und dann gibt es noch die Audioaufnahme unter René Jacobs und der Schola Cantorum Basilienis u.a. mit Anne Sofie Otter – sie findet man auf der Website der Styriarte.