Graz: „Ritter Blaubart“

Vorstellung am 22. Juni 2013

Die Grazer Styriarte steht heuer unter dem Motto „Gefährliche Liebschaften“. Und da bietet sich natürlich die Story von Ritter Blaubart ideal an. Nikolaus Harnoncourt wagte sich über die Opéra-bouffe von Jacques Offenbach gleichnamigen Titels, im Original heißt das 1866 uraufgeführte Werk in vier Bildern Barbe Bleue. Für das Libretto sorgten einst keine Geringeren als Henri Meilhac und Ludovic Halévy, die (deutsche) Dialogfassung für Graz (gesungen wird hier in der französischen Originalsprache) stammt von Philipp Harnoncourt, der auch für die Inszenierung verantwortlich zeichnete (Kostüme Elisabeth Ahsef). Wobei die Regiearbeit im Programmheft als „halbszenisch“ bezeichnet wird, da in der Helmut-List-Halle kein richtiges Bühnenbild möglich ist. Allerdings ist das in diesem Fall eine Untertreibung, denn mit stimmigen und witzigen Hintergrundprojektionen, die an Verfilmungen von Comic-Strips erinnern, ergaben sich wunderbare Szenenbilder. Die Sänger agieren rund ums Orchester, bei den Sprech-Dialogen ging man bewusst auch einen improvisatorischen Weg, kein Wunder bei einer begrenzten Probenzeit von nur 10 Tagen!

Nikolaus Harnoncourt stützte sich penibel wie bei all seinen Arbeiten auf die Originalpartitur, die sich in Schweden befindet. Was dieser Ritter Blaubart ist, darüber waren sich auch die Offenbach-Experten lange nicht einig. Otto Schneidereit formulierte 1966 in seiner knappen Offenbach-Biographie, dass „der Blaubart sein eigentümlichstes, wohl großartigstes und jahrzehntelang missverstandenes Werk“ sei, „beinahe schon keine Operette mehr, sondern über die Grenzen dieser Kunstgattung in neue Bereiche vorstoßend!“ Die beißende Satire auf den Hof Napoleon III. wurde von Offenbach verwoben mit der Story des Ritter Blaubarts, der seine Ehefrauen ermorden ließ. Der König Bobèche (wie er bei Offenbach genannt wird) und der Ritter Blaubart (hier als eine Art Warlord mit eigener Armee dargestellt) ähneln sich, der eine ließ die vermeintlichen Liebhaber seiner Frau, der andere seine Ehefrauen ermorden. Bei aller Blutrünstigkeit des Plots ist dieses Stück aber beste Unterhaltung, denn Offenbach verwendet alle Klischees, die es zu seiner Zeit für Opernaufführungen gab, so genial, dass man aus dem Lachen nicht mehr raus kommt. Ein Witz und Humor, der im Filmgenre von den Marx-Brothers (z.B. A Night at the Opera) oder Monty Python gepflogen wurde.

Interessant ist auch die Aufteilung der Singstimmen: Der König wird nicht, wie sonst üblich, von einem profunden Bass, sondern von einem Charaktertenor gesungen. Wobei gesungen fast übertrieben ist, denn meist handelt es sich um Sprechgesang, was die Lächerlichkeit des einfältigen Herrschers noch mehr herausstreicht. Und auch der „Bösewicht“ Blaubart besitzt keine tiefe Stimme, sondern wurde für einen leichten Rossini-Tenor geschrieben. Was am Ende auch zur Folge hat, dass das Bauernmädchen Boulotte (auch sie ist kein glockenheller Sopran, sondern ein tiefer Mezzo) weiterhin Blaubarts Frau bleibt, denn er singt ja soooo schön. Im Hintergrund ziehen der Alchimist Popolani, der bei Blaubart unter Vertrag steht, und der Minister Graf Oscar die Fäden. Dazu gibt es noch eine als Kind weggelegte Prinzessin und ihren Liebhaber. Der ist aber in Wirklichkeit auch kein Schäfer, wie im Eröffnungsduett zu vermuten ist, sondern Prinz Saphir, auch wenn er von Markus Schäfer gesungen wird. Viel interessanter als der tatsächliche Handlungsstrang sind aber all die Anspielungen und Persiflagen, die den Abend trotz der Länge von 3 Stunden 20 Minuten zu einer kurzweiligen Unterhaltung machten.

Und gespielt wurde vom gesamten Team mit vollem Enthusiasmus. Harnoncourt fand von Beginn an mit dem Chamber Orchestra of Europe den perfekten Offenbach-Duktus. Im Mittelpunkt der Solisten stand natürlich Elisabeth Kulman, die in ihren Dialogen einen interessanten steirisch-burgenländisch-wienerischen Dialekt auspackte. Die sonst eher in hochdramatischen Rollen auf der Bühne agierende Mezzo-Sopranistin bewies als das resolute Bauernmädchen Boulotte, dass ihr die Schuhe der berühmten Hortense Schneider (die unvergleichliche Diva sang im 19. Jahrhundert diese Rolle in Paris) nicht zu groß waren! Erstaunlich wie sich Kulmans Stimme trotz Fricka und Co. Geschmeidigkeit und Frische bewahrt hatte. Positiv überrascht wurde ich von Johannes Chum in der Titelrolle. Der Steirer (übrigens im September als Lohengrin an der Grazer Oper zu hören) verfügt über eine flexible, lyrische Tenorstimme ohne Höhenprobleme. Ein ganz spezielles Bravo für Sébastien Soulès: Der Bassbariton konnte mit der dankbaren Rolle des Popolani voll punkten, da ihm diese Tessitura ideal liegt und er seine körperliche Fitness dabei voll ausspielte. Wesentlich blasser blieb Thomas E. Bauer als Graf Oscar, was einerseits dem doch etwas spröden Timbre seiner Baritonstimme, aber auch der undankbareren Rolle zuzuschreiben war. Beim jungen Liebespaar Fleurette/Saphir überwogen die positiven Eindrücke: Gesanglich gestalteten beide fein, Sophie Marin-Degor setzte auch darstellerisch Akzente, als sie blitzschnell das Blumenmädchen hinter sich ließ und sofort als überhebliche Prinzessin die Kehrseite der Medaille zeigte.

Für Markus Schäfer gab einfach die Rolle nicht mehr her, sein heller Tenor blieb aber angenehm in Erinnerung. König und Königin waren bei Cornel Frey und Elisabeth von Magnus in bewährten Händen. Ein Extra-Vorhang für den Arnold Schoenberg Chor (Einstudierung Mihal Kucharko), der nicht nur alle Massenszenen zu einem Erlebnis machte, sondern aus dessen Reihe auch einige Soloparts besetzt wurden. So waren die fünf ermordeten Frauen Blaubarts in der (besonders gut gelungenen) Kerkerszene fünf Chorsängerinnen anvertraut, die ihre Sache so perfekt machten, dass sie hier genannt sein sollen: Shirin Asgari, Kathryn Humphries, Birgit Völker, Irena Krsteska und Carmen Wiederstein. Noch ein Wort zum Thema Sponsoren und Finanzierung von Festspielen: Dass der Sponsor einer Aufführung im Textbuch vorkommt, ist wohl nicht häufig der Fall, wurde aber hier so geschickt gemacht, dass man darüber „Raiffeisen“ gar nicht böse sein konnte. Jubel für das komplette Team!

Fotocopyright: Werner Kmetitsch/Styriarte

Ernst Kopica