Heidelberg: „Die Zauberflöte“

Besuchte Aufführung: 25.9.2016, Premiere: 23.9.2016

In einer gespaltenen Welt

Sie ist etwas für die ganze Familie, die neue „Zauberflöte“ am Theater der Stadt Heidelberg. Regisseur Maximilian von Mayenburg hat sie in Zusammenarbeit mit Tanja Hofmann (Bühnenbild) und Sophie du Vinage (Kostüme) mit viel Liebe und Sinn für Poesie auf die Bühne des Heidelberger Theaters gebracht. Herausgekommen ist eine recht ansprechende, zeitlos anmutende und schlichte Produktion, die jeder Altersstufe gerecht wird. Insbesondere über die prachtvollen bunten Kostüme erschließt sich dem Zuschauer das Märchenhafte der Handlung. Dem Auge wird wahrlich viel geboten, und auch der neugierige Intellekt wird befriedigt. Ernste und heitere Momente wechseln sich ab. Diese gekonnte Mischung verschiedener Elemente vermochte voll und ganz zu befriedigen.

Rinnat Moriah (Königin der Nacht), Namwon Huh (Tamino), Irina Simmes (Pamina), Wilfried Staber (Sarastro)

Das Bühnenbild besteht aus einer zu Beginn noch geschlossenen, treppenförmig ansteigenden Halbkugel, aus deren Spitze ein Baum aufragt. Sehr ästhetisch mutet der blaue Hintergrund an. An die Stelle des Sonnenkreises tritt ein Apfel, der einsam an einem der Zweige hängt. Wenn sich der Vorhang öffnet, bietet sich dem Betrachter ein Bild vollendeter Harmonie. Zärtlich aneinander geschmiegte Liebespaare und Tiere leben in Eintracht zusammen. Unter ihnen befinden sich auch Tamino und Pamina, Sarastro und die Königin der Nacht. Der Frieden währt aber nicht lange. Die sternenflammende Königin und der Führer der Eingeweihten beginnen um den gepflückten Apfel zu kämpfen. Sarastro vermag den Streit für sich zu entscheiden. Hier haben wir es von der christlichen Perspektive her gesehen gleichsam mit dem Sündenfall zu tun, der die Welt aus dem Gleichgewicht bringt. Pamina und Tamino werden auseinandergerissen und die Halbkugel zerbricht in zwei Teile.

Namwon Huh (Tamino)

Im Folgenden trennt ein Abgrund die beiden Welten. Auf der einen Seite leben Sarastro und seine weiß gekleideten Priester, die ihre Weisheit aus mehreren Bücherstapeln beziehen, auf der anderen die Königin der Nacht samt gleich ihr schwarz gekleidetem Gefolge und ihren in bunten Gewändern auftretenden drei Damen. Von Mayenburgs Intention besteht darin, eine gespaltene Welt aufzuzeigen. Diese Trennung tut allen Beteiligten nicht gut. Tamino und Pamina obliegt es im Folgenden, die Einheit wieder herzustellen. Die Liebe als alles verbindende Element soll es richten. Auch die eifrig zwischen den Bereichen hin und her pendelnden drei Knaben, die hier anstelle Taminos und Papagenos die Zauberflöte und das Glockenspiel spielen, haben ihren Anteil daran. Sie verkörpern gleichsam ein übergeordnetes Prinzip, das beiden Welten nur Positives bringt. Ihre Aufgabe ist es, alles was die Menschen irgendwie bedrückt, auszuschalten.

Irina Simmes (Pamina), Rinnat Moriah (Königin der Nacht)

Ein häufig ins Spiel gebrachter Kritikpunkt an Mozarts „Zauberflöte“ ist der Bruch, der sich durch das Werk zieht. In der Tat ist es schwer nachzuvollziehen, dass die zuerst gute Königin der Nacht auf einmal böse und der als maliziös eingeführte Sarastro unvermittelt gut wird. Dieser Einwand ist durchaus berechtigt. Dieser Bruch spielt aber in von Mayenburgs Deutung eine wichtige Rolle. Das wird zu Beginn des zweiten Aktes bei Sarastros Rede offenkundig. Die Königin der Nacht, für die Mozart und Schikaneder hier eigentlich gar keinen Auftritt vorgesehen haben – auch an anderen Stellen wartet der Regisseur mit vortrefflichen Tschechow’schen Elementen auf -, nimmt an der Versammlung der Priester teil und übernimmt sogar einige der ursprünglich Sarastro zugedachten Worte. Zur Kittung des Bruchs wird hier eine Einigkeit unter den Kontrahenten beschworen, die indes letztendlich nicht eintritt. Interessant ist dieser Einfall allemal.

Ipca Ramanovic (Papageno)

Das Innovative des Stücks wird vom Regisseur insgesamt trefflich herausgearbeitet. Aber auch der unterhaltende Faktor kommt nicht zu kurz. Es wird flott durchinszeniert. Leerläufe entstehen nie, Langeweile kommt an keiner Stelle auf. Insgesamt haben wir es mit einer vergnüglichen Angelegenheit zu tun, die dennoch auch einige weitere Kritikpunkte am Inhalt der Oper aufweist. Eine überraschende Aussage gelingt von Mayenburg bei der Hallenarie, die er teilweise auf den noch anwesenden Monostatos bezieht. Den Passus „Wen solche Lehren nicht erfreun, verdienet nicht ein Mensch zu sein“, wird von ihm negativ interpretiert. Und das zu Recht. Das Fazit scheint zu sein: Wer meinen Lehren nicht folgt, hat hier nichts zu suchen. In diesem Sinne wird der im Gegensatz zu dem ein buntes Federkleid tragenden Papageno mit einem schwarzen Krähengewand versehene Mohr rüde in seine Schranken verwiesen. Anschließend werden ihm auf Befehl Sarastros einige Federn ausgerissen, was ihm deutlich hörbar Schmerzensschreie entlockt. Hier offenbart sich eine durch und durch unangenehme Seite des Führers der Eingeweihten. Da vermag sich sogar eine Spur von Mitleid für Monostatos im Zuschauer zu regen. Einem Menschen Liebe zu verweigern, ist wirklich nicht schön. Dass sich der Mohr sehr danach sehnt, wurde bereits früher deutlich, als er das Es-Dur-Duett zwischen Pamina und Papageno „Bei Männern, welche Liebe fühlen“, belauschte und am Ende einen starken Seufzer von sich gab. Zudem wird hier die Frauenfeindlichkeit der Priester angeprangert. Die sonst männlichen Sklaven sind bei von Mayenburg weiblich. Man merkt, nicht nur der Königin, auch Sarastro sind nicht unerhebliche böse Charakterzüge eigen. Ihre Zwietracht bezahlen sie am Ende mit ihrem Leben. Beider Tod hebt die Spaltung des Bühnenbildes indes auf. Der Abgrund wird geschlossen und die Halbkugel erscheint wieder als Ganzes. Die beiden Welten sind erneut vereint. Ein neues, hoffentlich besseres Zeitalter bricht an.

Knabe, Irina Simmes (Pamina), Namwon Huh (Tamino)

Nun zur gesanglichen Seite. Bei dem Tamino von Namwon Huh waren insbesondere Phrasierung und Linienführung positiv zu beurteilen. Allerdings singt der junge Tenor nicht im Körper, weswegen seine Stimme nicht gerade sonor und tiefgründig klingt. In dieser Beziehung war ihm Irina Simmes in der Rolle der Pamina weit überlegen. Diese prachtvolle Sängerin zog mit warmem, bestens fokussiertem und stets ausgeglichen wirkendem Sopran sämtliche Register ihrer Rolle, die sie insgesamt sehr differenziert und nuancenreich sowie mit enormem lyrischen Glanz anlegte. Mit großer Koloraturgewandtheit, flexibler Stimmführung und mühelos bis zum f’’’ reichenden Spitzentönen bei untadeligem Stimmsitz wartete Rinnat Moriah als Königin der Nacht auf. Darstellerisch sehr wendig und lustvoll agierend gab Ipca Ramanovic den Papageno, den er mit bestens gestütztem, kräftigem Bariton auch hervorragend sang. Einen volltönenden, markanten Bass brachte Wilfried Staber für den Sarastro mit. Imposantes Heldenbariton-Material zeichnete den Sprecher von James Homan aus. Die drei Damen von Hye-Sung Na, Polina Artsis und Ks Carolyn Frank bildeten einen homogenen Gesamtklang. Solide sang Regine Sturm die Papagena. Mit stark maskiger Tongebung stattete Ks Winfrid Mikus den Monostatos aus, den er indes trefflich spielte. Als die drei Knaben bewährten sich Klara Löhr, Stella Rembalski und Ricarda Schmitt vom Kinder- und Jugendchor des Theaters und Orchesters Heidelberg. Lediglich durchschnittlich klangen Adrien Mechler, David Otto und Zachary Wilson in den Partien der drei Priester. Mit kraftvoller Tongebung machten die beiden Geharnischten von Sang-Hoon Lee und Michael Zahn auf sich aufmerksam. Gut gefiel der von Anna Töller und Ines Kaun einstudierte Chor und Extrachor des Theaters und Orchesters Heidelberg.

Polina Artsis (Zweite Dame), Hye-Sung Na (Erste Dame), Ks Carolyn Frank (Dritte Dame), Rinnat Moriah (Königin der Nacht), Wilfried Staber (Sarastro), Opernchor und Extrachor

Eine glänzende Leistung ist GMD Elias Grandy zu bescheinigen, der zusammen mit dem bestens disponierten Philharmonischen Orchester Heidelberg einen von Anfang an prägnanten Ton in insgesamt recht flüssigen Tempi anschlug. Bei einer abwechslungsreichen dynamischen Skala wartete er zudem mit mancherlei Zwischentönen auf und zeigte sich auch in der Herausarbeitung der vielen orchestralen Farben sehr versiert.

Ludwig Steinbach, 26.9.2016

Bilder (c) Theater Heidelberg / Annemone Taake / Susanne Reichardt