Regensburg: „Hans Heiling“

Premiere: 19.9.2015

Unter der Knute des Kapitalismus

Nur eine Woche nach dem Theater an der Wien in der österreichischen Hauptstadt kam auch in Deutschland eine Neuproduktion von Heinrich Marschners Oper „Hans Heiling“ heraus, und zwar am Theater Regensburg. Es ist diesem kleinen Theater, das immer eine Fahrt wert ist, hoch anzurechnen, dass es dieses äußerst reizvolle Stück ausgegraben hat. Hier haben wir es mit einer echten Rarität zu tun, die dann auch auf großes Interesse seitens des zahlreich erschienenen Publikums gestoßen ist. Der Zuschauerraum war an diesem Abend gut gefüllt.

Michaela Schneider (Anna), Adam Kruzel (Hans Heiling), Matthias Laferi (Nicklas)

Der „Hans Heiling“ stellt neben Marschners etwas öfter aufgeführtem „Vampyr“ eines der zentralen Opernwerke in der Übergangsphase zwischen Carl Maria von Weber und Richard Wagner dar. Das Libretto besorgte Eduard Devrient, der bei der Uraufführung am 24.5.1833 auch die Titelrolle sang. Gleich dem „Freischütz“ ist Marschners Werk der Romantik verhaftet und beinhaltet auch gesprochene Dialoge. Auch die Musik gemahnt an Weber, weist aber auch bereits auf Wagner hin. Es ist ein manchmal sehr dramatischer Klangteppich, den Marschner hier komponiert hat. Die Ausdrucksintensität der Musik ist enorm, an der die ausgefeilte, markante Rhythmik großen Anteil hat. Im zweiten Akt gibt es ein schauerliches Melodram, in der großen Festszene singt Konrad ein einfach gestricktes, biedermeierhaft anmutendes Lied. Eine Klasse für sich sind die großen Chorszenen. Insgesamt wartet Marschner mit einem trefflichen Potpourri aus den Stilen seiner Zeit auf, die er hier hervorragend in eine einheitliche Form gießt. Tom Woods und das prächtig disponierte Philharmonische Orchester Regensburg taten ihr Bestes, um Marschners vielschichtige Partitur zum Klingen zu bringen. Was da aus dem Graben ertönte, war einfach atemberaubend. Da wurde mit einem Höchstmaß an Intensität und feurigem Impetus und in hohem Maße klangschön musiziert. Das Ergebnis war enorm mitreißend und zeugt einmal mehr von dem hohen Niveau, das dieser bemerkenswerte Klangkörper doch hat.

Theodora Varga (Königin der Erdgeister)

Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ die Inszenierung von Florian Lutz, für die Sebastian Hannak das zeitgenössische, nüchterne Bühnenbild und die ebenfalls modernen Kostüme schuf. Dabei war der Ansatzpunkt der stark an Bertolt Brecht und Karl Marx ausgerichteten Regie durchaus überzeugend. So wurde Brecht durch die Einbeziehung des Zuschauerraumes und mannigfaltige Verfremdungen des gesprochenen Textes Rechnung getragen. Die Dialoge hat Lutz komplett neu geschrieben und gekonnt für seine Zwecke eingerichtet. Sein Ansatzpunkt ist stark kapitalismus- und gesellschaftskritischer Natur und geht von Marx’ und Engels „Kommunistischem Manifest“ von 1848 aus. Gekonnt stellt er zwei völlig verschiedene Gesellschaftsklassen gegenüber, die er in der Folge nachhaltig aufeinanderprallen lässt. Es sind zwei Seiten der sozialen Medaille, die er hier mit starkem Nachdruck vorführt. Die herrschende Klasse sind die Erdgeister, die der Regisseur als raffgierige, elegant gewandete Kapitalisten vorführt. Zu Beginn sieht man auf einem Podest zahlreiche Bündel von 1000-Euro-Scheinen aufgestapelt, die dann unter dem Volk verteilt werden. Alles ist hier auf schnöden Mammon bedacht, der nie auszugehen scheint. Diese Geldvermehrungsmaschinerie der Erdgeister ist ausgesprochen fragwürdiger Natur, denn sie erzeugt Profitgier und leistet ausgemachtem Egoismus Vorschub.

Publikum auf der Bühne

Auf der anderen Seite steht das gemeine Volk, die in blaue Arbeitskittel gekleideten Lohnarbeiter, die in ihrer Fabrik an Werktischen sitzen und unter der Knute des von den Erdgeistern verkörperten Kapitalismus stöhnen. Unterdrückung und Ausbeutung der Proletarier durch die herrschende Klasse der Geister hat zu einer Störung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der gemeinschaftlichen Rituale geführt. Ein Zusammenleben der zwei gegensätzlichen Gesellschaftsschichten in Liebe und Harmonie ist nicht mehr möglich. Jeder Einzelne muss sich entscheiden, welcher Klasse er angehören will, neutrales Verhalten ist nicht mehr möglich. Zur Veranschaulichung dieses Aspekts wartet Lutz mit einem echten Coup de Théatre auf: Die im Parkett und im ersten Rang sitzenden Besucher werden zu Beginn nicht auf ihre eigentlichen Plätze gelassen, sondern auf die Bühne geführt und dort mit dem Chor und den Solisten vermischt. Nach Ende der ersten, im Geisterreich spielenden Szene wird ihnen von dem Showmaster Nicklas – einer Sprechrolle -, der wenig später mit Hans Heiling und Anna noch eine vergnügliche Talkshow veranstaltet, freigestellt, in welche Gesellschaftsschicht sie sich für den Rest des Abends einfügen wollen. Die meisten Zuschauer kehrten während der an das Ende des ersten Bildes verlegten Ouvertüre in den Zuschauerraum zurück und entschieden sich damit für ein Verweilen unter den profitausgerichteten Erdgeistern, die im Folgenden mit ihrer Königin durchaus nachvollziehbar oft aus den Rängen sangen. Andere blieben, Bier trinkend und Würste essend, auf der Bühne und reihten sich in die unzufriedenen Lohnarbeiter ein.

Unter diesen gärt es. Die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen nimmt zu. Man ist nicht mehr länger gewillt, die Unterdrückung durch die Erdgeister, die die Regie zudem mit den Nibelungen aus Wagners „Ring“ identifiziert, widerspruchslos hinzunehmen. Die Revolution bricht aus und es werden Widerstandpamphlete hergestellt. So schreibt der Anführer der Aufständischen Konrad auf ein Schild: „Kauft nicht bei Erdgeistern“. Und das macht die bis dahin gelungene Inszenierung angreifbar. Denn diese Schrift weckt ganz stark Assoziationen an einen Slogan aus der Nazizeit: „Kauft nicht bei Juden“. Nicht nur, dass die Verwendung von NS-Vokabular geschmacklos ist, auch die vom Regisseur damit verfolgte Intention ist so nicht akzeptabel. Wenn Lutz in dieser Form die Erdgeister als „Schädlinge der Nation“ vorführt und diese mit den Juden des Dritten Reiches gleichstellt, konfrontiert er diese mit den Vorwürfen, die ihnen in der NS-Zeit gemacht wurden. Und das geht überhaupt nicht! Und als Prinz dieser Erdgeister wird Heiling am Ende auch noch getötet. Und wie soll man unter diesen Voraussetzungen das im zweiten Akt hochgehaltene Pamphlet „Nieder mit den Erdgeistern“ verstehen? Da erübrigt sich jedes Wort. Diese Auswüchse haben der Inszenierung stark geschadet. Dabei hätte es durchaus ein milderes Mittel gegeben. Auf Konrads Schild hätte zum Beispiel auch stehen können: „Boykottiert die Erdgeister“. Dann wäre die genannte Assoziation nicht eingetreten und der Absicht des Regisseurs wäre dennoch Genüge getan gewesen. Dieser Punkt gehört jedenfalls – auch noch nachträglich – geändert.

Adam Kruzel (Hans Heiling),Theodora Varga (Königin der Erdgeister)

Gesanglich bewegte sich der Abend auf hohem Niveau: Adam Kruzel hat darstellerisch die ganze Tragik des Hans Heiling, seine tiefe Verzweiflung über Annas Treuebruch und seine Eifersucht auf den Nebenbuhler Konrad trefflich vermittelt. Auch stimmlich war er mit kräftigem, gut fokussiertem und sauber geführtem Heldenbariton überzeugend. Neben ihm ging Michaela Schneider voll in der Rolle der Anna auf. Sie verfügt über einen ausdrucksstarken jugendlich-dramatischen Sopran bester italienischer Schulung, der zudem eine gute Höhe und einfühlsames Differenzierungsvermögen aufweist – alles Voraussetzungen für eine ausgezeichnete Bewältigung der Partie, der sie auch schauspielerisch voll entsprach. In nichts nach stand ihr Theodora Varga, die mit intensivem Spiel und dramatisch angehauchter, bestens gestützter Tongebung der Königin der Erdgeister mehr als gerecht wurde. Einen vollen, profunden Mezzosopran brachte Vera Egorova für die Gertrud mit. Gegenüber den anderen Vertretern der Hauptrollen fiel Steven Ebel als Konrad ab. Sein Tenor ist zwar bereits recht kräftig, wird aber im Augenblick noch zu hoch gestützt, woraus ein nicht eben rund klingender Gesangston resultierte. Solide war Mario Kleins Stephan. In der Sprechrolle des Nicklas bewährte sich Matthias Laferi. Gut gefiel der von Alistair Lilley einstudierte Chor und Extrachor des Theaters Regensburg.

Ludwig Steinbach, 20.9.2015

Bilder stammen von Jochen Quast

Interview mit dem Regisseur Florian Lutz